====> Aus der Schulgeschichte Gramzows
 
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Aus der Schulgeschichte Gramzows
zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Walter Bredendiek (um 1955)

abgeschrieben von Hans-Otto Bredendiek (Juni 2006)

Einen guten Einblick in die Gramzower Schulverhältnisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhält man durch den vom damaligen Ortsgeistlichen, Superintendent Hoffmann, abgefaßten Schulbericht für das Jahr 1809. Er wurde durch eine Instruktion der Kurmärkischen Regierung vom 12. November 1809 veranlaßt, in der eine Reihe von Fragen enthalten war, zu deren Beantwortung die Geistlichen verpflichtet wurden. Die Verfügung selbst befindet sich nicht mehr in den Akten. Die Antwort auf die Fragen 1-26 liegt doppelt vor, es ist anzunehmen, daß die zweite Fassung bereits als Reinschrift weitergereicht werden sollte, - die gebrochenen Bogen und die saubere, sorgfältige Schrift lassen darauf schließen, - daß dann jedoch noch Korrekturen vorgenommen oder Ergänzungen eingefügt wurden, so daß der Bericht noch einmal abgeschrieben werden mußte.  Die zweite Fassung (B-Text) ist wesentlich besser zu lesen als der erste Entwurf (A-Text), doch ist in diesem manche Einzelheit enthalten, die der Referent bei der Reinschrift fortließ, so daß sich aus ihm weitergehende Rückschlüsse auf die tatsächlichen Verhältnisse ziehen lassen als aus der für die Regierung bestimmten Fassung. Der Bericht wurde im Dezember 1809 oder im Januar 1810 abgefaßt.


In seinem ersten Teil werden in 35 Punkten die Frage der Potsdamer Instruktion bald mehr bald weniger ausführlich beantwortet. Vielfach läßt sich aus der Art der Antwort auf die Frage schließen, doch ist einigemal auch lakonisch „ja!“ oder „nein!“ oder „soll geschehen!“ vermerkt. Der zweite Teil behandelt spezielle Probleme der Ortsschule, der dritte und letzte enthält verständige, von Sachkenntnis und Verantwortungsbewußtsein gegenüber der heranwachsenden Generation zeugende Verbesserungsvorschläge für das gesamte brandenburgische Landschulwesen. Während also die ersten beiden Partien des Schulberichts vornehmlich für die Ortsgeschichte bedeutsam sind, ist der dritte Abschnitt darüber hinaus von allgemeinerem Interesse für die Kulturgeschichte und die Geschichte des Schulwesens im 19. Jahrhundert.


Die lutherische Gemeinde Gramzow hatte 1809 eine einklassige, von einem Lehrer betreute Dorfschule. Patron der Stelle war der König von Preußen. Von der Person des damaligen Lehrers gewinnen wir aus dem Bericht ein anschauliches Bild.
„Der itzige Schullehrer heißt Johann Gottlieb Rose und ist 32 Jahre alt. Sein Geburtsort ist Ketzin bey Paretz. Sein Vater, welcher in dem Dorfe Saringen bey Brandenburg an der Havel auch Schullehrer war, hat ihm den ersten Unterricht gegeben; die eigentliche Vorbereitung zum Schullehrer hat er aber 5 Jahre lang in den Schulen zu Brandenburg erhalten. Hierauf war er 7 Jahre Privatsecretair theils bey dem O. Bergrath … (unleserlich) in Rud. theils bey dem  … (unleserlich) und Steuerrath Laue zu Neustadt Eberswalde, im welcher Situation er Gelegenheit hatte, seine auf Schulen erworbene Kenntnisse zu erweitern und in Ausübung zu bringen. Aus wircklich überwiegender Neigung zum Schulwesen gab er diesen Posten auf, und ließ sich von dem Banquier Schickler zu Neustadt auf einem seiner dortigen Etablissements (Ragoeser Schleifmühle) als Schullehrer ansetzen, woselbst er 9 Jahre gestanden hat. Auf Befehl des Kgl. Consistoriums zu Berlin ward er im Jahre 1805 den 18ten July von dem Oberconsistorial- und Oberschulrat Nolte examinirt, und im vorigen Jahre zum hiesigen Küster- und Schuldienst berufen, den er nunmehr 1 ¼ Jahr mit sichtbaren Nutzen verwaltet hat. Er ist verheirathet und seine Familie bestehet aus 2 Söhnen von 7 und 5 Jahren und 1 Tochter von 2 ½ J.
Der Rose ist ein offener Kopf, der nicht nur viele gute natürliche Anlagen und Fähigkeiten besitzt, sondern sie auch in den verschiedenen Verhältnissen seines Lebens gut und zweckmäßig auszubilden und sich manche Einsichten Kenntnisse und Geschicklichkeiten für sein Fach zu erwerben gesucht hat. Dahin gehören (außer den gewöhnlichen Kenntnissen und Geschicklichkeiten) besonders Zeichenkunst, Fertigkeit in schriftlichen Aufsätzen, historische, naturhistorische, geographische, mathematische, musikalische pp Kenntnisse, wodurch er sich von vielen seiner Artgenossen merklich auszeichnet.
Seine Sitten, womit er seinen mustervollen moralischen Wandel verbindet, sind die eines gebildeten, klugen und feinen Mannes, daher seinen Umgang sehr angenehm und unterhaltend ist. Zum Beweise seiner vorzüglichen Treue und Gewissenhaftigkeit in Führung seines Amtes führt Referent bloß dieß an, daß er fast täglich eine Stunde über die festgesetzte Zeit Schule hält.


Seine Lehrmethode, die zum Theil aus seinem schriftlichen Aufsatze (s. Beilage) zu erkennen ist, ist natürlich, leicht und zweckmäßig. Die Schulzucht ist sanft, liebreich und doch mit Ernst und nöthigen Strenge verbunden. Auf die Ordnung, Stille, Sittsamkeit, und Reinlichkeit hat theils seine Unterweisung, theils sein eigenes Beispiel während seiner kurzen hiesigen Amtsführung einen heilsamen Einfluß, so wie sein gründlicher Unterricht und sein liebreiches und gesetztes Betragen eine seltene Hochachtung, Vertrauen, Zuneigung und Liebe bey seinen Schülern zur Folge gehabt. Daß u wie er sämtliche Schüler zu gleicher Zeit zu beschäftigen verstehe, davon wird er in seinem schriftlichen Aufsatze selbst Rechenschaft geben. Als einem Manne von lebhaftem Geist, scharfem Blick und einer rastlosen unermüdlichen Thätigkeit entgehet nicht leicht etwas seiner Aufmerksamkeit; daher er denn auch seine Schüler nicht bloß mechanisch abrichtet sondern vielmehr ihren Geist bildet, und sie durch häufige Fragen, Einwürfe und Aufgaben Erläuterungen pp beständig im Denken zu üben sucht.“


