Aus dem Leben meiner seligen Eltern
Karl August Ferdinand Karbe und
Auguste Karbe, gebornen Fabricius
(Aufgeschrieben von Adolf Karbe, ev. luth. Pastor zu Angermünde)
Aufgeschrieben von Adolf Karbe, ev.
luth. Pastor zu Angermünde im Jahre 1868, abgeschrieben i. J. 1912, erneut abgeschrieben (von der Abschrift Walter Bredendieks, angefertigt um 1955) und mit Fußnoten und einem Namensregister versehen i. J. 1999 von Dipl.-Ing. Walter Arndt
Längst schon habe ich den
Vorsatz gehabt, das Bemerkenswerteste von dem, was ich aus dem Leben meiner
teuren seligen Eltern weiß, für die Familie aufzuzeichnen. Frommer und getreuer
Voreltern Gedächtnis in Liebe bewahren, hat ja gewiß einen Segen. Meinen teuren
Geschwistern August und Therese zu ihrer silbernen Hochzeit eine Freude
bereiten zu können, will ich mit Gottes Hilfe den Vorsatz nun ins Werk setzen.
Hat doch die selige Mutter schon, als Du, liebe Therese noch ein kleines
Mädchen warst, wie ich mich sehr deutlich erinnere, den Wunsch ausgesprochen, dich
einst durch einen meiner jüngeren Brüder zur Schwiegertochter zu bekommen, und
hat es die seligen Eltern mit besonders großer Freude erfüllt, als dieser
Wunsch, auch in August erwacht, von dir nicht zurückgewiesen wurde. Dabei muß
ich freilich vieles mitteilen, was meinen Brüdern, Schwester als miterlebt sehr
bekannt ist.
Mein seliger Vater war der
älteste Sohn des Königl. Oberamtmanns und Generalpächters von Chorin bei
Neustadt/Eberswalde:
Philipp Heinrich Karbe und unsere selige Mutter,
die Tochter des Pastors Christian Fabricius zu Satrup in Angeln.
Jener war geboren zu Amt Chorin, von der 2. Ehegattin des Großvaters, Julie
Dorothea Wilhelmine, geborenen Krause am Donnerstag, den 29. September 1780 als
erstgeborenes Kind dieser Ehe. In der heiligen Taufe - der Tauftag ist in dem
während einer Vakans im Pfarrdorfe Brodowin von der Predigerwitwe[2] geführten Kirchenbuche nicht angegeben - erhielt er den Namen Karl August Ferdinand.
Paten waren General Smidahl von Kowalsky aus Neustadt/Ebw.,
Justizamtmann Förster daselbst und Frau
Oberamtmann Baath aus Grimmnitz. Seine
glückliche Kindheit verlebte er zu Chorin im elterlichen Hause, und gewiß waren
ihm während derselben die erfreulichsten Ereignisse die Geburten seiner
jüngeren Geschwister und zwar
Ernst Leopold Friedrich, geb. am 22. Juni, getauft am
7. Juli 1782;
August Philipp
Georg, geb. den 5. Dez., getauft
den 26. Dez. 1784.
Albertine Juliane Philippine Auguste, geb. 11. Mai get. 27. Mai 1787
Julie Caroline Friederike Emilie, geb. 24. Juli, get. 15. August 1790.
Seine Eltern befanden sich in äußerlich sehr
glücklicher Lage. Mit sehr geringem Vermögen - 30 Friedrichsdors - hatte der
Großvater die Pachtung 1772 übernommen. Aber die sehr große Tüchtigkeit und
Tätigkeit des Großvaters in seinem Berufe bei großer Einfachheit und Anspruchslosigkeit
im Leben war von Gott reichlich gesegnet worden, und schon 1782 hatte er ein
eigenes Rittergut, Jäckelsbruch bei Wriezen im Oderbruch erwerben können, wozu
ihm das Wohlwollen, des damaligen Ministers von Voss königliche Genehmigung auswirkte, ohne welche damals
kein Bürgerlicher ein Rittergut besitzen durfte. Dabei hatte er schon mehreren
seiner Brüder die Übernahme von Domänenpachtungen: Sachsendorf, Torgelow,
Biegen, durch Fürsprache und Darlehen ermöglichte. können. Ja, er konnte einige
Jahre später noch die Generalpacht des großen Domänenamtes Gramzow mit den dazu
gehörigen Vorwerken: Zehnebeck, Weselitz, Wendemark, Potzlow, Drense, Grünow
und Seelübbe und den dazu gehörigen zum Teil großen Bauerndörfern: Meichow,
Briest, Fredersdorf, Melzow, Warnitz, Grenz, und halb Lützlow unternehmen und
dann sehr bald darauf nach Verkauf von Jäckelsbruch Sieversdorf bei
Frankfurt/Oder 1789 erwerben. Obwohl nun dieses Rittergut nicht großen Gewinn
bringen mochte, da es einem jüngeren Bruder zur Bewirtschaftung übergeben war,
der mit seiner Familie darauf lebte, auch die staatlichen Domänenvorwerke von
Gramzow, wie dieses selbst, mit Genehmigung der verpachtenden Behörde, des
Königl. General- Kriegs- und Domänen- Direktoriums in Berlin (die heutigen Regierungsräte
hatten damals häufig den Titel "Kriegsräte") mit nur geringer
Pachterhöhung verafter-pachtet waren, so brachte doch dies alles neben den sehr
tüchtig selbst verwalteten Wirtschaften in Chorin, Buchholz Pehlitz sehr gute
Einnahmen und bedeutenden Wohlstand zu Wege, so daß die Kindheit unseres
seligen Vaters durch Nahrungssorgen der Eltern nie getrübt wurde. Der Großvater
war ein Mann, in dem noch etwas von der Frömmigkeit früherer Geschlechter sich
zeigte, wie ich mich noch erinnere, daß mein seliger Vater von dem Bibellesen
meines Vaters erzählte und der Onkel Leopold in dem von ihm aufgesetzten
Nekrolog erwähnt, der Großvater habe Sonntagsnachmittags gern geistliche Lieder
gesungen, besonders "Wer nur den lieben Gott läßt walten".
Den beiden ältesten Söhnen ward
ein Hauslehrer gehalten in der Person des Kandidaten Karl Bülow, den ich, als ich in
Berlin studierte noch als Prediger in Friedrichsfelde bei Berlin kennengelernt
habe, als ich 1827 meine erste Predigt hielt.
In Beziehung auf die Ausbildung
ward wohl nichts gespart, obwohl sonst die Lebensweise sehr einfach war, wie mein
Vater erzählt, daß er 20 Jahre alt geworden, ehe er zum ersten
Frühstück etwas anderes als Biersuppe erhalten habe; und in dem schon erwähnten
Nekrolog des seligen Großvaters von Onkel Leopold ist ausgesprochen: "der
höchst einfach ausgestattete Amtssitz in Chorin gewährte sehr wenig
Comfort"; und daß der Großvater, als er sich schon in sehr brillanten
Umständen befand, "von seinen alten Möbeln, in deren Umgebung es ihm so
gut gegangen war, sich nicht trennen wollte." Beide Großeltern hatten wohl
eben nicht ein hohes Maß literarischer Bildung, wie ja denn der Großvater keine
andere Schule besucht hatte als die Dorfschule und von der Großmutter Briefe in
meinen Händen sind, in denen "fon mich" und "von mir" sich
geschrieben findet. Diese liebe Großmutter steht mir, besonders auch nach den
Erzählungen der seligen Mutter vor Augen als eine nicht große, eher kleine,
aber im Alter dicke Frau, die sehr herzlich lachen konnte, aber auch heftig
schelten, die auch Luxus und Staatmachen etwas liebte, aber um des einfachen
Ehegatten willen ihre Neigung dazu beschränkte, in der Wirtschaft tätig und
umsichtig, obwohl bei aller Lebendigkeit auch eine Freundin der Bequemlichkeit
war. Eine Abbildung von ihr habe ich nie gesehen, wohl aber von ihrer Mutter,
der Domänenrätin Krause, welche meiner Schwester
Luise ähnlich sähe.
Von Großvater besitze ich einen
Schattenriß, ein würdiges, ernstes Gesicht, erinnernd an unsern seligen Vater,
doch mit stattlichem Zopfe. Er ward allgemein geehrt von der Familie und von den
Vorgesetzten. Besonders war der Minister von Voß sein Gönner, und mein
seliger Vater erzählte gern von einem Besuch, den dieser hohe Herr in Chorin
gemacht auf einer Reise zur Inspektion der Domänen. Denn damals hatten Minister
und Präsidenten noch Zeit zu solchen Reisen, mit eignen Augen zu sehen, Land
und Leute aus eigner Anschauung kennen zu lernen, und nicht bloß hinter dem
grünen Tische nach dicken Aktenstößen Entscheidungen zu geben. Sie verbrauchten
ja nicht so unendlich viel Zeit und schöne Kräfte für die "Hohen
Häuser" wie jetzt.
Der Minister und der Großvater
fuhren auf der Feldmark umher, als plötzlich ein Fuchs aufspringt und eilig
davonläuft. Der Großvater den Namen seines hohen Gastes vergessend, ruft:
"Een Voß, een Voß!", was dem Minister erst, weil er den Fuchs nicht
sah, unverständlich und verwunderlich war, nach erfolgter Aufklärung aber zu
herzlichem Lachen Veranlassung gab.
So ein Generalpächter einer
Domäne in Preußen war damals in seiner politischen Stellung und, wo er der Mann
danach, auch in seiner socialen Stellung ein bedeutender Mann.
Er hatte nicht nur die gesamten
Vorwerksländereien in Pacht, sondern auch die Dienste, Geld- und Naturalabgaben
von allen Bauern im Amtsbezirk. Und wenn ein Bauer seine Schuldigkeit nicht
tat, konnte der Oberamtmann ihn entlassen und einen anderen einsetzen, wie ich
noch weiß, daß auf einem vacant gewordenen Bauernhof in Drense mein Großvater
den Vater des dort zu meiner Zeit lebenden Bauern Radatz, einen Bauernsohn aus
Potzlow, eingesetzt hatte. Der Oberamtmann hatte die Polizei in allen
Amtsdörfern und nahm früher auch teil an den Arbeiten des Justizamtes.
War er ein tüchtiger Mann, wie
unser Großvater, so sorgte er auch nach Kräften für das Wohl seiner Bauern und
kannte sie von Person nach ihrem Werte; es war noch viel Patriarchalisches in
dem Verhältnis. Die angeseheneren Bauern aus den Amtsdörfern luden zu ihren
großen Hochzeiten den Oberamtmann, den Justizamtmann und den Oberförster und ihre Familien ein.
Ich erinnere mich noch selbst
aus meiner früheren Jugend, wie ich aus dem Verkehr unsers seligen Vaters mit
den Staatseingesessenen einen Teil Bauern, namentlich die Schulzen und
Gerichtleute nach Namen und Person kannte. So wuchs denn unser seliger Vater in
sehr erwünschten Verhältnissen auf. Die Erziehung mochte wohl, da sein Vater
sehr beschäftigt war, nicht gerade streng sein und großer Freiheit Raum lassen,
wie denn schon früh ein eigen Reitpferd, ein kleiner "Falber" für die
Choriner Knaben angeschafft wurde und sie sogar von einem aus Berlin geholten
alten Stallmeister, namens Hennemann, im Reiten unterrichtet
wurden und dann früh den Vater auf den Ritten nach den Vorwerken begleiteten,
der seine große Freude daran hatte. Dabei mochte wohl manchmal ein brüderlicher
Wettstreit stattfinden, wer gerade dasmal der begünstigte Begleiter des Vaters
sein solle.
Eine etwas komische
Erziehungsscene aus Chorin teilte uns unser seliger Vater öfters mit. Es sollte
eine Besuchstour zum Onkel nach Neuendorf gemacht werden und unser Vater das
Mal den Vorzug haben, Leopold aber zu Hause bleiben. Weil man aber desselben zu
lebhafte Protestation und Geschrei fürchtete, ward Karl, unser Vater, einige
Zeit vor der Abfahrt, als hätte er etwas versündigt und Strafe verdient, in
feierlicher Procession und Leopolds Gegenwart ins Prison in das Sandloch unter
der Treppe auf dem Flur gebracht, hernach aber heimlich herausgelassen, mußte
er sich in der Wagenremise unter einem Wagensitz verstecken, bis er unterwegs
hervortauchen durfte.