Eine Abschrift des in dem zitierten Teil von Hoffmanns Bericht zweimal erwähnten, von Rose abgefaßten, Aufsatzes über seine methodischen Grundsätze befindet sich leider nicht mehr in den Unterlagen. Die Arbeit wird auch in anderen Abschnitten des Memorandums herangezogen, sie trug den Titel: „Kurze Nachricht von der innern Einrichtung der Lutterischen Schule zu Gramzow“. So läßt sich Hoffmans Urteil über die Fähigkeiten Roses nicht mit dessen eigenen Ansichten und pädagogischen Prinzipien vergleichen. Man wird jedoch wohl auch so annehmen dürfen, daß Rose ein Lehrer war, der den Durchschnitt seiner Amtskollegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts überragte. Es ist nicht einzusehen, warum ein Superintendent jener Zeit so einschränkungslos positiv, über einen Lehrer urteilen sollte, wie es hier geschehen ist, wenn dieses Urteil nicht einer objektiven Nachprüfung standhalten konnte. Andrerseits muß man sich über die Tendenz Hoffmans klar sein, die aus allen Abschnitten seines Schulberichts deutlich erkennbar wird. Er stellt die brandenburgischen Schulverhältnisse als absolut unzureichend hin, die materielle und geistige Situation der Lehrer sei trostlos, das adlige Patronatsrecht brächte auch bei der Besetzung der Schullehrerstellen unglaubliche Mißstände hervor, die Renitenz eines nicht unbeträchtlichen Teiles der Elternschaft gegen Verbesserung im Schulwesen, die von philanthropischen Geistlichen und anderen Persönlichkeiten örtliche angeregt würden, haben seine Wurzeln wohl auch in der Unwissenheit und in dem engen Horizont der Masse der Landbevölkerung, dieser latente Widerstand werde jedoch ständig durch den Einfluß der Gutsbesitzer und Amtleute versteift, die alles in ihrer Macht Stehende täten, um eine Hebung des Bildungsniveaus der Dorfbevölkerung zu hintertreiben. Solche Feststellungen sprechen ebenso für Hoffmanns Verbundenheit mit dem arbeitenden Menschen und für seinen persönlichen Mut, wie sie auf eine vorzügliche Einsicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse und Zusammenhänge schließen lassen, in deren Rückständigkeit er den Grund für die schlechten Schulverhältnisse in den brandenburgisch-preußischen Landgemeinden erkennt.
Zwar tritt auch Hoffmann energisch für eine Verbesserung der Lehrerbildung ein: die meisten Landschullehrer seien, obwohl eine nicht unbeträchtlicher Teil von ihnen in den Seminaren ausgebildet worden sei, „immer noch … Leute v. sehr wenigen u. höchstens nur mittelmäß. Kenntnißen“, er betont aber, daß der Hauptgrund für den schlechten Zustand des Landschulwesens nicht in der Unwissenheit und Ungeschicklichkeit vieler Dorfschullehrer zu suchen sei, „so allgemein man dies auch in unseren Tagen zu glauben und zu behaupten pflegt.“ „Das Übel fließt noch aus andern, u aus vielen andern Quellen, die zum Theil nicht allgemein bekannt sind, zum Theil auch nicht dafür gehalten werden. Referent, aufgefordert v. E. Hohen Behörde u gedrungen v. seiner eignen Überzeugung u Gewissen, hält es daher für seine Pflicht, mehrere ihm bey einer langen Beobachtung bekannt gewordene Mängel, Hindernisse Unvollkommenheiten &. des Schulwesens bekannt zu machen, u seine Gedanken, Urtheile, Wünsche u Vorschläge E. Königl Hochlobl. Schuldeputation zur allerhöchsten Prüfung vorzulegen.“


Die erste und hauptsächliche Ursache für den mangelhaften Zustand des Landschulwesens erblickt Hoffmann, der übrigens durchweg von den s c h l e c h t e n Verhältnissen auf diesem Gebiet spricht und die Dinge nicht etwa euphemistisch umschreibt, in der Tatsache, daß überall zu wenig Zeit für den Unterricht zur Verfügung steht. Seine diesbezüglichen Bemerkungen sind aufschlußreich nicht nur für die Gramzower Schule, die völlige Unzulänglichkeit des ganzen Systems wird andernorts nicht weniger auffallend gewesen sein.


Hoffmann schreibt: „In den meisten Landschulen wird zur Zeit noch zu wenig gelehrt u gelernt, u dies Wenige wird noch dazu nicht gründlich genug gelehrt u gelernt, u daher die Unwissenheit, Ungeschicklichkeit u Unsittlichkeit des großen Haufens.“
Es wäre jedoch völlig verfehlt, die Schuld hierfür allein bei den Lehrern zu suchen. Die Eltern waren lediglich verpflichtet, ihre Kinder zur sogenannten „Winterschule“ zu schicken, die alljährlich im November begann und im nächsten März wieder beendet war.
Selbst diese Regelung stieß noch auf Widerstand und ließ sich nicht in vollem Umfang durchführen. Nach den Bestimmungen des Generallandschulreglements von 1763 sollte die Winterschule mit Michaelis pünktlich beginnen und bis Ostern durchgeführt werden, in Gramzow wurde organisatorisch wohl so verfahren, allein, es „finden sich dennoch, einer uralten Gewohnheit zu Folge die Kinder nicht früher als gegen Martini, wo die Feld- Garten u anderen Arbeiten außer dem Hause aufhören zur Schule ein, u verlassen sie wieder, so bald obige Arbeiten im Frühjahr den Anfang nehmen, denn so lange die Eltern noch ihre Arbeit außer dem Hause zu verrichten haben, müssen die Kinder / dem Vorgeben nach / ihnen entweder dabey helfen oder auf das Haus u die kl Kinder in demselben Achtung geben.“


Der Berichterstatter stellt eine in ihren nüchternen Zahlen erschütternde Rechnung auf, wenn er schreibt: „Wenn man auch annimmt, daß die Kinder vom 7t bis vollendeten 13 Jahre die Winterschule regelmäßig, das ist, jedes Jahr 4 Monate besuchen / welches jedoch auch nicht einmal bey allen der Fall ist, indem viele nur dann erst die Schule zu besuchen anfangen, wenn sie dem Confirmandenunterrichte beiwohnen wollen / : so kommen höchstens 28 Monate für alle 7 Schuljahre heraus. Ziehet man v. diesen die Zeit ab, in der sie jedes Jahr das den Sommer hindurch Vergessene wieder nachholen müßen, u die Stunden der Confirmandenunterricht der eigentlichen Schule raubt: so geht wenigstens 1/3 davon verlohren, u es bleiben nur 18 Monate zum wirklichen Schulunterrichte übrig pp.“ Es ist mehr als eine rhetorische Floskel, wenn Hoffmann die Frage stellt: „Was kann aber in dieser kurzen Zeit, zumal bey Kindern die zum Denken u schnellen Fassen so wenig gewöhnt sind geschehen? Wie wenig würde selbst in der besten Stadschule bey günstigeren Umständen geschehen u geschehen können, da jeder gründliche Unterricht bey Kindern Zeit erfordert?“ Aus diesen Sätzen spricht die Not eines Mannes, dessen Optimismus im Hinblick auf die Erziehungsmöglichkeiten zwar noch nicht gebrochen ist und der Resignation und Lethargie Platz gemacht hat, der sich aber von so vielen objektiven Schwierigkeiten gehemmt sieht, daß er vor einem beträchtlichen Defizit steht, wenn er das von ihm Gewollte mit dem tatsächlich Erreichten vergleicht. In der Kürze der Schulzeit sieht Hoffmann also einen der Hauptgründe für die Unwissenheit der Masse der Landbevölkerung. „Man hebe aber diesen Grund, so wird die Wirkung wegfallen. Man zwinge die Jugend, daß sie Jahr aus, Jahr ein v. 7t – zum 14t Lebensjahre unausgesetzt u regelmäßig die Schule besuche u man wird einen anderen u erwünschten Erfolg, als bisher v. Schulunterrichte gewahr werden; u der größte Theil der gegenwärtigen Lehrer wird bey allen seinen eingeschränkten Kenntnissen, aber pflichtmäßiger Amtstreue, mehr leisten, als itzt der beste Kopf mit allen seinen Kenntnissen u seiner bessern Lehrmethode in 18 Monaten auszurichten in Stande ist.“


Als weitere Ursache für die schlechten Schulverhältnisse führt Hoffmann an, daß die durchschnittlichen Klassenfrequenzen in keinem auch nur einigermaßen vertretbaren Verhältnis zu dem physischen und intellektuellen Leistungsvermögen der Lehrer stände. In den größeren Landschulen müßten häufig 80 bis 100 und mehr Kinder „von verschiedenem Alter, Fähigkeit und Kenntnissen“ von einem einzelnen Lehrer unterrichtet werden. „Versteht er nicht die Kunst, welches doch selten der Fall ist, die große Anzahl der Schüler zu gleicher Zeit zweckmäßig zu beschäftigen, - wie wenig wird u kann er thun! Indessen man nehme auch den geschicktesten u fleißigsten Lehrer, wird er, als ein einzelner Mann, obige Schule zu übersehen in Stande sein? Wird er die 3 oder 4 Klassen in die er seine Schule nothwendig theilen muß zu gleicher Zeit wirklich so zweckmäßig beschäftigen können, als es sein muß? Wird er viel und vielerley, besonders in der kurzen Zeit in die der Landschulunterricht fast überall eingeengt ist, lehren und auch vollständig, gründlich lehren können? …Man stelle also wo es das Bedürfnis erfordert, und wie in großen Stadtschulen geschiehet, auch mehrer Lehrer in Landschulen an und diese werden caeteris paribus leisten, was jene leisten.“


Wir würden heute sagen, daß die in Hoffmanns Schulbericht angeführten Symtome in ursächlichem Zusammenhang mit den Zielsetzungen standen, die die preußischen Junker für die Landschulen erreichen wollten, nämlich sein einen leibeigenen Bauern- und Tagelöhnernachwuchs zu sichern, der sich möglichst wenig widerstrebend in die Bedingungen seines materiellen und geistigen Elendsdaseins schickte. Der Not gelegentlich gehorchend mußte man sich zwar damit abfinden, daß diesem prätendierten Tagelöhnerersatz ein Mindestmaß von Bildungselementen vermittelt wurde, man führte aber einen verbissenen Kampf darum, den Umfang des von der Landbevölkerung aufzunehmenden Wissensstoffes so stark zu begrenzen, wie das unter den jeweils obwaltenden Bedingungen nur immer möglich war. Die im Zusammenhang mit der vorangegangenen Zeit betrachtet vergleichsweise schnelle Entwicklung des deutschen Schulwesens im 19. Jahrhundert ging auch an den Landschulen nicht spurlos vorüber, die sich in den Hauptherrschaftsgebieten der Großgrundbesitzer befanden und zwang den Junkern relativ schnell wechselnde Formen des Kampfes auf – ihr Ziel blieb ungeachtet mancher taktischen Schwenkung das gleiche. Das wird noch näher zu zeigen sein. Wohl ist die zu allen Zeiten von der Feudalkaste in Bezug auf die Fragen des Geistes und der Kultur an den Tag gelegte Beschränktheit sprichwörtlich, man möchte jedoch fast sagen, daß ihre eigene Unbildung und Primitivität den Junkern in ihren Bestrebungen, die Landbevölkerung in Unwissenheit zu halten, eher nützlich als schädlich war. Die zur Erreichung ihrer Zwecke angewandte Argumentation war denkbar einfach, von geistig ungeübten Menschen in ihrer Verlogenheit aber nichts destoweniger schwer zu durchschauen und zu widerlegen. Sie lief im Grunde auf die – mit moralisierenden Sentenzen, die nichts kosteten reichlich umkleidete – Behauptung hinaus, daß durch die systematische geistige Anstrengungen erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Landmann höchst überflüssig, wenn nicht gar hinderlich seien, da sie ihn von seinen eigentlichen Berufsarbeiten abhielten. Der Junker scheute sich auch nicht, seine eigene Person als Argument ins Feld zu führen etwa nach dem Schema: Seht mich an, ich bin euch an Gelehrsamkeit in keinem Stück überlegen, ich bin ebenso wir ihr gänzlich außerstande drei Wörter hintereinander fehlerfrei zu Papier zu bringen und habe mein Lebtag noch kein Buch gelesen, weil ich das für überflüssig und nutzlos halte – und wie stehe ich trotzdem da, wohlhabend und geachtet! So ist auch die Wertschätzung die euch zuteil wird, nicht etwa abhängig von euren Kenntnissen und geistigen Fähigkeiten, sondern allein mit der Treue, mit der ihr die euch im Rahmen eures Standes zukommenden Pflichten erfüllt. Im übrigen bin ich noch gar nicht einmal sicher, ob der Teufel euch nicht zur Hoffart und zum Stolze verführen will, wenn ihr übertrieben viel lernen wollt (und unter übertrieben viel lernen konnte man im Laufe der Entwicklung die verschiedensten Dinge verstehen von der Einführung des Schreibunterrichts in den Volksschulen bis zur Behandlung der Bruchrechnung), da ist es nun aber meine Pflicht euch daran zu erinnern, daß schon in der Heiligen Schrift gesagt wird – und dann folgte der ganze Katalog jener greulichen Blasphemien von „gottgesetzter Ordnung“ und „gottgewollten Unterschieden“, der Androhung zeitlicher und ewiger Strafen, die den treffen würden, der es wagen sollte, sich gegen die als „göttliche Ordnung“ bezeichnete Unterdrückung und gegen die Schändung seiner Menschenwürde aufzubegehren und aller der anderen Lästerungen, die jedem gläubigen Christen noch heute die Schamesröte in das Gesicht treiben müßten.