Die Neigung zu den
landwirtschaftlichen Geschäften und ländlichen Vergnügungen mochte wohl die
Regelmäßigkeit des Unterrichts stören. Deshalb wurde unser Vater und Onkel
Leopold mit dem Kandidaten Bülow nach Berlin geschickt, wo
sie im sogenannten "Stelzenkrug" am Alexanderplatz wohnten und von
Bülow, der nebenbei auch das Predigtamt in Straulau bei Berlin erhielt,
beaufsichtigt, von ihm und andern Privatlehrern unterrichtet und nach einiger
Zeit aufs Joachimsthal'sche Gymnasium gebracht wurden, wo Vater nach Secunda
kam; ob auch Onkel Leopold, weiß ich nicht. Bei der Prüfung durch den berühmten
Direktor Meier-Otto ereignete es sich,
daß derselbe erst immer den jüngeren Bruder fragte, unseren Vater aber gar
nicht, bis sichs herausstellte, daß er unsern Vater, der schon sehr groß war,
für den Hauslehrer gehalten habe. Auf dem Gymnasium scheint sich unser Vater
die Zufriedenheit seiner Lehrer erworben zu haben; davon zeugt ein Praemium,
"Lawsons Vorlesungen über die Beredsamkeit" aus dem Englischen, mit
der vorn eingeklebten Anerkenntnis:
"Auctoritate senatus scholasticii regii gymnasii
Joachimiae Praemium Caroli Karbe modestiae et diligentiae in classe Rhetor.
hec. spectate publice tributum a Rector et Professoribus Anno 1800.”
Meierotto.
In dieser Zeit des Berliner
Schülerlebens ereignete sich ein Vorfall, den mein Vater mir erzählt und dessen
sich der berühmte Arzt, Geheimrat Heim, als ich ihm in meiner
Gymnasialzeit einst in einer kleinen Gesellschaft vorgestellt wurde, mit großer
Lebendigkeit erinnerte. Dem Vater und seinem Bruder wurden zur Sicherung die
natürlichen Pocken geimpft. Es kamen aber dem Arzte, der die Impfung verrichtete,
Zweifel, ob die sich zeigenden Pocken auch rechte oder Windpocken seien, und es
wurden die berühmtesten Ärzte, auch die Kgl. Leibärzte Selle und Heim und andere
zugezogen und ein medicinischer Streit darüber geführt, der auch in die
wissenschaftlichen Annalen der Medicin kam. Heim, der es für bloße Windpocken
hielt und also den Fortgang der eingeimpften Pocken leugnete, hatte Recht; denn
der Vater und sein Bruder bekamen nachher doch noch die natürlichen Pocken, und
der alte Heim wußte sich noch, als ich ihm, wie gesagt, über 20 Jahre später
vorgestellt wurde, mit seinem Siege nicht wenig. Unter den Mitschülern erwarb
sich der liebe Vater manche Freunde, deren einige später einen Namen bekommen
hatten, die sich aber, da er sehr jung selbständig wurde, auf der Universität
wohl schon sein freundliches Herz und seine Wohltätigkeit zunutze machten.
Im Jahre 1799 verlor er den Vater nach langer
Kränklichkeit und vielem Leiden, welche zu einer Reise nach Karlsbad in
Begleitung des Onkels Leopold führte, der wohl nach seiner Natur auf einer
Reise, die ja mit eigenem Gespann gemacht wurde, anstelliger sein mochte (oder
blieb der Älteste zurück, weil er bald zur Universität gehen sollte?). Dort am
Kurort wurde das Leiden immer schlimmer und, um nicht in der Fremde zu sterben,
wurde die Rückreise schon nach 14 Tagen angetreten. Aber der Großvater kam nur
bis Berlin, wo er in Herrn Hagens Hause im "Goldenen Hirsch" den 22. Juli
1799, abends 6:30 Uhr starb. Er stand noch in kräftigem Mannesalter von 56
Jahren. Die Ursache seines Todes war eine knorplige Verengung des Magenmundes,
wozu der Grund schon in der Zeit der großen Traurigkeit über den Tod der ersten
Frau sollte gelegt sein. Die Leiche ward in Sieversdorf im Gewölbe beigesetzt,
ist aber später auf dem Kirchhofe an einer sehr schönen Stelle unter hohen
Linden neben dem Leichnam der Großmutter eingesenkt worden. Dem kindlichen
Herzen unsers Vaters war der schnelle, unverhoffte Tod seines Vaters ein großer
Schmerz. Den Trost rechten aus Gottes Wort kannte er noch nicht, war doch seine
Konfirmation und der vorhergehende Unterricht durch den Oberkonsistorialrat Dietrich, einem der Herausgeber des verrufenen sogenannten
Mylius'schen Gesangbuches von 1780, ohne allen Eindruck auf Herz und Gemüt geblieben,
wie unser teurer Vater später selbst erzählte und mir mitteilte, daß weder
Bibel noch Katechismus bei dem ganzen Unterricht gebraucht worden war. Der
Großvater hatte wohl eine gute Wahl zu treffen geglaubt, aber fehlgegriffen.
Doch war im Großvater selbst mehr Gottesfurcht geblieben, als in jener Zeit bei
den Höherstehenden sonst zu finden war, und hatte seine große väterliche Liebe
und die Ehrfurcht, die sein ehrenwertes Leben einflößen mußte, sich tief in
seiner Kinderseelen eingeprägt, wie die Erzählungen meines Vaters von dem
seinen in meinem jungen Herz einen großen Respekt vor meinem seligen Großvater,
ich möchte sagen, eine Art Stolz auf ihn gepflanzt hatte.
In der äußeren Lage der Familie brachte der Todesfall
keine Änderung hervor, sie war für jene Zeit wohl glänzend zu nennen. Jedes
Kind erbte 30000 Rth., und der Großmutter Wittum bestand in dem Plus der
Pachtverträge der verafterpachteten Vorwerke von Gramzow und der Choriner
Wirtschaft. Die ökonomische Leitung wurde dem sehr tüchtigen, zum
Amtsassistenten ernannten Neffen und Vetter August Karbe, nachherigem Amtsrat zu
Blankenburg übergeben und blieb gewinnreich. So bezog der Vater denn die damals
preußische Universität Erlangen im Jahre 1800 und ein Jahr darauf Göttingen mit
dem reichen Wechsel von 800 Th. Er hielt sich ein Reitpferd und machte viele
Reisen, ohne dabei die kameralistischen, historischen und
naturwissenschaftlichen Kollegia, die er hörte, zu versäumen. Eine Zeitlang
hatte er ein Pferd, das so schön bocken konnte, daß nur er selbst und sein
Freund Lentz von allen Studenten es reiten konnten. Er
selbst hatte schon in Berlin als Gymnasiast die Reitkunst gründlich erlernt
und ritt noch in späteren Jahren besser als alle seine Söhne. Von dieser Zeit
erzählte er gern, und ich hörte die Namen seiner Schul- und Universitätsfreunde
nennen, wie Karl v. Raumer, nachher sehr bekannt, ja
berühmt als Professor in Erlangen; v. Bärensprung, später Oberbürgermeister
in Berlin; Menz, später herzoglich braunschweigischer
Minister; v. Gerlach, Kaiser, später Geh.
Ober-Finanzrat in Berlin; v. Ernsthausen und andere. Von manchen
derselben habe ich noch Briefe aus des seligen Vaters Nachlaß aus denen
hervorgeht, daß er bei allem studentischen, fröhlichen Leben durch Ernst der
Gesinnung und sittliche Haltung sich allgemein Achtung zu erwerben gewußt. Auch
aus den zahlreichen und teilweise sehr ausführlichen Briefen des
Amtsassistenten Karbe, die voll
landwirtschaftlicher Theorie und Praxis sind, erhellt nicht nur, wie der liebe
Vater in seinem Fache sich theoretisch auszubilden suchte, sondern auch, daß er
in der Familie als solider junger Mann ein gutes Ansehen genoß.
Nach Göttingen war ihm Onkel Leopold nachgekommen, und
die beiden Brüder wohnten zusammen. Von diesem, ihrem Zusammenleben, erzählte
der Vater gern die komisch Anekdote, wie er und Onkel Leopold eines Tages bei
ihrem Mittagsessen, das sie auf dem Zimmer aus dem Speisehus verzehrten, über
eine geschmorte Backpflaume, die bei ungerader Zahl der gewissenhaft
abgeteilten Pflaumen übriggeblieben, von einem jedem beansprucht worden, in
Kabbeln, dann ins Balgen gekommen, während dessen das Objectum litis von ihrem
Pudel aufgefressen worden, wodurch sich dann der Streit sofort in fröhliches
Lachen aufgelöst habe. Nach zweijährigem Besuch der Universität sollte nun der
Eintritt ins praktische Leben erfolgen. Um sich eine Stelle dazu auszusuchen,
machte er - irre ich nicht, mit Onkel Leopold zusammen - noch von Gottingen aus
auf einem zierlichen Kabriolett - das später zu Gramzow in ein vierrädriges
Karriol verwandelt, uns Kindern allen in lebhafter Erinnerung sein muß, denn
der Vater gebrauchte es von den 20er Jahren an bis zu dem großen Brande in
Gramzow fast täglich zu seinen Feldtouren- mit seinem Reitpferde bespannt, eine
Reise über Hamburg nach Holstein. Dort gefiel ihm in ökonomischer Beziehung am
besten die Wirtschaft zu Rixdorf bei Plön, die ein Herr Kersten gepachtet hatte. Doch
sagte ihm die Familie nicht zu und darum zog er es vor, mit dem Besitzer des
schönen und großen Gutes Rögen bei Eckernförde auf der Halbinsel Swanson, den
schleswigschen Kammerrat Reiche, zu verabreden, daß er
gegen 400 Thl. Pension bei ihm als Eleve eintreten solle.
Dies ward für das ganze Leben unsers lieben Vaters sehr
wichtig. Denn als er nun 1802 dort eintraf, fand er dort im Hause eine entfernte
junge Verwandte, ein sehr hübsches, lebhaftes geistvolles Mädchen vor. Und das
war unsere liebe, teure Mutter! Die Eröffnung der Bekanntschaft geschah auf
eine etwas komische Weise. Dort angekommen und zum Herrn Kammerrat Reiche ins
Familienzimmer geführt, sieht er in demselben niemand als ein hübsches, junges,
etwa 20 - jähriges Mädchen, das den Tee bereitet. Und das erste Wort, das er an
sie richtet, die einst seine Frau werden sollte, ist die Frage, nach ihrer
Neigung zum Eintritt in ein Kloster. Und das ging so zu:
Der Vater ist bald mit Reiche in ein Gespräch gekommen
über die Verhältnisse der bürgerlichen Gutsbesitzer (lebhaftes) in
Schleswig-Holstein. In Preußen mußte ein Bürgerlicher zum Ankauf eines
Rittergutes Königliche Genehmigung erlangen. Reiche teilte nun mit, der einzige
Unterschied in den Berechtigungen, adliger und bürgerlicher Gutsbesitzer in
Schleswig - Holstein sei der, daß die adligen Töchter Aufnahme in die adligen
Fräuleinstifte zu Preez, Uetersen, Itzehoe und Schleswig finden könnten. Da
fährt es dem Vater durch den Sinn: das ist eine gute Gelegenheit, die Tochter
ins Gespräch zu ziehen. Und halb neckend fragt er unsere Mutter, die er für
eine Tochter des Hauses hält: "Nun, liebe Demoiselle, Sie beneiden wohl
die adligen Fräulein um dies Vorrecht ins Kloster gehen zu dürfen?" Die arme Fabricius, ein zwar sehr heiteres,
aber doch noch blödes und schüchternes Mädchen, die nur mit Zagen dem Befehl
nachgekommen war, ins Zimmer zu gehen, den Tee zubereiten, ist ganz verdutzt
über die Frage und weiß keine Antwort. Der fremde, große Preuße, zwar von
stattlicher Figur, aber keineswegs hübsch, (der Vater war im Alter ein schöner
Greis, damals aber noch von den großen Pockenflecken im Gesicht entstellt)
kommt ihr erst recht wunderlich vor. - Welcher Tag im Jahre 1802 dieser glückliche
Tag gewesen, an dem Gott unsere lieben teuren Eltern zu ersten Mal
zusammengeführt, habe ich nicht ausforschen können, nicht einmal den Monat. Aus
den paar Briefen, die an den Vater aus dem Jahre 1802 in meinem Besitz sind,
geht hervor, daß er Ostern 1802 Göttingen verlassen hat. Höchst wahrscheinlich
ist er doch erst nach Chorin gegangen und also im Frühling 1802 in Rögen
eingetreten; verlassen hat er es am 30. März 1803. In diese 10 bis 11 Monate
fällte nun die schöne Zeit, von der die liebe Mutter so gern erzählte, in
welcher die lieben Eltern sich zuerst näher kennen und schätzen lernten, in der
die innige Zuneigung sich entwickelte und dann gegenseitig kund tat, und die
ersten Monate des Zusammenlebens im Brautstande. Das Leben im Reiche'schen
Hause war angenehm, nicht daß, was man nennt ein Haus gemacht wurde. Aber
Reiche war ein kluger und in der Unterhaltung, namentlich für Land- und
Saatswirte interessanter Mann, und ihre Mutter eine sehr liebenswürdige,
achtungswerte Frau.