Die Dinge sind zu bekannt, als daß diese Andeutungen noch weiter geführt werden brauchten, sie genügen auch für unseren Zweck, den Hintergrund zu umreißen, vor den man den Gramzower Schulbericht von 1809 gestellt sehen muß, um der mutigen Kritik Hoffmanns an den bestehenden Verhältnissen gerecht zu werden. Besonders scharf greift er die Handhabung des adligen Patronatsrechts bei der Besetzung der Schullehrerstellen an. Als Lehrer stellten die Gutsbesitzer an den Schulen ihrer Eigentumsdörfer „in der Regel Domestiquen oder ähnliche Günstlinge“ und andere „unbrauchbare Subjecte“ an. Das hätte aber für das Landschulwesen die nachteiligsten Folgen. Zwar wollte er, Hoffmann, nicht in Abrede stellen, „daß es nicht aufgeklärte und rechtschaffende Patronen, so wie brawe und geschickte Bediente geben sollte, die wie Herr v. Rochow und sein Bruhns eine Ausnahme von der Regel machen; aber die Ausnahmen sind doch selten, und widerlegen obige Behauptung nicht.“ Außerordentlich schwierig und stellenweise wohl direkt tragisch war unter diesen Bedingungen die Situation solcher Geistlichen, die sich nicht zu intellektuellen Klopffechtern der Junker erniedrigten, sondern teils mit, zumeist aber ohne theoretische Einsichten und entwickeltes Klassenbewußtsein die Interessen ihrer, der aufsteigenden bürgerlichen Klasse vertraten. In den letzten Jahrzehnten des 18. und in den ersten des 19. Jahrhunderts war die Zahl dieser, dem gesellschaftlichen Fortschritt und der Humanität verpflichteten Geistlichen nicht klein. Sie waren durch die Schule der rationalistischen Theologie hindurchgegangen und im Durchschnitt stark von dem Erziehungsoptimismus ihrer Lehrer beeinflußt. Sehr rasch aber mußte der junge Theologe, der aus Halle, Leipzig oder einer anderen mitteldeutschen Universitätsstadt kommend, sofort oder nach kargen Informatorenjahren in ein ostelbisches Gutsdorf verschlagen wurde, erkennen, daß sich hart im Raum die Sachen stoßen. In vielfacher Hinsicht von den Junkern materiell abhängig, gesellschaftlich isoliert, ohne stärkere geistige Anregung von außen, war der Einzelne auf sich allein gestellt und so ist es kein Wunder, daß meistens schon bald nach dem Einzug in das dörfliche Pfarrhaus der Geistliche sich mit den herrschenden Gewalten zu arrangieren versuchte. Aber auch wo das nicht in ausgesprochener Weise geschah, mußte unter den gegebenen materiellen und ideellen Voraussetzungen in kurzer Zeit viel von dem volkspädagogischen Enthusiasmus, mit dem man sein Amt angetreten hatte, verpuffen.


Alles dies ist auch zwischen den Zeilen in Hoffmanns Gramzower Schulbericht zu lesen. Hatte der Gutsbesitzer einen ehemaligen Lakaien in seinem Dorf als Schullehrer angesetzt, so fand ein den fortschrittlichen pädagogischen Ideen aufgeschlossener Pfarrer als Ortschulinspektor ein einem solchen Manne gewöhnlich einen Widersacher, der im Interesse des Junkers jede Verbesserung des örtlichen Schulwesens zu hintertreiben versuchte, und dem der Geistliche zu allem Überfluß, wie Hoffmann schreibt, noch „Manches Gute zu halten und durch die Finger sehen muß wenn er sich nicht dem Mißfallen und Unwillen des Patrons aussetzen will.“ Eine weitere Schwierigkeit für ihn ergab sich daraus, daß alle das Schulwesen betreffenden Verordnungen der zuständigen Behörde nur an die Pastoren übermittelt wurden, die dann für ihre Durchführung Sorge tragen sollten. Aber „der Gutsherr und Patron nimmt nicht gern Notiz von dem, was ihm von seinem Prediger, den er als seinen Untergebenen anzusehen gewohnt ist, als Befehl der höhern Obrigkeit insinuirt wird, und ist schon um deswillen nicht geneigt mit ihm gemeinschaftlich zu wirken, weil er die etwanigen Befehle in Schulsachen entweder für Eingriffe in seine Patronatsrechte ansiehet, oder sich für disjustirt hält, da man ihn nicht höheren Orts davon benachrichtigt habe.“ Nach diesem Präludium fordert Hoffmann dann nicht mehr und nicht weniger als die Aufhebung des gesamten adligen Patronatsrechts: „Gutsbesitzer, Kirchenpatrone sollten überhaupt so wenig Schul- als Kirchenlehrer, die sie selten richtig beurtheilen und schätzen können, ansetzen, und am wenigsten zu Schullehrern alte zu diesen Posten untaugliche Bediente, oder ähnliche von ihnen abhängige Subjecte anstellen dürfen. Der Schullehrer muß ein freier nur von seiner Behörde abhängiger Mann sein, und auch nur von dieser allein zu seinem Posten berufen werden.“ Könne oder wolle die Regierung aber nicht so weit gehen, so sei es unerläßlich, daß den Gutsbesitzern und Amtleuten wenigstens in Bezug auf das Schulwesen klare Befehle erteilt würden, durch die der zur Zeit herrschenden Anarchie ein Ende bereitet würde; da nämlich ist der Sinn des Satzes „Daher bittet Referent untertänigst, daß bey der zu hoffenden neuen Einrichtung sämtlicher Dorfschulen den Patronen, Gerichtsobrigkeiten und Gemeinden von der höheren Behörde (obgleich nicht zu Rathe gezogen,) doch wenigstens von jeder einzelnen Verfügung pp als Königlichem Befehl benachrichtigt werden möchten.“


An eine wirksame Verbesserung des Schulwesens sei so lange nicht zu denken, wie die gegenwärtigen Abhängigkeits- und Machtverhältnisse erhalten blieben, da – durch sie bedingt – der Bauer, für dessen Kinder ein besserer Unterricht in erster Linie große Vorteile bringen würde, gleichfalls allen Verbesserungen mißtrauisch, wenn nicht feindlich gegenüberstehe. Die meisten Bauern waren so überzeugt von der Unabänderlichkeit ihres Helotendaseins, daß ihnen offenbar andere Lebensbedingungen gar nicht vorstellbar waren. „Der Bauer,“ sagt Hoffmann, „hält alles, was ihm nicht von Seiten seiner Herrschaft, sondern nur von dem Prediger bekannt gemacht wird, für unbedeutend oder gar für bloße Verfügungen und Auflagen des Predigers denen er seinem Charakter gemäß als Neuerungen entgegen zu streben sich für verpflichtet hält, da er wohl weiß, daß ihn der Prediger nicht zwingen kann und der Gutsherr nicht zwingen wird.“


Dieses trostlose Bild von dem allgemeinen Zustand des preußischen Landschulwesens ergänzt Hoffmann nun noch durch spezielle Gramzower Details. Bezeichnend ist, daß er an den verschiedensten Stellen seines Berichts über die deprimierende Verständnislosigkeit des größten Teiles der Elternschaft klagt: „Was hilft es, daß Schullehrer und Prediger auch noch so viel Mühe und Fleiß anwenden, um die Köpfe und Herzen der Kinder zu bilden, wenn durch böse Beispiele, ja wohl gar durch geflissentliche Anleitung unmoralischer Eltern und anderer Erwachsener die arme Jugend frühzeitig zum Bösen verführt, und alles mit vieler Mühe in sie gepflanzte Gute wieder ausgerottet wird? Leider weiß Referent gegen die Übel kein wirksames Mittel vorzuschlagen.“ Von großem Nachteil für das örtliche Schulwesen und die positive Erziehung der Jugend sei ferner „die üble Einrichtung bey der Gemeinde, das Vieh, besonders Ochsen und Pferde von Kindern hüten zu lassen. Nicht zu gedenken, daß es auf die Moralität der Kinder einen sehr nachtheiligen Einfluß haben muß, wenn etliche 30 bis 40 derselben aus Mangel an hinreichender Beschäftigung beym gemeinschaftlichen Hüten auf allerley muthwillige, üppige Streiche verfallen, zu geheimen und öffentlichen Sünden, verführt, wenigstens zu Müßiggang und Faulheit verleitet, und auf diese Art am Leibe und Geiste zugleich verdorben werden; so werden sie ja auch dadurch / wenigstens im Sommer / der Schule entzogen.“ Dabei sei diesem Übelstand leicht abzuhelfen, man brauche nur Viehkoppeln anzulegen und für jede Viehart einen besonderen Hirten anzustellen oder aber die Stallfütterung einzuführen. Schließlich weist Hoffmann noch auf die „vielen hiesigen Bier- und Branntweinschenken“ hin, „in denen sich an Sonn- und Festtagen der Musik und des Tanzes wegen die jungen Leute (und sogar die Kinder von 10 – 12 Jahren als Zuschauer) einfinden, ganze Nächte hindurch zugegen sind und schon im zarten Kindes- und Knabenalter zur Trunkenheit, Üppigkeit, Liederlichkeit und vielen anderen Lastern und Ausschweifungen durch üble Beispiele verführt werden, etwa durch Lärmen und Schreien auf den Straßen die nächtliche Ruhe der Einwohner stöhren.“ Während die Eltern dies alles jedoch mit ansähen oder womöglich gar noch beförderten, legten sie auf den regelmäßigen Schulbesuch ihrer Kinder nur geringen Wert. „Selbst unwissend und ungebildet wissen viele theils den großen Werth des Schulunterrichts nicht zu schätzen, theils hindert sie auch Armuth oder übelangewandte Sparsamkeit an der Erfüllung ihrer Elternpflichten, so daß sie bey mehreren schulfähigen Kindern diese nur wechselweise die Schule besuchen laßen, um das Heitz- und Schulgeld zu ersparen. Der Bauer und Wohlhabendere aber braucht seine Kinder sehr früh zur Wirthschaft … und so wird der Schulbesuch seiner Kinder ebenfalls sehr unterbrochen. Bisher hat man noch kein recht wirksames Mittel ausfindig machen können, diese Hindernisse zu beseitigen oder die Nachläßigen zur Erfüllung ihrer Pflichten zu bewegen. Wiederholte öffentliche und besondere Vorstellungen, Bitten und Ermahnungen des Predigers sind bisher größtentheils fruchtlos gewesen; nur der Ausschluß ganz unwissender und die Schule vernachlässigender Kinder vom Confirmanden-Unterricht, so wie überhaupt nachdrükkliche Mittel von Seiten der Obrigkeit scheinen am hiesigen Orte in dieser Rücksicht fruchten zu wollen.“ Mindestens drei Viertel der schulfähigen Gramzower Kinder, vor allem die jüngeren, besuchten während des Sommers nicht die Schule, sondern trieben sich statt dessen zum erheblichen Teil „den ganzen Tag hindurch bey Müßiggang, Lärmen, Zanken und anderen Ungezogenheiten und Üppigkeiten auf den Straßen, oft in großen Haufen“ umher.


Unter solchen Voraussetzungen mußte also in Gramzow unterrichtet werden. Im Winter fanden die Schulstunden vormittags von 8 bis 11, nachmittags von 1 bis 4, im Sommer nur vormittags von 7 bis 10 Uhr statt. Ferien gab es nicht. Im Alter von sieben Jahren begann, jedenfalls theoretisch, der Schulbesuch der Kinder, nach der Konfirmation wurden die dann in der Regel Vierzehnjährigen aus der Schule entlassen. Nach dem Schülerverzeichnis sollten 120 Kinder den Unterricht besuchen, „indeß sind diese selten alle zusammen in der Schule. Nur einige Wochen im Winter belief sich die Anzahl der Knaben auf 68 und die der Mägdchen auf 52, im Sommer / und da auch nur bis zur Erndte / betrug die ganze Anzahl nur 30.“ Das Schulgebäude befand sich in einem unglaublichen Zustand: „Die Schulstube ist nicht  bequem, hell, gesund und ordentlich, so wie es sein müßte erbauet; das Wasser trieft von allen Wänden und sie ist auch nicht, um überall sehen zu können, mit Fenstern genugsam versehen; Diehlen und Schwellen sind verstockt pp.“ Das gesamte Schulinventar bestand aus einem Tisch von 7 Fuß Länge 17 Bänken und einer schwarzen Wandtafel, für seine Instandhaltung war die Gemeinde verantwortlich. Schulbücher, Schiefertafeln und auch das Tintenfaß hatte sich jedes Kind selbst zu besorgen. Die meisten Eltern weigerten sich jedoch, wie Hoffmann sagt, „aus Vorurtheil, Eigensinn oder – Unverstand“ ihren Kindern besondere Schulbücher anzuschaffen, die Mehrzahl der Kinder besaß nur die Bibel und den lutherischen Katechismus. Darüber hinaus waren jedoch in der Schule noch einige der damals weit verbreiteten Lese- und Realienbücher philatrophischer Pädagogen eingeführt, der Bericht nennt u.a. den Brandenburgischen und den Rochowschen Kinderfreund, das Junkersche Handbuch und Hoffmanns Unterricht von natürlichen Dingen an. Diese Werke werden aber wohl in der Hauptsache vom Lehrer für seine Unterrichtsvorbereitung benutzt worden sein.