Die 7 Kinder: Fritz, Heinrich, Karl, Wilhelm, Ferdinand,
Line und Luise wuchsen in großer Freiheit auf, grundsatzgemäß, weil die Mutter
von einem überstrengen Vater erzogen worden war, der immer, selbst bei Tische,
die Peitsche in der Hand gehabt und darunter geschlagen hatte. Vom Putz und
Staatmachen war aber nie die Rede. Die Knaben gingen sogar fortwährend, selbst
über Feld und Land ohne Kopfbedeckung. Es kam viel Besuch, geschäftlicher und
verwandtschaftlicher, aber sonst wenig oder kein Verkehr, der zu Gesellschaftgeben,
Bällen oder dergleichen geführt hätte. Auch waren neben unserm Vater noch
mehrere landwirtschaftliche Eleven im Haus, wie ein reicher Kaufmannssohn, Herr
Jacob Lorentzen aus Kiel, ein Herr Schmidt, ein Herr Hink und andere. Das
Aussprechen der Neigung muß im Monat August geschehen sein, denn aus einem
Briefe vom Vetter dem Amtassistenten zu Chorin, vom 18. September 1802 ist zu
ersehen, daß unser lieber Vater in einem Briefe vom 1. September seine Mutter
um ihre Einwilligung und ihren Segen zu seiner Verbindung mit Auguste Fabricius gebeten.
Indem ich nun bis hierher gelangt bin, will ich jetzt
erst unserer lieben Mutter Kindheit und Jugendzeit bis zum Brautstande
darzustellen suchen, soweit ich davon weiß. Unsere teure, selige Mutter war die
jüngste Tochter des seligen Pastors Christian Fabricius in Satrup in Angeln und
dessen dritter Ehefrau Marie, Lucie, geb. Esmarch. Wie unsers Vaters Eltern
ganz aus landwirtschaftlichen Familien herstammen, so die der Mutter ganz aus
echten Pastoren-Familien. Der Vater unsers Großvaters war von 1725 bis 1753,
dessen Vater von 1686 bis 1725, und dessen Vater, Johann Christian Fabricius aus Tondern, 1649 bis
1686 Pastoren in Loyt bei Apenrade. Auch bei den Esmarchs läßt sich die Familie
bis auf einen Pastor im 16. Jahrhundert verfolgen, der seinen Namen Claussen mit dem seines
Geburtsortes Esmarch in Angeln vertauschte. Unser Großvater Fabricius ging
einst als Kandidat bei einem Besuch bei dem Pastor Esmarch in Boel, einen
strenggläubigen Mann, der der Neologie (neue Lehre, Rationalismus) sehr
entgegen war, mit demselben aus der Wohnstube durch die Schlafstube in die
Studierstube und hört in der Schlafstube in der Wiege ein Kindlein herzhaft
schreien. "Nun sehen Sie sich nur das kleine Mädchen recht an, es kann
noch einmal ihre dritte Frau werden!" sagte Pastor Esmarch zum Kandidaten
Fabricius, als der an die Wiege getreten war. Er sagte das völlig im Scherz das
"dritte Frau", und doch, die kleine Schreierin, Marie Lucie, wurde in
der Tat die dritte Frau unsers Großvaters. Ich lasse hier den Extrakt aus dem
Totenregister zu Satrup folgen:
"Gestorben den 8. Juni 1789, begraben, den 12. Juni,
Herr Christian Fabricius, treuer Lehrer dieser Gemeinde, des weiland Herrn
Lorenz Fabricius, ersten Prediger zu Loyt im Amte Apenrade, und weiland Mariane Rhost eheleiblicher Sohn, alt
56 Jahr, 3 Monate und 8 Tage.“
Er war verehelicht: Zum ersten Mal mit weiland Katharina Fabricius, aus welcher Ehe er einen
Sohn hinterläßt, Lorenz Wilhadus Fabricius; zum zweiten Mal mit
weiland Marie, geb. Brodersen, Tochter des Pastors
Brodersen in Havetoft, gest. den 18. August 1773 25 Jahr 10 Monate alt; zum
dritten Mal mit Frau Marie Lucie, geb. Esmarch aus Boel, aus welcher Ehe
folgende Kinder am Leben sind:
1.
Heinrich Erich, geb. 29. April, get. 2. Mai 1776
2.
Friedrich Christian, geb. 13. Juni, get. 18. Juni 1778
3.
Maria Katharina, geb. 2. Juli, get. 6. Juli 1780; Gevattern:
Frau Marie Esmarch aus Boel, Mademoiselle
Benedicta Kamphörener aus Cliscbüll, Mr. Jürgen Leck aus Kiel
4.
Christiane Auguste, geb. 3. Dec., get. den 9. Dec. 1782
Gevattern: Frau Katharina Lecken in Satrup, Mdm. Augusta
Magdalena Esmarch in Boel, Herr Christian
Hieronymus Esmarch aus Kopenhagen
5.
Peter, geb. 2. Juli, get. 6. Juli 1786
6. Christian, geb. 12. Juni 1789, get. eodem, dem
Begräbnistage seines Vaters von dem Herrn Pastor Brodersen in Havetoft.
Seine Gelehrsamkeit, Redlichkeit und Rechtschaffenheit
ist allgemein bekannt. Die Treue, welche er als Lehrer bewies, machte ihn
seiner Gemeinde sehr schätzbar. Allen, die ihn kannten, war sein Abschied, der
plötzlich und unvermutet erfolgte, sehr schmerzhaft. Gottes besondere Gnade und
Fürsorge walte über die hinterlassene Frau Witwe und lieben Kinder. Sein
Andenken sei gesegnet."
Ich bemerke, wie der Ton dieser Kirchenbuch-Notizen nicht
mehr wie aus der Zeit des streng orthodoxen Pastors Esmarch zu Boel lautet,
dennoch aber einen unendlichen Vorzug hat vor den streng schematisierten
Kirchenbuchs-Eintragungen unserer Zeit, wobei kein Raum sich findet zu etwas
weitergehenden geschichtlichen Notizen, noch weniger zum Aussprechen der
gemütlichen Teilnahme und frommer Wünsche.
Die in dem Satruper Kirchenbuch über die Witwe und Kinder
des treuen Lehrers ausgesprochenen Wünsche sind erfüllt worden. Es war große
Not und Armut bei der hinterlassenen Witwe und den Kindern.
Erst half noch das Gnadenjahr, und die Großmutter war
nach allem, was ich weiß, ein Muster von Hauswirtin in einer kleinen Häuslichkeit.
Ich habe noch ein altes Notizbuch von ihrer Hand, worin genau eingetragen ist,
wieviel gebuttert, wieviel Eier gelegt, wieviel Getreide nach der Mühle
geschickt, wann die Kühe gekalbt, wieviel Milch sie gegeben und dergl. Dann
alle Geldausgaben aufs genauste, und alles in hübscher klarer Handschrift, wie
von ihren Enkeln und Enkelinnen die wenigsten sie haben. Sie hatte aber kein
Vermögen und 6 unversorgte Kinder. Als sie nach 43-jährigem Wittum zu Reinfeld
in Holstein 1832, den 24. Sept. starb, waren ihre Kinder längst alle glücklich
versorgt und verheiratet und schon eine Schar von 29 Enkeln und 4 Urenkeln
vorhanden. Von den Söhnen haben 3 studiert. Heinrich starb als Justizrat und
Amtsverwalter im holsteinischen Amte Steinburg zu Itzhoe; Christian,
"Onkel Pastor" in der Familie genannt, starb 1849 ohne Kinder als
Pastor zu Ahrensböck, ein ganz besonders liebenswürdiger Mann; der jüngere
Christian als Etatsrat und Stadtpräsident, sowie als Obergerichtssekretär zu
Glückstadt 1840. Peter kam als Jüngling nach Gramzow, lernte dort die Ökonomie,
wurde aber auf Betrieb der Tante Julie Karbe zu Chorin "Hermann"
genannt, weil ja doch ihr Schwager nicht so heißen könnte wie ihr alter Kater
"Peter" in der Küche. Sie bekam aber dafür einen "Peter",
Peter Meyer, zum Mann. Dieser Onkel
Hermann wurde erst Administrator, dann Pächter und dann wieder Administrator
unsers väterlichen Gutes Speck in Hinterpommern. Er starb als Rentier in
Gramzow. Die älteste Tochter wurde verheiratet an den damaligen Subrektor Jacob Decker zu Husum, meinen teuren
Schwiegervater, der lange Jahre als Leiter des einzigen Schullehrer-Seminars in
Schleswig-Holstein zu Tondern einen weithingehenden, segensreichen Wirkungskreis
hatte und 1834, den 24. Juli als Pastor in dem lieblichen Reinfeld bei
Oldeslohe gestorben ist, ein gläubiger Mann in einer Zeit, das seltener unter
den Gelehrten und Pastoren war wie heute. Er erhielt als Anerkennung den Titel
"Professor" und den Ritterorden des Danebrog.
Unsere Großmutter Fabricius mußte nach dem Gnadenjahr
großenteils ihre Kinder aus dem Hause geben. Sie wohnte, bis sie ihre eigene
Häuslichkeit ganz aufgab und zu den Kindern nach Husum, Tondern und Reinfeld
zog, in Rüde und Südensee in Angeln, in sehr lieblicher Gegend, wovon unsere
Liebe Mutter noch oft mit Freuden sprach. Doch mußten die zwei ältesten Söhne
auf Schulen, der dritte, Peter, kam zu einem Onkel, Pastor Zahle, auf der Insel Seeland
und unsere liebe Mutter nach einiger Zeit nach Jevenstedt bei Rendburg in das
Haus des Pastors Johannsen, an den ihre
Mutterschwester und Patin verheiratet war.
Die Großmutter behielt bloß die älteste
Tochter Marie und zuerst die beiden jüngsten Söhne bei sich. Der jüngste, ein
sehr schwächliches Kind, lernte erst 4 Jahre alt gehen. Die so zerstreute
Familie wurde aber durch ein äußerst lebendiges, festes und doch auch zartes
Band unter einander innerlich fest verbunden, und was die liebe Mutter aus
ihrem Jugendleben von Mutter und Geschwistern erzählte, mußte in der Tat hohe
Achtung vor einer solchen Familie erwecken. Unsere Mutter war ein begabtes,
frisches heiteres Kind, aber im Hause ihres Onkels war für sie kein guter
Platz. Der Onkel war nicht bloß in vielfacher Beziehung wunderlich und dadurch
fast ein Quälgeist der Seinen, - Kinder hatte er nicht, und unsere Mutter mag
wohl oft die wunderlichen und bösen Launen des Onkels haben fühlen müssen, -
sondern auch als Geistlicher, ja, als Mensch, wenig achtungswert. Die Mutter
wurde nur in die Dorfschule geschickt; der verheißene Privatunterricht des
Onkels kam eigentlich gar nicht zustande. An nützliche, bildende Bücher wurde
nicht gedacht; Jahrelang war der dänische Hof- -und Staatskalender die
Hauptlektüre, woher denn die liebe Mutter ihre besondere Neigung zur Genealogie
der fürstlichen Häuser Europas und ziemliche Kenntnis darin bekam. (40) Später
kamen ihr Unterhaltungsbücher ohne Auswahl in die Hände. Dabei genoß sie im
ganzen eine große Freiheit. Aber Gottes besondere Gnadenfürsorge waltete über
sie und verhütete schlimmere Eindrücke. 1801 oder 1802 kam sie nach Rögen in
das schon bekannte Haus des Kammerrats Reiche. Es waltete eine
entfernte Verwandtschaft ob. Ich glaube, Reiches erste Frau war eine geborne Niemann, eine Schwester der Tante Esmarch in Rendsburg, der Frau
des Zollverwalters, Justizrates Christian Hieronymus Esmarch, des Bruders der seligen Großmutter
Fabricius. So war nun der nachherige "Onkel Pastor" dort Hauslehrer
geworden, und unsere liebe Mutter kam dorthin zur Hilfe der Hausfrau, besonders
in den oberen Regionen des Hauses, nicht eigentlich in dem, durch die große
(41) Landwirtschaft herbeigeführten Haushalt, und als etwas ältere Genossin der
ältesten Tochter des Hauses, Line Reiche, mit der die Mutter eine
sehr herzliche Freundschaft schloß, und von deren großer Liebenswürdigkeit sie
oft erzählte. Dieselbe heiratete später einen jüngeren Sohn aus dem großen
dänischen Hause der Grafen Kragh Fuel Wind Friis af Friesenborg. Reiche machte etwa 1809
oder 1810 bankerott, nachdem er geisteskrank geworden, und von den Kindern
übernahmen die lieben Eltern die Sorge für den einen, Karl, der beim
Königlichen Hofgärtner Braune, der 1804 den Gramzower
Garten angelegt, die Gartenkunst erlernte. Er ging 1813 als Freiwilliger unter
die Lützower Jäger, wie auch sein Bruder Heinrich, ward Offizier im 22.