Der allgemeine Leistungsstand der Schüler war natürlich recht niedrig, wenn man bei der Beurteilung von den Maßstäben ausgehen wollte, die wir heute an den Grundschulunterricht anlegen, stellt man dagegen die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen jener Zeit in Rechnung, so lernten die Schüler doch mehr, als man hätte meinen sollen. Von den 120 zum Schulbesuch verpflichteten Kindern – wie es mit diesem Schulbesuch in der Praxis aussah haben wir gesehen – konnten 15 „ganz fertig“ 42 „noch nicht ganz fertig“ lesen, 37 Schüler lasen und syllabierten im Katechismus und in Elementarbüchern, 26 waren „ABC- und Fibelschüler“. Im Kopfrechnen wurde die ganze Schule geübt, „worin es einige (sogar von 9 – 10 Jahren) ziemlich weit gebracht haben“, schriftliches Rechnen, „theils Brüche und Regul: de tri ohne Brüche, theils die 4 Species mit benannten und unbenannten Zahlen“, wurde dagegen nur mit den 27 Schülern getrieben, die bereits Unterricht im Schreiben erhielten. Von diesen schrieben – „zum Theil eine schöne Handschrift“ – 10 Kinder nach Vorlagen, 17 nach dem Diktat. „Daß zur Zeit verhältnismäßig noch so wenig Kinder schreiben,“ sagt Hoffmann, „rührt hauptsächlich daher, weil viele Eltern sich entweder von dem Nutzen des Schreibens noch immer nicht wollen überzeugen laßen, oder zu arm, auch wohl zu Karg sind, die kleine Ausgabe für die Schreibmaterialien zu machen.“ Aus der Bemerkung des Berichterstatters, daß, „um die Bildung der Sprache“ zu befördern, „in der Schule durchaus nur hochdeutsch gesprochen werden“ dürfe, kann geschlossen werden, daß Ansätze zu einer Pflege des mündlichen Ausdrucks vorhanden waren. Leider läßt sich aus dem Bericht nichts Sicheres darüber entnehmen, wie der Unterricht in den Realien beschaffen war. Die Lehrplanskizze, die sich auf der letzten Seite des Entwurfs findet und sich auf eine zweiklassige Landschule bezieht, dürfte kaum den tatsächlichen Stand des Gramzower Unterrichts um 1809 widerspiegeln, vermutlich hat Hoffmann den Plan aus einer pädagogischen Schrift ausgezogen oder aber selbst entworfen, um das zu fixieren, was nach seiner Meinung als Lehrstoff für die Landschule unerläßlich sei.
Bei der Darlegung des Leistungsstandes der Schule vergißt der Referent nicht zu erwähnen, daß „der Rose bey Antritt seines Amtes die Schuljugend, die während der feindlichen Occupation schlecht zur Schule und Sittsamkeit angehalten worden war, sehr vernachläßigt und unwissend fand“ und daß so „die gegenwärtigen Kenntnisse, Geschicklichkeiten und bessern Sitten derselben einzig sein Werk“ seien. Überhaupt gewinnt man aus dem ganzen Dokument den Eindruck, daß Hoffmann alles heranzieht, was Rose in einem möglichst günstigen Licht erscheinen lassen muß. Das dafür nur persönliche Gründe maßgebend waren, ist unwahrscheinlich, da er bei seinen heftigen Angriffen gegen die offizielle Schulpolitik der Regierung und die schulfeindlichen Machenschaften der Großgrundbesitzer doch wohl jederzeit mit einer eingehenden Inspektion des Sprengels und der dortigen Schulverhältnisse rechnen mußte. Die Dinge werden wohl so zusammengehangen haben, daß Hoffmann mit dem ständigen Hinweis auf die überdurchschnittlichen Fähigkeiten und Leistungen des Gramzower Lehrers eine seiner Hauptthesen unterstreichen wollte, daß nämlich die objektiven Zustände es auch dem besten Landschullehrer unmöglich machten, die ihm anvertrauten Kinder zu gebildeten und kenntnisreichen Menschen zu erziehen. Er drückt diese Einsicht an einer Stelle seines Berichts unumwunden aus, wenn er schreibt: „Ultra posse nemo obligatur! Von der Wahrheit dieser Sentenz wird Referent fast täglich bey seiner Schule überzeugt, deren gegenwärtiger Lehrer unstreitig zu den geschicktesten und fleißigsten unter den Landschullehrern zu zählen ist, und der / aus seltener Neigung zum Schulwesen / Gesundheit, Lebensgenuß und alle Kräfte seiner Schule aufopfert; und gleichwohl seinen Endzweck nicht ganz erreichen kann. Mag dies nicht der Fall noch bey vielen andern Schullehrern sein?“


Die Einkünfte des Gramzower Schullehrers waren bescheiden. Sie waren in einer Anlage zum Schulbericht von 1809 näher spezifiziert, diese Anlage fehlt jedoch bei dem vorliegenden Entwurf. Das Schulgeld betrug im Jahr nur 28 bis 30 Taler und zwar wurde für jedes Kind, das schreiben, rechnen und lesen konnte wöchentlich ein Silbergroschen, für die, die nur lesen und syllabierten 6 Pfennige gezahlt. Die Kinder ganz armer Eltern mußten umsonst unterrichtet werden (1809 waren es sechs bis acht), für den Unterricht von 16 weiteren Schülern, deren Eltern gleichfalls nicht in der Lage waren, das geringe Schulgeld aufzubringen, erhielt der Lehrer jährlich 10 Reichstaler aus der Kirchenkasse. Die Erziehungsberechtigten hatten es offenbar nicht sehr eilig, das Schulgeld für ihre Kinder zu bezahlen und der Lehrer verfügte wohl nicht einmal über gesetzliche Handhaben, um die säumigen Schulgeldzahler zu mahnen oder die rückständigen Summen zwangsweise einzuziehen; „die gesetzmäßige Erhebung des Schulgelds mögte großes Mißvergnügen erregen,“ schreibt Hoffmann. Vermutlich wird sich Rose ebenso wie die meisten seiner Amtskollegen in ständiger Geldverlegenheit befunden haben. Wir erfahren, daß er sich gerne weiterbilden wollte, daß ihm „jedoch seine beschränkten Vermögensverhältnisse nicht verstatten“ sich Bücher anzuschaffen.


Über das Schulgeld hinaus mußten die Eltern der schulpflichtigen Kinder nun allerdings noch „Holzgeld zur Heitzung der Schulstube“ entrichten, für jedes Kind und für den ganzen Winter 6 Silbergroschen. „Die Bauern aber und diejenigen welchen die Anspannung haben und Kinder in die Schule schicken, bezahlen nicht Holzgeld, sondern fahren dafür dem Schullehrer jährlich ½ Klafter von ihm erkauftes Holz unentgeltlich heran. Da aber 6-8 solcher freyen Fuhren den ganzen Winter bey weitem nicht hinreichen, so muß er das übrige noch fehlende Holz für Geld heranfahren laßen. Auch bey dem Heitzgeld selbst setzt sehr zu, indem er nur Scheidemünze als Heitzgeld bekommt, welche er erst mit merklichem Verlust und Kosten in Prentzlau in Courant umsetzen muß, weil das Holz schlechterdings in Court. bezahlt werden soll und muß. Diese Einrichtung ist indessen aus mehreren Gründen zweckwidrig, besonders weil das Heitzgeld mehrer arme Eltern … abhält, alle ihre schulfähigen Kinder regelmäßig zur Schule zu schicken.“ Die Erhöhung der Natural- und Bareinkünfte des Gramzower Lehrers lag Hoffmann sehr am Herzen, er greift diesen Punkt in seinem Bericht mehrfach auf, „weil ein Schullehrer, auch selbst der bessere, immer nur mit Unlust arbeiten und weniger in seinem Fache nach studieren kann und wird, wenn Kummer und drükkende Nahrungssorgen am Herzen nagen.“ Allerdings lasse sich die Frage, wie die „Einkünfte der armen Schullehrer zu verbessern“ seien, nicht generell beantworten. Die zweckmäßigste Lösung wäre zweifellos die, daß der Staat überall die Lehrergehälter zahle, allerdings würde das die augenblickliche Lage der öffentlichen Finanzen nicht gestatten. Dann wäre jedoch zu erwägen, ob die Eltern nicht gesetzlich verpflichtet werden könnten für alle ihre schulpflichtigen Kinder „das ganze Jahr hindurch das Schulgeld zu entrichten“, unabhängig davon, ob das betreffende Kind tatsächlich während des ganzen Jahres die Schule besuchte oder nicht. Allerdings sieht Hoffmann auch bei der praktischen Durchführung dieses Vorschlags Schwierigkeiten voraus. Zwar könnten auf diese Weise viele Schulstellen in ihren Einkünften merklich verbessert werden, denn wenn für jedes Kind im Durchschnitt nur 8 Pfennigen an wöchentlichem Schulgeld einkämen, so würde das in einem Jahr, zu 50 Wochen gerechnet, einen Reichstaler, 9 Silbergroschen, 3 Pfennige ergeben. Für 50 Kinder würde man demnach 69 Taler, 11 Groschen, 6 Pfennige, für 150 Kinder gar 208 Taler, 10 Groschen, 6 Pfennige erhalten. Allein „die Rechnung ist zwar richtig, aber sie kann nicht überall gemacht werden. Denn vorausgesetzt, daß alle schulfähigen Kinder wirklich das ganze Jahr hindurch unausgesetzt die Schule besuchen … so frägt es sich, ob auch die Eltern, besonders bey mehreren schulfähigen Kindern im Stande seyn werden, das ganze jährliche Schulgeld dafür auf zu bringen, da sie es itzt aus Armuth nicht einmal für 3-4 Monate erübrigen können? Und dann, wieviel Schulen giebt es denn, die 50-100 und mehrere Schüler enthalten? Und wenn sie sie enthalten, sind das nicht gemeiniglich schon die besser dotierten? Wie sollen nun aber die vielen kleineren und schlecht dotirten auf diese Art verbessert werden? Also ein allgemeines Mittel … kann dieß immer nicht werden.“


Als unverzüglich durchführbare Sofortmaßnahme für Gramzow schlägt Hoffmann vor, das freie Brennholz für den Lehrer zu erhöhen und das von den Eltern zu zahlende Holzgeld nach sozialen Gesichtspunkten zu staffeln: Es sollte dem Lehrer „das in der Matricul verschriebene, aber seit langer Zeit nicht mehr verabreichte Kavelholz aus der Gramzowschen Heide wieder verabreicht oder von Sr. Königl. Majestät für dies Kavelholz eine hinreichende Anzahl Klafterholz und Torf bewilligt“ werden. Oder aber „von der ganzen Gemeinde“ müßte „eine bestimmte Anzahl Klafterholz erkauft, frey angefahren und der Betrag dafür auf dieselbe nach den Grundsätzen repartirt werden, nach welchen sonst die Gemeindebeyträge zu Pfarr- und Schulgebäuden, ja selbst die fixirten Einnahmen der Prediger und Küster entrichtet werden. So wie der Bauer von seinen Hufen dem Prediger jährlich oft eben so viele Scheffel Korn zum Gehalt geben muß, als der Büdner und Tagelöhner einzelne Groschen zahlet, obgleich beide seines Unterrichts in gleichem Maaße genießen: ebenso könnte und sollte das Schul- und Heitzgeld nach ähnlichen Grundsätzen entrichtet werden.“

Ebenso anschaulich wie erschütternd ist das Bild, das in dem Bericht von der verzweifelten Lage breiter Kreise der preußischen Landschullehrer vor 150 Jahren entworfen wird: Hoffmann berichtet, daß er Schullehrer kenne und in seiner eigenen Superintendentur drei zu dieser Gruppe gehörende habe, „deren ganzes jährliche Gehalt kaum 20-30 Reichstaler beträgt,“ und er fährt fort: „Was kann und soll ein Schullehrer für diesen Lohn, den jeder Akkerknecht, nebst freier Kost, erhält, wohl leisten oder leisten können? Wie soll er davon sich und seine oft zahlreiche Familie in einer Provinz, wie die hiesige, ernähren, in der jede Taglöhnerfamilie ihre Einnahmen auf 80-100 Reichtaler bringt, und bringen muß, wenn sie leben will? Traurig aber und höchst bejammernswerth ist daher die Lage eines solchen Schullehrers, aber nicht weniger beklagenswerth auch die Schule die ihm anvertrauet ist! Nicht zu gedenken, daß bey diesem Bedauernswürdigen aller Trieb zum weitern Fortstudiren in seinem Fache auf immer unterdrückt ist: so wird und kann er auch nicht anders als mit Unlust und Widerwillen sein an sich schon saures Amt verwalten, und mithin wenig darin leisten. Hat er aber eine Profession, die ihn mit ernähren hilft, so wird er dieser als der Hauptquelle seiner Erhaltung seine meiste Zeit und Kräfte widmen, und die Schule, trotz aller Aufsicht und Ermahnung des Predigers, als Nebensache betrachten, und vernachläßigen. Hat er keine Profession, so wird er, um sich und die Seinigen vorm Hungertode zu schützen, entweder gemeine / wohl gar seinen Stand entehrende / Handarbeiten verrichten müssen und sich dadurch um Ansehen, Achtung, Vertrauen pp bey Jungen und Alten bringen, oder die verächtliche Rolle des Schmarotzers … und Possenreißers bey den Bauern auf Hochzeiten und Kindtaufen oder gar in der Schenke spielen, um seinen Hunger zu stillen. Und wehe dann der armen Schuljugend, die der Führung eines solchen Elenden anvertraut ist. Denkt er aber zu gut und edel um sich so tief zu erniedrigen, so wird er seine Tage unter Kummer und Harm verseufzen, und wenigstens denen Kindern oft durch die Finger sehen müssen, von deren Eltern er etwa aus Barmherzigkeit besondere Unterstützung erhält, oder sonst auf eine andere demüthigende Art abhängig ist.“ Dann aber sei es nur noch e i n Schritt bis hin zu solchen Erscheinungen der Verwahrlosung der Schüler und des allgemeinen Schulchaos, die Hoffmann an anderer Stelle seines Berichts, ausgehend von der Handhabung der Schulzucht, folgendermaßen charakterisiert: „Referent ist durchaus ein Feind von aller zu großen Strenge und Schultirrannen; Allein man muß nicht in den entgegengesetzten Fehler verfallen und alles nach einem Maaßstabe messen. Denn wenn man erwägt, daß die Kinder der Landleute im Ganzen noch sehr roh, und an Härte und Strenge in dem Hause ihrer Eltern zu sehr gewöhnt sind, so daß sie gemeiniglich nur durch Zwangsmittel zu Guten bewogen und durch harte Strafen vom Bösen abgehalten werden können und müssen: so ist einleuchtend, daß auch die Schulzucht der häuslichen einigermaßen angemessen und mithin nach Umständen mit Strenge und Schärfe verbunden sein muß, wenn der Schullehrer etwas ausrichten will. So soll es aber nicht sein; und der Bauer, der dieß weiß, prägt es seinen Kindern sorgfältig ein, keine Art der Züchtigung zu dulden, sondern die Schule zu verlaßen, sobald er etwa zur (wohl verdienten) Strafe gezogen würde; ja er entblödet sich nicht, den Schullehrer deshalb auf eine grobe Art zur Rede zu stellen oder ihn wohl gar gerichtlich zu belangen, und der Schullehrer bekommt – gemeiniglich – unrecht! Was soll nun aber der arme, gekränkte und beschimpfte Mann wohl machen, um Unordnung, Unfug, Unsittlichkeit, Faulheit zu steuern, und Ruhe, Stille, Sittsamkeit und sein nöthiges Ansehen pp. zu befördern, wen gelinde Mittel nichts helfen wollen, und er die strengen und nachdrücklichen nicht anwenden darf? Wird und muß er nun nicht alles gehen und gelten laßen, wie er will? Referent hat in seinen ehemaligen Verhältnissen, und leider auch noch itzt als Superintendent Gelegenheit gehabt, Schulen dieser Art kennen zu lernen, in denen der Lehrer Nekkereien, und selbst Mißhandlungen (!!W.B.) einer zügellosen verwilderten Jugend bloß um deshalb ausgesetzt war, weil er den Unfug aus Furchtsamkeit nicht strafen wollte, oder aus Besorgniß unangenehmer Folgen nicht strafen durfte. Das es in diesen Schulen um die Kenntnisse, gute Sitte und Moralität der Jugend sehr traurig aussehen mußte, läßt sich leicht ermessen.“