Linien-Regiment, Ritter (42) des eisernen Kreuzes und ist als Major a.D. in Neiße
ohne Nachkommen gestorben.
Ich komme nun zu der Zeit zurück, da unsere lieben Eltern
ihre Liebe einander bekannt und den Bund der Herzen geschlossen haben. Die
erste Zeit brachte eine bedeutende Störung der Freude. Der selige Vater war
der freudigen Einwilligung seiner Mutter doch zu gewiß gewesen, auch wohl weil
er sich bewußt war, bis dahin von seinen Eltern bei seinem Tun und Lassen und
ganzen Lebensrichtung Lob und Zustimmung erhalten zu haben. Ich kann nun hier
nicht umhin, den lieben jüngeren Verwandten, die diese Mitteilungen aus dem
Leben ihrer so allgemein hochgeschätzten Großeltern lesen werden, eine Warnung
vor dem frühzeitigen Verloben und (43) namentlich vor dem Verloben
auszusprechen, bei welchem man erst den "geliebten Gegenstand", wie es
wohl ausgedrückt worden ist, und dann erst die Eltern fragt. Mein Vater war da
in einer selten günstigen Lage, für seine Jahre auch schon geistig früh gereift
und er konnte nach nicht zu langem Brautstande seine Erwählte in seinen eignen
Hausstand führen. Auf die Bitte vom 1. Sept. 1802 erfolgte erst unter dem 18.
Sept. und zwar nur indirekte Antwort. Die Großmutter schrieb gar nicht selbst,
sondern der Vetter Amtsassistent mußte in ihrem Namen antworten. Der schrieb
nun vom ”Bösesein der Mutter", wovon sie schwer abzuhalten gewesen, von
"zu heftiger Leidenschaft", die leicht von der Erlernung der (44)
noch so nötigen praktisch ökonomischen Kenntnis abziehen könne.
Wenn er sich diese erworben haben würde, werde die Mutter
gewiß nicht abstehen, einzuwilligen. Fürs erste möge er nicht zu viel um die
Einwilligung bombardieren. Das ”Bombardieren” muß denn doch nicht ausgeblieben
sein. Schon am 10. Oktober schreibt unser lieber Vater aus Rögen an seine
"herzlich gelibte Auguste" nach Jevenstedt, (dahin, wo die Mutter und
Schwester bei Onkel und Tante Johannsen die Einwilligung
angelangt, daß die Mutter auch geschrieben, jetzt lebten, war sie gegangen,
bald nachdem sie sich verlobt) der Mangel des Vermögens sei ihr gleichgültig,
doch wurden die Besorgnisse noch einmal hervorgehoben. Sehr froh antwortet die
glückliche Braut (45) von Jevenstedt aus unter dem 15. Okt., daß sie nun das
frohe Bewußtsein habe, daß durch ihr Glück niemand gekränkt werde. "Die
heiligen Rechte einer Mutter dürfen nicht gekränkt werden!" schrieb sie
auch. Diese Einwilligung scheint aber doch erst durch fremde Feder geschehen zu
sein, denn ein Brief von der Großmutter eigener Hand vom 19. Nov. spricht noch
einmal von dem Schmerze, daß sie nicht weiter als dem nach kenne, und fährt
denn wirklich rührend fort:
"Weil ich Deinem Glücke nichts entgegensetzen will,
so gebe ich meine Einwilligung zu einer Verbindung, die mich so nahe angeht,
mit Tränen in den Augen aber mit so kaltem Herzen. Weil ich Deine Geliebte (46)
nicht kenne, so kann dies nicht anders sein, und ich kann unmöglich eigenes
Interesse gegen ein Mädchen hegen, das ich nicht gesehen habe. Da Du sie aber
gesehen, und Du sie heiratest und glaubst, dadurch glücklich zu werden, so muß
ich es mir schon gefallen lassen, weil ich so wenig zu ihrem Lobe wie zu ihrem
Nachteile anzuführen weiß, da ich sie nicht kenne. Es ist also alles Weitere
überflüssig; halte Wort und beweise durch Deine Handlungen, daß ich nicht
Ursache habe, über diesen für mich so unerwarteten Schritt unzufrieden zu
sein."
Ein Brief vom Amtsassistenten enthält auch noch die
Worte: "-- ich kann Dir nicht allein sagen, daß Mutter darüber gar nicht
mehr böse ist, sondern daß sie darüber schon lacht, sogar sich freut und sagt,
daß ihr die (47) Geschichte viel Spaß macht." Man sieht aber doch, wenn
die liebe Mutter bei persönlicher Bekanntschaft mißfallen, namentlich auch
Untüchtigkeit als Hauswirtin kund getan hätte, so würde sie einen sehr schweren
Stand gehabt haben dieser Schwiegermutter und der ganzen Verwandtschaft
gegenüber. Aber sie hat sich durch ihre sehr tüchtige Natur und die Treue in
ihrem Beruf als Gattin, Mutter und Hausfrau und durch die innig hingebende
Liebe für ihren Mann, wie durch die Annehmlichkeit ihres Umgangs große Achtung
und Liebe vonseiten ihrer neuen Mutter und der ganzen Familie im neuen
Vaterlande erworben. Übrigens will ich noch erwähnen, daß sie schon vorher auf
Männer einen tieferen Eindruck gemacht und Heiratsanträge bekommen (48) hatte.
Ein junger Herr Schmidt, auch Pensionär in Bögen,
also auch aus wohlhabender Familie, hatte sich indirekt gegen einen Dritten ich
glaube gegen den Onkel Christian, ausgesprochen und auch so indirekt einen Korb
erhalten, weil die Mutter sich ohne Neigung für ihn fühlte. Dagegen ein älterer
Herr, ein reicher Kaufmann Alsen aus Altona, der sie noch
in Jevenstedt beim Onkel August kennen gelernt hatte, macht ihr bei einem
Besuche dort in Gegenwart von Onkel und Tante einen ernstlich gemeinten
Heiratsantrag. Sie, ja noch sehr jung, faßt die Worte ganz unbefangen als einen
unfeinen Scherz auf, springt schnell auf den Flur, holt dort einen alten,
leeren, durchlöcherten Torfkorb und setzt ihn mit höflichem Knix vor den alten
Herrn hin und läuft dann lachend fort. (49) Der alte Herr ist nun sehr
beleidigt, der Onkel böse auf die mutwillige Nichte, die eine so vorteilhafte
Partie so schnippisch ausschlägt; sie aber muß sich schelten lassen, ist
indessen froh, daß sie es aus Irrtum so aufgefaßt, weil sie nun ohne weiteres
von der Sache loskommt, die sonst viel Not hätte machen können. Beide Herren
sind übrigens später doch in den Ehestand getreten.-
Der Brautstand der lieben Eltern dauerte nun noch bis
Ende Februar 1804. Bis Ostern war der Vater noch in Kögen, und die Mutter
scheint nach erfolgter Einwilligung aus Chorin auch wieder dorthin zurückgekehrt
zu sein, denn ich finde aus den zahlreichen Brautbriefen gar keinen aus der
Zeit vom Nov. 1802 bis April 1803. Diese
Briefe machen nun den freundlichen Eindruck zweier in ihrer Liebe sehr
glücklichen und ganz befriedigten jungen Herzen, Sie schreiben zärtlich, aber
nicht überschwenglich und schwärmerisch, fleißig und lang; sie leben ganz
miteinander fort, teilen sich aus den Ereignissen des täglichen Lebens viel Kleinigkeiten mit
und sehen mit froher Zuversicht in die Zukunft hinein, sprechen dabei auch
viele gute Vorsätze aus, aber noch ohne alle Beziehung auf Gottes Wort und sein
teures Evangelium von Christo. Das sollten sie erst durch Gottes gnädiges
Führen und- durch das Kreuz und Leiden später im Ehestande kennen lernen. Ich muß mich enthalten, daraus
Mitteilungen zu machen, wozu ich mich versucht fühle. Doch die Äußerung aus
einem Briefe der lieben Mutter kann ich nicht zurückhalten, (51) wo sie sagt,
daß sie, weil sie gar kein Vermögen mitbringe, desto mehr die Pflicht fühle und
den Vorsatz habe, durch Treue und Sparsamkeit in der Wirtschaftsführung dies
soviel wie möglich wieder gutzumachen. Nun, das hat die teure Mutter redlich
getan. Ich bin gewiß, ohne eine so treue, fleißige und sparsame Hausfrau würde
es dem seligen Vater nicht gelungen sein, die schweren ökonomischen Zeiten, die
er später erleben sollte, durchzumachen und nicht allein seinen Kindern sein
ererbtes Vermögen, zu hinterlassen, sondern es auch noch zu vermehren; ein
Segen, für den vielleicht keins der Kinder den seligen Eltern so viel Dank
schuldet als gerade ich. -
Am 30. März 1803 trennte sich das liebe Brautpaar in (52)
Jevenstedt; der Bräutigam auf seinem "Engländer" ritt auf Hamburg zu.
Das erste Nachtquartier war in Rostorf bei Breitenburg bei Sr. Exzellenz, dem
Grafen von Ranzau, der beim Abendessen
selbst die Gesundheit der Demoiselle Auguste Fabricius ausbrachte und am andern
Morgen selbst dem jungen Preußen eine Visite auf seinem Zimmer machte. Der
Vater war durch den Haushofmeister des alten Grafen, einem Herrn Neubauer der vorher in Chorin
gewesen, und den er auf früheren Reisen besucht, bei dem sehr vornehmen, aber
sehr gütigen alten Herrn eingeführt worden. Er erzählte gern von demselben und
wie er bei dem ersten Besuche ein Versehen gegen die, wenigstens damals,
vornehme Sitte gemacht. Der alte Herr, dem das Stehen schon schwer wurde, war
(53) nämlich von seinem Gaste nicht zum Sitzen aufgefordert worden und hatte
darauf warten müssen, bis Herr Neubauer dem Vater sagte, er möge doch zum
Sitzen nötigen. In Hamburg, wo das zweite Nachtquartier gemacht wurde, hatte
der Vater, was ich hier nachholen will, sich im Jahre vorher von Rögen aus in den
Freimaurerorden aufnehmen lassen. Kirche und Vaterland ließen damals ja viele
Herzen ganz leer und es kamen wohl ernstere, auf höheres gerichtete Seelen zu
solcher Geheimbündnerei. Der liebe Vater war von seinem Lehrer Bülow von fern damit bekanntgemacht
worden. Weil er aber in Preußen vor erlangter Volljährigkeit nicht Glied des
Ordens werden (54) durfte, wohl aber in Hamburg, hatte er schon im Sommer 1802
eine eigene Reise dahin gemacht. Die Geschichte, das heißt, die bloße Aufnahme,
kostete indessen doch einige 30 Taler. Ein emailliertes blaues Ordenkreuz habe
ich davon noch in Besitz, ein freimaurerisches Buch, "der
Signalstern", war in des Vaters Bibliothek, eine weiße Schürze aus Leder
aber wurde einmal zum Pflasterschmieren zerschnitten. Nähere Mitteilungen habe
ich aber darüber vom seligen Vater nicht bekommen, auch war er, solange ich
denken kann, schon ganz davon los. -
Die ganze Reise nach Chorin wurde zu Pferde gemacht,
unterwegs auch mal bei einem Freunde, Oberamtmann Freyer in Hoppenrade bei
Kleetzke ein Nachtquartier genommen. Das Jahr (55) bis zum Eintritt in den
Ehestand, brachte aber doch der liebe Vater teilweise, doch am wenigsten in
Chorin zu, mehr in anderen renommierten Wirtschaften, besonders aber in
Kunersdorf, Friedland, Behnitz beim Geh. Staatsrat Grafen von Itzenplitz, dessen Schwiegermutter,
eine damals durch ihre große Tüchtigkeit als Landwirtin unter dem Namen
"Frau von Friedland" sehr bekannte und anerkannte Dame war. Mit dem
Grafen (dem Großvater des jetzigen Ministers, der mit seinem Vater auch einmal
in meiner Jugendzeit einen Besuch in Gramzow machte) und dessen Familie machte
der Vater im Sommer 1803 eine große Reise nach Schlesien, besonders ins
Riesengebirge. Diese Reise ist in den Briefen (56) nach Jevenstedt sehr
ausführlich und anziehend erzählt.
Mit dem Afterpächter von Gramzow, dem würdigen
Oberamtmann Sänger war bei der Verpachtung
die Festsetzung getroffen worden, daß, sobald einer von den Söhnen des
Verpächters, unsers seligen Großvaters, Gramzow übernehmen könne und wolle, er
die Pachtung zurückgeben müsse. Dies trat nun Trinitatis 1804 ein. Ehe aber die
Wirtschaft vom Vater übernommen wurde, traten die Eltern in den ersehnten
Ehestand. Im Februar 1804 machte der Vater dazu die Reise, - wieder zu Pferde,
doch diesmal in Begleitung eines Dieners - nach Jevenstedt, wo im Hause des
Onkels Johannsen die Hochzeit stattfinden
sollte, weil die Tante Johannsen unsere liebe Mutter in gewissem Grade als
Pflegekind ansah, (57) auch damals die liebe Mutter Fabricius gegen Kostgeld
mit ihren Töchter dort im Hause lebte.
Am Tage nach erfolgtem dritten Aufgebot, (dies geschah in
der Parochie des Bräutigams zu Chorin in einer kleinen Klosterkapelle), sollte
die Abreise des Bräutigams erfolgen. Da, am Sonntagmittag, wird. daran gedacht,
daß der Proclamationsschein ja noch vom Prediger Herzberg[3] in Brodowin geholt werden muß, und es kommt zur Sprache, daß am Vormittag der
Küster habe ablesen sollen, der Gottesdienst aber ganz ausgefallen ist, weil
niemand dazu erschienen. Chorin war ja und ist noch ein sehr kleiner Ort und
bestand nur aus dem Amte und den dazugehörigen Tagelöhnern und Schmiede. Das
dritte Aufgebot ist also gar nicht (58) geschehen, kann folglich auch nicht
attestiert werden. Schnell wird zum Küster geschickt der wohl in Chorinchen,
dem bei Chorin liegenden großen Dorfe wohnte, und alle Knechte, Mägde und
Tagelöhner zur Kirche befohlen. Der Küster liest am Nachmittag noch eine
Predigt, das dritte Aufgebot erfolgt und kann dann vom Prediger bescheinigt
werden. Die Trauung sollte am 1. März, als dem Geburtstag des Vaters der Braut
geschehen, und es war eine kleine Hochzeitsgesellschaft, namentlich aus
Rensburg die Verwandten der Braut eingeladen. Der alte wunderliche Onkel Johannsen, der die Trauung zu
verrichten hatte, ruft am Abend zuvor, also am Polterabend, (der aber damals
noch nicht (59) nach der jetzigen Unsitte mit großer Gesellschaft gefeiert
wurde, höchstens mit einigen an die Tür geworfenen Töpfen), die junge Braut zu
sich und sagt: "Guste, lasse Dir gleich den Brautkranz aufsetzen, rufe
Deinen Bräutigam und kommt dann, wie Ihr da seid, in die Kirche, ich will Euch
gleich trauen. Warum soll ich morgen vor der ganzen Gesellschaft das
"Lirum, Larum, Kikel, Kakel, Wischi, Wäschi" machen. Von dieser Rede
sind die lieben Brautleute freilich wenig erbaut gewesen, aber es hilft nichts,
sie müssen sich fügen, und im rotgestreiften Kattunkleide muß die liebe Mutter
sich trauen lassen. Nun, das "hochzeitliche Kleid", auf das der Herr
sieht im Bericht über seine Gemeinde, hat (60) durch Gottes Gnade unsere teure
Mutter erlangt, das wissen wir gewiß. Auf diese Weise ist der Hochzeitstag
unserer seligen Eltern der 29. Februar 1804, (es war ja ein Schaltjahr) obwohl
der Onkel Johannsen denn doch noch ins Kirchenbuch den 1. März einzutragen,
sich nicht gescheut hat. Die Gesellschaft aus Rensburg, worunter die Brüder
der Braut und der Mutterbruder, der Onkel Esmarch mit seiner Frau waren,
fanden am andern Tage das junge Brautpaar als Ehepaar und mußten sich mit dem
Schmause begnügen. Erst zu Trinitatis 1604 konnte die Pacht von Gramzow
übernommen werden; bis dahin lebte das glückliche junge Ehepaar in Chorin im
mütterlichen Hause und machte die (61) Reisen zu den Verwandten, die der
Anstand erforderte, die Liebe gebot. Das erste Auftreten in dem fremden Lande,
der Eintritt in die reiche, für viel vornehmer gehaltene Familie, dann die
Übernahme der Führung eines großen Haushalts waren wohl schwer genug für unsere
liebe Mutter; indessen die Liebe mit der sie von der in Chorin verlebten Zeit
sprach, ist wohl Zeugnis, daß sie ohne Vorurteile empfangen wurde und sich bald
die Liebe und Achtung erwarb. Als nach Gramzow gezogen wurde, trat noch ein
besonders schwieriger Umstand ein. Die Frau Oberamtmann Sänger, die
Gattin des nun aus Gramzow ab- und nach Löcknitz, damals noch Domänenamt,
ziehenden Pächters, ward (62) am 1. Juni von einem Sohn entbunden und zwar war
es ein Nachkömmling, etwa 12 bis 13 Jahre jünger als das nächstälteste unter
den Geschwistern, deren damals noch wenigstens 10 am Leben waren, wenn nicht
noch mehr. Die Wöchnerin konnte nicht zur Zeit des Übergabetermins das Haus
verlassen, das Kind, später mein vieljähriger Schulkamerad und Freund August Sänger, jetzt von seinen Renten
in Berlin lebender Oberamtmann, mußte doch noch im Gutshause getauft werden.
Die ganze Übergabe und den Sängerschen Abzug zu erleichtern, wohnten beide
Familien 14 Tage zusammen im Gramzower Hause, und waren das junge Ehepaar erst
(63) 14 Tage Sängers Gäste und dann umgekehrt. Die Eltern waren beide bei dem
Neugebornen Paten, und es war eine freundliche Auseinandersetzung wie es auch
bis zum Tode der alten Sängers und nachher ein recht freundliches Verhältnis
blieb. Die Mutter hatte Gelegenheit, als angehende Wirtin nicht allein
Schwierigkeiten zu überwinden, sondern auch Lob und Anerkennung bei der
Schwiegermutter zu erwerben, sondern natürlich von Sängers auch Kunde über ihr
Verhalten zukam und die gute Hoffnung über ihre Leistungen faßte. Die
Austattungssachen aus Holstein, freilich nicht viel, doch Betten darunter,
waren angekommen. Unsere Mutter brachte die Betten (64) gleich selbst hinaus in
die Luft, sie sonnen zu lassen und auszuklopfen. Das ward der Mutter Karbe zu Chorin berichtet und erfreute sie. Unsere
liebe Mutter ist ja denn auch eine sehr fleißige und recht sparsame und nach
erlangter Erfahrung auch recht umsichtige Hauswirtin geworden. Eine
"Mamsell" zur Stütze hatte doch engagiert werden müssen, schon, weil
unsere Mutter die Landessitte gar nicht kannte und es auch in der Tat zu viel
Arbeit gewesen wäre. Wie unsere liebe Silberbraut, fleißig und selbst
handanlegend und ihre Vorräte in Keller Speise- und Vorratskammer treu mit
eignen Augen inspizierend, waltete sie im Hause. Das dienende Personal im Hause
war weniger (65) zahlreich, doch ward ein Bedienter und ein Jäger gehalten.
Man bewohnte damals nicht so viele Zimmer wie in unseren Zeiten. Doch waren die
Zimmer im Gramzower Hause von Berliner Malern - ich habe ja die erste Malerei
noch manches Jahr gesehen - wenigstens nach meinen kindlichen Begriffen sehr schön
gemalt, aber ohne Tapeten. Die Sohnstube, jetzt Bruder Hermanns Stube war grün
in vielen Feldern, die Schlafstube gleich dahinter, hatte ringsum Landschaften;
ein Baum war recht groß und reichte noch auf die Decke, auf der, wie auch an
den Wänden einige Vögel zu sehen waren. Der Saal hatte auch eine Menge
Landschaften ringsum, die Seite nach Abend nahm eine Darstellung von Gramzow
ein, vom Berge hinter dem Kantorsee aufgenommen. Im Vordergrunde ritt unser
Vater, auf einem Schimmel, der aber nicht gut geraten war, weshalb der Maler
nachher einen kleinen Berg davor gemalt hatte, über den nun Pferd und Reiter in
halber Figur hervorragten. Auf der Seite zwischen dem Kamin und der Flurtür war
das Bild des Klosters Chorin; aus einem Klosterfenster sah ein Knabe heraus,
der unsern Vater im Knabenalter vorstellen sollte. Das Ameublement war nach
jetzigen Zeiten sehr einfach, das beste von Birken- oder Elsenholz; nur ein
Sofa war im ganzen Hause, mit schwarzer (67) Leinwand überzogen; das war aber
zehnmal so bequem wie die heutigen. Außerdem hatte hinter dem
"Gerichtszimmer" der Aktuarius Johann Adam Weiland das Zimmer mit der Kammer
inne, die jetzt Lydia und Anna haben. Dieser Aktuarius hatte noch ein altes
"Kanapee". Ökonomen waren vier, aber nur außer Kutscher und
Reitknecht vier Pferdeknechte. Der Kutscher hieß Schilling (das heißt Gelin) Großvater des jetzigen,
der Reitknecht war Hans Böttcher, ein kurzer, sehr
breitschultriger Mann, der schon bei dem Oberamtmann Steppin als Junge gedient und nie
auf einem anderen Hofe gedient hatte. Die Brennerei und Brauerei waren an einen
Juden verpachtet. Die vielen Ökonomen, Schreiber wurden sie damals genannt, nur
der erste hieß Inspektor, waren nötig zur Beaufsichtigung der vielen mit
Pflügen, Eggen, Einfahren von Heu und Korn, Mistfahren beschäftigten und andere
Dienste leistenden Bauernknechten aus den Amtsdörfern.
Am Sonnabend, dem 2. Februar 1805, abends 7 Uhr wurden
die Eltern durch die Geburt ihres ersten Kindes, einer Tochter, unserer lieben
Schwester und allerbesten Tante 0ttilie erfreut. Die Geburt war sehr schwer,
und ohne die Hülfe des alten Dr. Herz aus Prenzlau hätten
Mutter und Kind nach menschlichen Ansichten das Leben wohl nicht behalten
können. Es erfolgte auch noch für die Mutter eine schwere Krankheitszeit, noch
gefährlicher gemacht durch Verwechselung von innerer Medicin und äußerer. Doch
konnte die Taufe am Montag, den 4. März, froh gefeiert werden, bei der das
liebe Kindlein die Namen Ottilie Juliane Auguste Luise empfing. Paten waren:
1. die Großmutter Karbe aus Chorin, die über die Enkelin ganz
besonders erfreut war; 2. die Frau Oberamtmann Karbe aus Weselitz, Mutter
des auch Pate stehenden 3. Herrn August Karbe, Amtsassistenten zu
Chorin und Pächter von Weselitz; 4. Demoiselle Albertine Karbe; 5. Demoiselle Julie Karbe, beide aus Chorin;
6. Herr Oberförster Bartikow aus Liepe; 7. Herr Leopold; 8. Herr
Rittergutsbesitzer von Krause auf Pritzlow, Bruder der
Großmutter, später Landschaftsdirektor von Pommern; 9. Frau Prediger Théremin aus Gramzow. (70)
Bei der Taufe fehlte es auch an einem "Carmen"
nicht. Dies kam vom Amtsassistenten und war auf einem viele Ellen langen sehr
breiten grünseidenen Bande gedruckt und fing an: "Eine kleine Reise machen
in der Welt, um all ihr Spiel, ihre Freuden anzulachen: Wär's der Mühe wohl zu
viel?" Von der Taufe war freilich darin gar nicht die Rede. Aber unsere
liebe Ottilie hat es durch Gottes Gnade doch gelernt, daß es zu leben wohl der
Mühe wert ist. Ist doch das Leben köstlich nach Psalm 90, wenn es Mühe und
Arbeit gewesen, weil wir einen Heiland haben. Für dies erstgeborne Kindlein
ward nicht ein gewöhnliches Kindermädchen gemietet, sondern eine erfahrene
Kinderfrau, Frau Grihen, eine (71) echte Berlinerin,
so sehr, daß sie alle Gewässer, die größer waren als die Berliner Rinnsteine,
"Spree" nannte. So kam sie einst in großer Sorge zu meiner Mutter
geeilt: "Frau Oberamtmann, da mitten auf der Spree ist eine Gans, die muß
ja ersaufen!" Auf dem See, den man damals vom Fenster nach hinten hinaus
überall sehen konnte, schwamm eine Gans. Die Kinderstube war aber die jetzige
Schlafstube der Geschwister. - Die ersten Ehestandsjahre der seligen Eltern bis
zur Franzosenzeit vergingen ohne Sorgen bis auf die Krankheiten der lieben
Mutter nach den ersten beiden Entbindungen, und das immer gefährlicher und
schmerzlicher werdende Leiden der Großmutter Karbe; sie hatte ein äußeres Übel an der Brust,
das sich zum Krebs ausbildete. (72) Die ersten Berliner Ärzte wurden gebraucht.