Alles dies hätte dazu geführt, daß der Landschullehrerstand in „tiefe Verachtung herabgesunken“ sei und es macht Hoffmanns Charakter und seiner Erkenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge alle Ehre, wenn er zu der Schlußfolgerung gelangt: „Man gebe den Landschullehrern ein hinreichend Brod, mehr äußere Ehre und Achtung und mehr Unabhängigkeit von Patron und Gemeinde, damit Männer von Kenntnissen, Geschicklichkeit und Ehrgefühl bewogen werden, ein Dorfschulamt anzunehmen: so wird es für die Zukunft an tüchtigen Landschullehrern gewiß nicht fehlen.“


Aus mancher nebenhin gemachten Bemerkung des Referenten gewinnen wir den Eindruck, daß sich auch das Leben des Gramzower Lehrers Rose in so engen und dürftigen Verhältnissen abspielte, wie sie uns heute nur noch schwer vorstellbar sind. Seine Wohnung befand sich im Schulhause, über dessen baulichen Zustand an anderer Stelle berichtet wurde; sie bestand für die sechsköpfige Familie aus einem Raum von 15 `` Länge und 12`Breite mit einem ganz kleinen Alkoven von ungefähr 50 Quadratfuß Größe, enthielt aber weder Kammer noch – Küche! Da er die Küster- und Organistendienste mit besorgte, war er zum Kurrendetragen verpflichtet, worüber die Lehrer im allgemeinen – wie Hoffmann sagt – „bittre aber gerechte Klagen zu führen haben, indem die meisten / so wie das auch hier der Fall ist / dafür keine Bezahlung aus der Kirchenkasse erhalten. Will und soll der Schullehrer nun nicht die Schule verabsäumen, so ist er genöthigt einen Bothen aus seiner Taschen zu lohnen, welchen er bey schlimmen Wege oder Wetter oft nicht einmal erhalten kann, und daher mehr als das gewöhnliche Bothenlohn bezahlen muß. Es wäre also wohl zu wünschen, daß entweder den armen Küstern diese Ausgabe aus den Kirchenmitteln vergütigt, oder dem Superintendenten als Commissarius Collegii erlaubt würde, aus den sämmtlichen Kirchen der Diocese einen Kreisbothen zu halten.“ Über Einnahmen aus nebenberuflicher Arbeit verfügte Rose nicht. Ein Handwerk hatte er nicht erlernt, „Seidenbau kann er aus Mangel des Gelasses nicht treiben, und in Ermanglung eines Gartens auch keine Baumzucht haben. Durch Unterricht in der Musik könnte er sich zwar einen kleinen Nebenverdienst machen; aber am hiesigen Orte fehl es zu sehr an Gelegenheit, auf diesem Wege etwas zu erwerben; auch läßt die Schule, besonders im Winter keine Zeit dazu übrig.“ An äußerer Anerkennung seiner schweren Arbeit fehlte es Rose „so wie den meisten übrigen Landschullehrern“ völlig, „zum Glücke für seine Schule aber“ wird in dem Bericht vermerkt, „ersetzt seine große Neigung zum Schulwesen und die richtigen Begriffe, die er von seinem wichtigen Berufe hat, den Mangel der äußeren Aufmunterungen.“ Hoffmann schlägt vor, ihm in Anerkennung seiner treuen und fleißigen Arbeit den Kantortitel zu verleihen (wobei er nicht hervorzuheben vergißt, daß das „stempel- und chargenfrey“ geschehen solle); „diese wohlverdienten Auszeichnung“ würde „der edeln Ehrliebe des übrigens sehr bescheidenen Mannes freilich nicht gleichgültig sein, und wenigstens auf das Vertrauen und die Zuneigung des Gemeinde, mithin auch auf sein Amt einen wohlthätigen Einfluß haben.“


Aus der ganzen Anlage des Berichts und unter Berücksichtigung der in ihm enthaltenen Urteile ist anzunehmen, daß die Schulaufsicht, die Superintendent Hoffmann zustand, im Interesse des Unterrichts durchgeführt wurde. Er selbst sagt, daß er die Schule „oft und mit Vergnügen“ besuche und sich „weil kein eigentlicher Religions Unterricht darinn gegeben wird, und auch aus Mangel an Zeit nicht gegeben werden kan“ häufig „von allerley gemeinnützigen Dingen mit den größeren Schülern“ unterhalte.
Die Gramzower Schule stand zu jener Zeit mit keiner anderen in organisatorischer Verbindung. Die auf dem etwas zwei Kilometer von Gramzow entfernten Vorwerk Zehnebeck wohnenden Schüler wurden so lange von einem dort ansässigen Kolonisten, der Invalide war, unterrichtet, bis sie buchstabieren und im Katechismus lesen konnten, später wurden sie dann auch in Gramzow unterrichtet. Zur Berichtszeit handelte es sich um sechs oder sieben Kinder, „die den Weg besonders im Winter nach der hiesigen Schule nicht machen können


© Thomas Hans-Otto Bredendiek
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