Die Großmutter zog ganz nach Berlin und wohnte Jägerstraße 27. Onkel Leopold
war in Chorin, und der Amtsassistent hatte noch die obere Leitung der dortigen
Wirtschaft.
An sogenannten Honoratioren wohnten damals noch in
Gramzow die beiden Geistlichen, der lutherische Superintendent Hoffmann,[4] der franz ref. Prediger David Ludwig Théremin und der Oberförster Brückner und etwa noch der
Amtszimmermeister Bischof und der alte, dicke
Amtschirurgus Lietzmann. Von diesen traten die
Eltern am ersten in Verkehr mit Théremin und Bischof, mit jenem ganz besonders
die liebe Mutter, (73) wie sie auch viel öfter die Predigten des alten Théremin
besuchte, als die Hoffmann'schen. So lange ich denken kann, ging sie schon
fleißig zur Kirche, der Vater viel, viel seltener, was uns Kindern auch wohl
schon auffiel. Des alten Théremin Predigten waren einfach und wenn auch nicht
ganz frei vom Geiste der Theologie, der in den letzten Jahrzehnten des 18. und
in den ersten des 19. Jahrhunderts auf den Universitäten herrschte und die
Kanzeln mehr und mehr in Beschlag nahm, doch weniger, glaube ich, davon
berührt. Hatte er doch bald nach dem 7‑jährigen Kriege in Genf und Leiden
studiert, wo der Rationalismus mit seinen unbiblischen Lehren sich wohl nicht
so geltend gemacht hatte, wie auf deutschen (74) Universitäten. Dabei war seine
Person höchst ehrwürdig und anziehend. Ein Greis mit ganz kahlem Scheitel und
einem Kranz silberglänzender Haare umher, mit lebendigem, aber mildem Blick,
ich möchte sagen, von apostolischem Ansehen; immer freundlich, ruhig heiter,
machte er den Eindruck aufrichtiger Frömmigkeit. Der Superintendent Hoffmann dagegen, dessen Predigten
von der Mutter nur hin und wieder besucht wurden, damit er, der ja eigentlich
ihr Seelsorger war, nicht böse werde, war Rationalist, und mehr Landmann wie
Pastor und oft taktlos; als die Eltern einst zum heiligen Abendmahl gingen,
sprach er gegen den Vater während des Gesanges zwischen (75) Beichte und
Abendmahl die Bitte aus, "seine Hammel doch mit auf die Weide zu
nehmen." - Bei Théremins ward in meiner Knabenzeit öfters zu Abend
gegessen, wobei mir die Kartoffeln noch einmal so schön vorkamen wie auf dem
Amte, und die blanken Zinnteller, von denen die Töchter des Hauses, die
zahlreichen Pensionäre meine Schwester und ich aßen, meinen Neid erweckten. Die
Mutter war weniger lebendig fast schweigsam, aber eine recht praktische Pfarrfrau,
und im ganzen Hause ging es so sacht, ruhig und eben zu, daß einem nur wohl
darin sein konnte; wenn auch die Pensionäre in vieler Beziehung große Freiheit
genossen, die Ehrfurcht vor dem alten Herrn hielt sie in Schranken. Die Familie
(76) bestand außer den ehrwürdigen Eltern in meiner frühesten Erinnerung aus 6
Söhnen und 3 Töchtern; doch erinnere ich mich der Söhne nur aus der Zeit, wo
sie von Berlin zum Besuch kamen; zwei, Fritz und August, sind als Jünglinge
gestorben. Mit den Töchtern hatte die liebe Mutter besonders gern Verkehr; die
älteste, Lottchen war durch Anlagen und auch wohl durch mehrjähriges
Zusammenleben mit ihrem Bruder Franz, Prediger am französischen Werder in
Berlin nachher Hofprediger und Oberkonsistorialrat, im Gespräch über geistige
Dinge besonders interessant. Wir Kinder aber hielten es mit der jüngsten
Jettchen. In schweren Krankheiten unserer lieben Mutter, besonders bei den
Geburten der Kinder stand die alte Frau der Mutter helfend zur Seite. Gewiß war
es ein gnädiges Führen Gottes, daß er unsere Eltern (77) mit dieser Familie in
so nahe Beziehungen brachte, wie sehr wir Gott dafür zu danken haben, werde ich
später noch darzustellen Gelegenheit finden. Gegen Frühjahrsausgang 1806 ward
die zweite Entbindung der Mutter erwartet. Dazu kam die Großmutter Fabricius aus Holstein begleitet
vom Onkel Johann Christian, der Kandidat war. Welche Freude für unsere Mutter!
Doch ging man nach den gemachten Erfahrungen dem wichtigen Zeitpunkt mit
Sorgen entgegen, und ein besonderer Unfall hätte auch Schlimmes herbeiführen
können. In ihrer emsigen Wirtschaftlichkeit, wonach sie möglichst Vieles selbst
tat, stieg die Mutter in der Speisekammer auf einen Schemel und von dem auf
eine zugedeckte Tonne, um auf einem (78) hohen Bord etwas nachzusehen oder
herabzuholen, und fiel mit der Tonne um, Gott sei Dank, ohne nachteilige
Folgen. Am Donnerstag dem 12. Juni 1806, 2 Uhr früh geschah die Entbindung
schnell und leicht und ward der arme Sünder zur Welt geboren, der diese Zeilen
schreibt. War die Tochter, im Jahre vorher geboren, ein stattliches, großes,
hübsches Kind, so war dieser Junge übermaßen klein und häßlich, ein elendes,
fast vermickertes Kind. Die treue Luise, (nachher Frau Knopp) das Stubenmädchen, die
ich mein Lebtag nicht vergessen werde, hat mir, als ich noch ein kleines Knabe
war, gesagt: "Mien Jung, as du jung würst werst du so grot, dat du in
uns' grot Berglas rinjingst un sehst (79) ut as een Ülling". Wie die
Mutter ihr erstes Kind selbst genährt, so wollte sie auch das zweite nicht von
ihrer Brust lassen und hoffte, es sollte doch noch gedeihen wie jenes. Aber
eine geringe Unvorsichtigkeit in den ersten Tagen des Wochenbettes führte eine
schwere Erkrankung der Wöchnerin herbei, und ihr Leben war wieder in Gefahr.
Doch ward sie, da der Herr die Mittel des geschickten Arztes segnete, unserm
lieben Vater noch und uns erhalten; nur konnte sie das Kind nicht mehr nähren;
sollte das durchkommen, so mußte eine Amme genommen werden. Das Aufpäppeln der
Kinder war damals noch nicht so beliebt wie jetzt. Zu dieser Amme ward
Elisabeth Bornadel aus (80) Fredersdorf
gewählt, eine recht gutmütige und gesunde, aber dicke und träge Person, die
nichts lieber mochte als liegen und schlafen. Ich habe über die Faulheit meiner
Amme in der Tat manchmal einige Gedanken gehabt, doch ich gedieh sehr schnell
zu einer, wie mir erzählt worden, fast "monströsen" Dickigkeit und
war schon ein "sit verbo venia", sehr feister Bengel, als ich getauft
wurde. Erst wegen der Krankheit meiner Mutter, dann wegen der Krankheit der
Großmutter Karbe, die doch der Taufe
beiwohnen sollte, und auch weil meine Eltern damals von der heiligen Taufe noch
nicht die richtige Erkenntnis hatten, ward der Tag, an dem ich in den
Gnadenbund mit (81) Gott aufgenommen werden sollte, ungebührlich lange verschoben.
Erst am Montag, dem 25. August ward ich getauft und erhielt die Namen: Adolf
Heinrich August Alexander. August und Auguste waren der Großmutter Lieblingsnamen
und deshalb fast uns allen gegeben. Alexander war wohl dem russischen Kaiser
Alexander zu Ehren gewählt, der ja kurz vorher seine berühmte Zusammenkunft mit
Friedrich Wilhelm III. und der Königin Luise am Sarge Friedrichs des Großen
gehabt hatte, die in Preußen, das damals gegen Napoleon rüstete, so große
Hoffnungen erregte. Die Taufpaten, die im Kirchenbuche stehen, waren:
1. Demoiselle Albertine und 2. Demoiselle Julie Karbe, 3. Oberamtmann Meyer aus Königshorst,
4. Frau Regierungsrätin Kaps, geb. Krause, 5. Demoiselle Luise Karbe aus Blankenburg,
6. Hauptmann a. D. von Greifenberg (damals Ökonomie in
Gramzow erlernend), 7. Herr August Karbe aus Chorin, 8. Frau
Prediger Fabricius, 9. Herr Prediger Théremin, 10. Demoiselle
Charlotte Hoffmann.
Es wird nun aber behauptet, daß der Paten noch viel mehr
gewesen seien, und daß der Superintendent sie nicht alle eingetragen habe, weil
er sonst von den 2 Friedrichdor, die als Taufgebühr übersandt wurden, zuviel an
die Prediger-Witwenkasse hätte abgeben müssen. Der Vater wußte damals noch
nicht, daß von den Paten über 5, wie Küster Zander (83) aus Potzlow bei
Marie Gründlers Taufe in Seehausen
sagte, fürs Stück 6 gute Groschen Strafgelder gezahlt werden müssen. Ich will
nun nicht gern das Kirchenbuch der Unvollständigkeit bezichtigen, doch muß ich
mich nach dem, was ich von der großen Zahl der Paten gehört habe, selbst
wundern, nur 10 aufgezeichet gefunden zu haben. Viele Paten galten damals als
Erhöhung der Festlichkeit einer Taufe. Und ich war ja, und das will ich bei der
Gelegenheit doch geltend machen, in der Familie Karbe von Nachkommen des
Urgroßvaters in Wüste - Sieversdorf der Erstling in einer neuen Generation und
dazu als ältester Sohn des Oberamtmanns von Gramzow eine Art Kronprinz; nur ist
(84) die Krone, auf ein anderes, würdigeres Haupt gefallen! Nun, möge uns
allen die rechte Krone, die Krone der Gerechtigkeit, die uns der Sohn Gottes
erworben hat, nicht fehlen. -
Jetzt sollen nun bald die schweren Prüfungs- und
Sorgenjahre der lieben Eltern anfangen. Am 10. Oktober war Preußen in den
Schlachten bei Jena und Auerstädt von seiner damals freilich nur noch
eingebildeten Höhe herabgestürzt, und das schnelle Vorrücken der Franzosen erregte
Schrecken im ganzen Lande. Seine Frau und Kinder vor der Angst und den Gefahren
des Krieges zu behüten, beschloß der Vater, dieselben nach Mecklenburg, und
sollte es sich als nötig erweisen, nach Holstein zu den Verwandten zu (85)
schicken. Mit schwerem Herzen willigte die Mutter ein. Vater mußte um seiner
amtlichen Stellung und Wirtschaft willen zurückbleiben. Herr von Greifenberg ward dazu bestimmt, zum
Schutze mitzureisen. Zugleich sollten dadurch auch die 4 Kutschpferde und die
beiden Reitpferde, vor den Franzosen geflüchtet werden. Es war auf die Art eine
ansehnliche Kavalkade, die große Kutsche mit 4 Pferden bespannt, die der
Kutscher Heckmann vom Sattel lenkte, voran
der Reitknecht Hans Böttcher mit den Reitpferden, auf
dem Bock Herr von Greifenberg, mit Hirschfänger
bewaffnet und seine Louisdors überzogen als Knöpfe an seinem Rock angenäht, in
der Kutsche die Großmutter Fabricius, die Mutter, die Amme
(86) und die beiden Kinder. Es konnte erst am Nachmittag aufgebrochen werden
und mußte auch, um des nötigen Auslandspasses willen das erste Nachtquartier in
Prenzlau gemacht werden, welches man bei dem befreundeten Justiz-Aktuarius Flist fand. Es kam aber eine
Schreckensnachricht, denn schon in der Nacht ward Lärm, und die ersten
versprengten preußischen Truppen, Husaren vom "Regiment Schimmelpfennig
von der Oye" rückten sehr matt auf maroden Pferden in einzelnen Truppen in
die Stadt ein und brachten die Nachricht, die Franzosen würden sehr bald
kommen. Aus dem Schlafe aufgeschreckt, mußten sich die lieben Eltern nun
schnell zur Reise rüsten, und gewiß (87) recht bange bewegt von einander
scheiden. Zuerst gings nach Brohm, welches mecklenburgische Dorf eigentlich den
schönen, fast italienischen Namen Coha di Broma führt, aber das unser Vater
kannte, und wo man geglaubt hatte, etwas bleiben zu können. Auf dessen Rat ging
es weiter und die Reitpferde mit. Greifenberg ließ sein Pferd dort und hat es
nie wieder gesehen; die nach kommenden Franzosen hatten es mit genommen. So
ward das erste Nachtquartier in Schwanebeck gemacht, wo der alte Prediger und
seine Frau die Flüchtenden sehr gütig aufnahmen. In einem Briefe vom 4. November
(88) schreibt die liebe Mutter: Am folgenden Morgen fuhren wir durch Treptow
an der Tollense, wo man eine entfernte Kanonade gehört und am Abend die
Franzosen erwartete. Angst lag hier auf allen Gesichtern. Unser Aufzug machte
überall Aufsehen, allein es schien mir auch, als wenn ich überall Teilnahme
bemerkte. "Die Reise ging nicht gerade eilig fliehend; in kleinen
Tagereisen, Malchin, Güstrow, Wismar, Lübeck, Segeberg, Ivenstadt, kamen wir
unbelästigt und ungefährdet nach Rendsburg zum Onkel Esmarch, dort dänischer Zollverwalter am Eiderkanal.
Die Briefe, welche die lieben Eltern in der Zeit der Trennung bis zum Februar
oder März 1807 häufig wechselten, sind nun wieder sehr interessant. Der Vater
schreibt in einem Briefe, datiert Gramzow, den 14. Nov. 1806: "Endlich
darf ich von der wiederhergestellten Ruhe und Ordnung hoffen, daß diese
Nachricht von uns durch die Post in Deine Hände kommt; ich eile daher -".
"Gestern war ich in Schwedt, um die Schwestern, die auf der Rückreise von
Stettin nach Berlin unter dem sichern Schutz des mit ihnen reisenden Ministers von Ingersleben dort durchpassierten,
doch einmal zu sprechen, und, indem ich heute zurückkomme, find ich das ganze
Haus voll Fremden, nämlich eine große Menge Beamte und Oberförster, die alle,
sowie auch ich, morgen vor dem vom französischen Kaiser über unsere Provinz
gesetzten Intendanten in Prenzlau erscheinen müssen, um in Pflicht genommen zu
werden und über alles Rede und Antwort zu gehen." -
Dabei sind dann die Leidensgeschichten mitgeteilt worden.
Der liebe Vater war nicht zu schwer betroffen worden. Außer Lieferungen an
Fourage waren allerdings auch Heimsuchungen von Marodeurs geschehen, die
meistens höflich gewesen aber doch Geld erpreßt und Onkel Hermann (Peter Fabricius, damals Ökonomielehrling
in Gramzow) die Uhr weggenommen hatten; einer hatte auch einmal in der Nacht
die Pistole auf den Vater angelegt, was aber in Briefen nicht, sondern nur
mündlich erzählt worden ist. Vater schätzte einmal seinen Verlust (ohne
Lieferungen) auf 300 Thl. Die Nachbarn waren teilweise schlimmer weggekommen,
doch eigentliche Plünderungen mit Mißhandlungen waren im Umkreise von Gramzow
und bei Bekannten nicht geschehen. Nur der Amtsrat in Blankenburg (der frühere
Amtsassistent, Vetter Karbe hatte die
Joachimstahlsche Schuldomäne statt Weselitz in Pacht genommen und sich zum
Amtsrat (91) ernennen lassen, um eine adlige Frau heiraten zu können) hat
“einige Hiebe” erlangt, weil er das Verlangte nicht hat geben wollen; es wäre
vielleicht auch nicht geschehen, wenn er sich nicht für den Administrator statt
für den Herrn ausgegeben hätte. Die armen Sängers in Löcknitz und Baaths in Sachsendorf haben
viel gelitten. Der Vater ist froh, daß die Mutter und Kinder in ganz sicherer
Gegend sind, denn bei Prenzlau und allenthalben in der Nähe sind Gefechte
gewesen. Als recht gute Nachricht wird gemeldet, daß Deine "große
Throne", die ich mit 4 meiner besten Pferde nach Hinterpommern geschickt
hatte, nach 5 - wöchentlichem Aufenthalte daselbst glücklich und unbeschädigt
zurückgekommen ist. Eine Throne ist nach holsteinischer Mundart eine große
Truhe; diese war und ist sehr groß, noch (92) aus der alten Esmarch'schen
Familie herstammend, von Eichenholz, mit Eisen beschlagen und jetzt im Besitz
meiner lieben ältesten Schwester. Die diente besonders zur Aufbewahrung der
Linnenvorräte, früher der Hauptschatz tüchtiger ländlicher Hausfrauen.
Der Vater ist Brigadier bei der zur Sicherheit der
Provinz errichteten Landgensdarmerie geworden und hat mehrere Gensdarmen unter
seinem Befehl; hat in der ersten Zeit eine freilich teuer bezahlte Sauvegarde
ins Haus genommen. Von den zum Kriege eingezogenen Leuten und ihrem Ergehen
wird Bericht gegeben; sie sind alle gefangen worden, gaben sich alle
"ranzionniert"[5] aus der Gefangenschaft bis auf Metscher, der dazu kein Herz gehabt und nach
Frankreich transportiert worden ist. Der Bediente Gaudi ist auf der Flucht als
ranzionierter (93) Gefangner durch Gramzow gekommen und glücklich nach Graudenz
gelangt, von wo er geschrieben und also unter dem wackeren Feldmarschall
Courbiere "So bin ich König von Graudenz!" Preußens Ehre an seinem
Teile hat bewahren helfen. - In den Briefen unserer Mutter spricht sich oft der
Selbstvorwurf aus, daß sie doch dem Vater nicht hätte nachgeben und ihn in so
schwerer Zeit verlassen sollen, und das zärtlichste Bestreben des Vaters, ihr
das auszureden. Es sind auch manche Briefe nicht angekommen, und lange wurde
beiderseits die erste Nachricht sehnlichst erwartet. Es kommen denn auch Hinweisungen
auf Gottes Regieren, das ja gut sein müsse, erste Spuren des später so innigen
Glaubenslebens der seligen Eltern. Der erste Brief der Mutter an den Vater ist
aufbrochen (94) und mit fremdem Siegel wieder zugesiegelt, woraus der Vater den
angenehmen Schluß zieht, daß vielleicht ein Feind oder sonst ganz fremder den
Brief gelesen und aus Achtung vor der zärtlichen ehelichen Liebe, die aus
jeder Zeile leuchte, ihn vor vielen andern weiterbefördert habe. Die Mutter hat
Erfreuliches und Schmerzliches zu melden; zuerst die so sehr herzliche Aufnahme
bei ihren Verwandten. Der Schwager, Subrektor Decker, seit dem
30. Dez.1803 Gatte der Schwester Marie, hält es für nicht anders möglich,
als daß die Schwester seiner Frau nebst Kindern und Amme bei ihm ihren eigentlichen
Aufenthalt nehme, obwohl Wohnung und Einkommen sehr beschränkt waren und seine
Frau selbst erst am Tage nach der Schlacht von Jena von (95) einem Sohne entbunden
war; Onkel und Tante Esmarch wollen das nicht zugeben, weil sie ja eine größere
Wohnung haben und in reichlicheren Verhältnissen leben. Es ist ein Wettstreit,
wo die Flüchtlinge bleiben sollen; die Zeit ward dann zwischen beiden geteilt,
doch die meiste Zeit in Rendsburg zugebracht. Ottilie entwickelt sich sehr
schnell und erfreulich und ist schon recht gesprächig; Adolf überrascht am 14.
Dez. durch den ersten Zahn; die Mutter wird an ihrem Geburtstage durch eine
schöne Geburtstagsfeier erfreut. Graf Ranzau zu Breitenburg übernimmt
die 6 Pferde; (schade, daß ich die Farbe nicht mehr angeben kann, ich war doch
noch zu jung; - das für meinen Neffen, wenn er's mal lesen sollte (96)) mit Heckmann und Böttcher sehr bereitwillig bei
sich auf. Adolf aber wird auch krank an der Rose und nachher die Mutter selbst;
ihr Leben ist kurze Zeit in Gefahr. Auffallend ist in diesen Briefen, daß
wenig, fast gar keine Spuren preußisch-patriotischer Trauer über den Fall des
Vaterlandes sich kundgeben. Doch sind ja auch lange nicht alle Briefe auf mich
gekommen, welche die Eltern damals gewechselt; auch mochte man, weil die Briefe
ja auch öfters von den Feinden eröffnet wurden, dergleichen Ergießungen zurückhalten.
Später hat sich die Liebe zu König und Vaterland in meinem elterlichen Hause
reichlich gezeigt, wie sie ja auch nicht allein durch den schweren Druck des
Feindes, sondern auch durch das edle Verhalten Friedrich (97) Wilhelms und
Luisens in Königsberg in vielen Herzen erst recht zur Reife gebracht wurde. -
In den letzten Wochen des Winters 1807, Februar oder
März, holte nun mein Vater die geflüchtete Familie wieder aus Holstein ab. Die
Rückreise erfolgte über Hamburg und von da auf der Berliner Poststraße durch
Mecklenburg und die Prignitz, und zwar in der Weise, daß der schlechten Wege
und der schweren großen Glaskutsche wegen die Reitpferde noch vorn vor den 4
Pferden vorgelegt wurden, also mit "Sechsen", was, da neben dem Vater
auch ein Freund desselben aus Holstein, Hink, mit Hirschfänger bewaffnet,
auf dem Bock saß, einmal in einem Gasthause zu einer komischen Scene Anlass
gab. Man hielt die reisende Dame, unsere liebe Mutter, für eine Großfürstin von
Rußland, die (98) mit ihren Kindern in den Tagen auf der selben Straße erwartet
wurde. Wenn dies nun sehr vornehm aussah, muß ich doch gleich sagen, daß mein
Vater in jener Zeit und noch viel später nicht selten auf einem Leiterwagen
mit Säcken ausfuhr, selbst nach Berlin, und ich als Student und Gymnasiast kaum
eine andere Art von Berlin nach Gramzow zu reisen kannte als auf einem
Leiterwagen, auf welchem Korn nach Berlin zum Verkauf gebracht worden war. -
Die lieben Eltern waren also im Frühjahr 1807 wieder in
Gramzow vereinigt. Aber die Zeit der Prüfungen sollte noch erst recht kommen, teils ländliche Not, und
folge großer finanzieller Bedrängnisse. Zuerst muß (99) ich den Tod der
Großmutter Karbe erwähnen, die in Berlin
im Jahre 1807 nach schmerzlichen Leiden erfolgte. Sie hatte den erstgebornen
Enkel noch, wohl im Spätsommer 1806 selbst gesehen und geherzt und beim
Abschiede gesagt; "Ich habe die Ottilie gar zu lieb, aber ich merke, ich
werde den Jungen fast noch lieber gewinnen." Sie ward in Sieversdorf
beigesetzt, wie schon erwähnt. Onkel Leopold übernahm nun Chorin ganz,
heiratete auch wohl bald, und als Chorin 1809 an den Oberamtmann Robbe abgegeben ward und er
eine Zeitlang bei seinem Schwiegervater Geh. Rat v. Wolf in Berlin gewohnt, übernahm
er das Familiengut Sieversdorf bei Frankfurt a/O, womit denn wohl der
Gemeindebesitz der ererbten Wirtschaften der in der ersten Gramzowschen (100)
Zeit noch bestanden zu haben scheint, aufgehört haben mag. Der jüngste Bruder
meines Vaters hatte von den Erben eines unvermählt gestorbenen Bruders der
Großmutter, zu denen er selbst gehörte, des Herrn v. Krause, die schönen Rittergüter
Staffelde und Pragow bei Garz übernommen.
Von der lieben Großmutter muß ich, ihre Art und Weise zu
bezeichnen, noch ein Geschichtchen nachholen: Sie ist in den ersten
Ehestandsjahren meiner Eltern einmal mit ihnen zusammen in Blumberg bei dem
Hauptmann v. d. Osten, der ein Schwager ihres
Bruders, v. Krause auf Pritzlow war. Als es
zur Abreise gehen soll, sagt sie zu meiner Mutter: "Ich will Dir nun 1
Stunde vorgeben; 1 Stunde nach Euch komme ich und werde dann gleich Deine (101)
Wirtschaft ganz genau revidieren, ob auch alles in richtiger Ordnung ist!"
So wird es denn auch ausgeführt; nach erfolgter genauer Durchsuchung von Haus,
Keller und Böden erklärt sie sich sehr zufrieden und sagt, daß sie nun nicht
mehr revidieren brauche.-
Am Donnerstag, dem 24. Dez. 1807, vormittags 11 Uhr, ward
den Eltern ihr drittes Kind geboren, wieder ein Knabe. Dieser, mein kleiner
Bruder, ist merkwürdigerweise nie ins elterliche Haus gekommen. Die Mutter war
vor der Niederkunft bei der großen Beschwerde, welche die starke französische
Einquartierung machte - damals 13 Monate nacheinander Standquartier - zu
Théremins auf den Klosterberg gezogen. Dort war keine Einquartierung, weil die
Prediger (102) ja davon frei waren. Dort war das von Anfang an sehr
schwächliche Kind geboren, getauft und starb auch dort. In der Taufe, am
Sonnabend, den 23. Januar 1808, erhielt es die Namen: Franz Eduard; Paten
waren: 1. Frau Amtsrat Karbe, geb. v. Bärensprung aus Blankenburg; 2. Frau
Superintendent Hoffmann; 3. Herr Prediger Théremin; 4. Herr Karl Sänger. -
Am 29. Februar 1808, nachmittags 3 Uhr, starb der kleine
Eduard (der "erste" Eduard ist er in der Familie Immer genannt
worden) und ward am 3. März begraben. Auf diesen schmerzlichen Anfang des
Jahres sollte eine schwere Zeit im letzten Vierteljahr desselben folgen.
Ende September oder Anfang Oktober 1808, ganz früh am
Morgen, etwa um 2 Uhr, reist mein Vater mit seinem Kutscher Kleps in Begleitung des
Hausfreundes Bischof ab, um den Strehlitzer
Pferdemarkt zu besuchen. Die Pferde gehen schon im Dorfe durch und etwa 100
Schritt nach dem Dorfe Blankenburg zu, damals der Bohm'sche Kossäthenhof,
springt mein Vater vom Wagen und so unglücklich, daß das rechte Bein auf
furchtbare Weise zerbrach. Die beiden Knochen des Unterschenkels waren etwa in
der Mitte zwischen Knie und Fuß gebrochen und hatten Fleisch und Stumpf bis an
den Stiefel durchstoßen. Der Vater, der da glaubt, daß Bischof und Kleps noch
größeres Unglück haben werden, und fürchtet, daß ihn die Ochsen, die
frühmorgens aus diesem Dorfende ausgetrieben werden, finden und vielleicht
stoßen könnten, kriecht nun den Berg hinauf, um vor (104) dem Bohm'schen Hause
Leute wachzurufen. Aber ehe er soweit kommt, hat der Kutscher die Pferde wieder
in seine Gewalt bekommen und kommt mit Bischof zurück; sie finden den Vater auf
der Straße liegend und bringen ihn mit herbeigeholter Hülfe nach Hause. Die
liebe Mutter war wohl vor der Gefahr sorglich und ängstlich, aber in der Not
doch gefaßt und besonnen. Der Vater wird in dem Hause auf das große Sofa
gelegt; die Blutung aus den beiden Wunden ist so stark, daß das Blut durch die
dicke Sofamatratze hindurchdringt und eine große Lache unter dem Sofa bildet.
Es wird nach Prenzlau geschickt, den sehr geschickten Arzt, Regiments-Chirurgus Spieker zu holen; er ist aber
krank; statt seiner kommt der Kompanie-Chirurgus Friese, bringt die zerbrochenen
Knochen (105) wieder zusammen und legt den ersten Verband an, und zwar in ganz
gewöhnlicher Weise, sehr fest, ohne auf die Fleischwunde zu achten.
Währenddessen liegt der Vater ruhig, ohne einen Schmerzenslaut da und liest in
einem Buche. Die Art von Verband hat die Folge, daß der Knochenbruch zwar
verhältnismäßig schnell heilt, aber die Wunden nach einigen Wochen so schlimm
werden, daß der kalte Brandt eingetreten zu sein scheint und der Kranke
natürlich auch innerlich sehr leidend ist. Spieker, der auch gekommen, hält, um
das Leben zu retten, die Abnahme des Beines für nötig. -
Was die arme Mutter dabei gelitten, läßt sich denken. Sie
erzählte, wie sie ziemlich noch immer die Fassung behauptet, als sie aber
eines Tages (106) in den Garten gegangen sei, etwas frische Luft zu schöpfen,
sei ihr der Schwager August nachgekommen, heftig weinend. Als sie das an dem
sonst so ruhigen, fast kalten jungen Mann gesehen, sei sie auch
zusammengebrochen. Doch die Geschwister faßten sich wieder und beschlossen,
ohne es den Vater wissen zu lassen, aus Berlin noch ärztliche Hilfe zu holen.
Der Inspektor Köbicke holt nun den berühmten Generalchirurgus Mursinna aus Berlin, der auch mit
einem jungen Gehülfen, dem späteren Geh. Medicinalrat Steinbrück kommt und gleich nach
seiner Ankunft zum Vater geht, der auf einer eigens dazu gemachten langen und
sehr breiten hölzernen Lagerbank und Matratze liegt, den kranken Fuß ohne allen
(107) Verband und nur leicht zugedeckt. Der Vater weiß noch kaum was der Mann
will, da reißt er das Tuch weg und stößt mit dem Finger durch die leicht
zugeschelferte Wund und befühlt den Knochen. Das sei der größte Schmerz in der
ganzen Leidenszeit gewesen, sagte der liebe Vater später. Dann aber sagt
Mursinna:
"Warum sollen wir den Fuß abnehmen? Die Knochen sind
ja zusammengeheilt!" Da hört der Vater zuerst, daß vom Abnehmen des
kranken Gliedes die Rede gewesen, der Mutter Herz aber dankt Gott, der denn
auch die angewandten Mittel segnete, so daß die Lebensgefahr beseitigt wurde.
Um Weihnachten konnte der Vater zuerst versuchen, mit Krücken etwas zu gehen,
fiel aber am Weihnachtsabend damit (108) hin, doch ohne bedeutende schlimme
Folgen. Doch hatte der selige Vater durch den Beinbruch außer den beiden großen
Narben am rechten Schienbein einen etwas gerade im Schienbein nach vornhin
gekrümmten und darum etwas verkürzten Fuß, so daß bei raschem Gehen fast etwas
wie Hinken sich zeigte. Auch führte das lange Liegen ein Leberleiden beim Vater
herbei, das 1809 mal besonders schlimm war, eine Zeitlang zu schwerer Krankheit
führte und sich mehrere Jahre hinzog. Die Lagerbank des Vater während des
Liegens am Beinbruch ist übrigens auf dem Boden, aber am Weihnachtsheiligabend
ward sie heruntergeholt und für die Kinder darauf aufgebaut, weil sie für die
Kleinen gerade (109) eine passende Höhe hatte.
Der Kleinen kamen ja auch dann noch eine ganze Zahl. Am
Mittwoch, dem 25. Januar 1809 ward den lieben Eltern das vierte Kind, ein
Knabe, geboren, der in der Taufe am 1. heiligen Ostertage, dem 2. April die
Namen Franz Eduard Theodor erhielt und zu Paten hatte: 1. den Hauptmann von
der Osten auf Blumberg, 2. Herrn von
der Hagen auf Schmiedeberg, 3.
Amtsrat Karbe zu Blankenburg, 4. Herrn
Ludwig Karbe zu Weselitz (des vorigen
Bruder), 5. Herr August Karbe, 6. Frau Justizaktuar Flist aus Prenzlau, 7.
Demoiselle Henriette Théremin. Dieser - von uns
Geschwistern später der zweite Eduard genannt - nahm erst ein fröhliches
Gedeihen und war ein früh entwickeltes hübsches Kind. Ich habe noch ein
liebliches Bildchen von (110) ihm. Doch ward auch er den Eltern früh wieder
genommen. Wir Kinder bekamen alle den Keuchhusten sehr schwer und langwierig,
und der kleine Eduard starb daran am 17. Mai 1810; abends 11 Uhr und ward am
22. Mai begraben. Dieser Todesfall setzte die liebe Mutter in sehr große
Betrübnis, im Anfang noch vermehrt durch die Sorge, daß zu seinem Tode das
Verschlucken, ich weiß nicht was für eines kleinen metallenen Dinges könnte
beigetragen haben, wie die liebe Mutter vermutete. Deshalb ward die kleine
Leiche geöffnet, der Mutter schmerzliche Vermutung nicht bestätigt.
Die lieben Eltern sollten noch zum dritten Male solchen
Schmerz erleben; das 5. Kind, das Gott ihnen schenkte, ward geboren Sonnabend,
den 13. 0kt. 1810, nachmittags 3 Uhr und erhielt in der heiligen
Taufe (111) am Sonntag, dem 14. Dez. die Namen: Karl Viktor Immanuel; die
Namen Viktor Immanuel sollten, ich möchte sagen, eine prophetische -
patriotische Bedeutung gaben. Paten waren: 1. Oberamtmann Peter Meyer zu Eldenburg,
2. Oberamtmann Hans Meyer zu Königshorst,
3. verwitwete Oberamtmann Meyer zu Eldenburg, 4. Herr August Karbe, 5. Frau Amtmann
Karbe aus Sieversdorf, 6. Frau Amtsrätin Karbe, 7. Demoiselle Ulrike Sänger, 8. Herr Bischof. Der Kleine Karl war ein
schwächliches Kind; es ward eine Amme nötig. Er starb an inneren Krämpfen am
7. März 1812, nachts 3 Uhr und ward am 9. d.M. bestattet. Den großen
Schmerz der Eltern teilten wir, meine Schwester Ottilie und ich im 8. und 6.
Jahre, wie ich mich erinnere, nun schon lebhaft. Der Mutter so tiefe Trauer
(112) über des 2. Eduard Tod zu zerstreuen, hatten die Eltern mit Ottilien
und mir schon im Sommer 1810 eine große Reise nach Holstein zur Großmutter und
den andern Verwandten gemacht, auf welcher die treue Freundin Jettchen Théremin uns begleitete. Auch ein
Kindermädchen ward mitgenommen, obgleich ich, das jüngste Kind nach dem Tode
der beiden Eduards doch schon 4 Jahre alt war.
Dieses Kindermädchens Andenken verdient im Gedächtnis
der ganzen Familie aufbewahrt zu werden. Obwohl die teuren Eltern manchen
treuen Dienstboten hatten und ich manche nennen könnte, die lange Jahre bei
uns im Dienste waren, die Mädchen meistens bis zur Heirat, so war diese
Charlotte Klöns doch die Krone von allen.
Sie war armer, frommer Webersleute Tochter, kam nach der Konfirmation in den
Posten als Kükenmädchen und avancierte schnell, ich glaube 1807 zum
Kindermädchen und blieb fast wie zur Familie gehörig, bis an ihr Lebensende.
Ihre Treue, Fleiß und Brauchbarkeit in vielfacher Beziehung, besonders aber
als Kindermädchen, als welche sie in der Mutter Erziehungsgrundsätze auf
verständige Weise einging und dabei mit den Kindern auch fröhlich zu spielen
und vorzusingen wußte, dann ihre Anhänglichkeit an unsere lieben Eltern waren
seltener Art. Ich erinnere mich noch, wie sie unseren kleinen, etwa 1 1/2
jährigen August huckepack auf dem Rücken, in der Kinderstube umhersprang und
dabei sang: "Ein Postillion mit seinem Horn und ein Courier mit Stiefel
und Sporn und einem kleinen Schnurrbart kam eilend von Paris!" (1814)
(114) Und der kleine Courier jauchzte vor Entzücken und konnte des Entzückens
kein Ende finden. Sie heiratete 1815 den mit ihr zugleich bei den Eltern in
Dienst gekommenen Gärtner Samuel Matthes, der erst beim seligen
Vater, denn beim Bruder Hermann bis ans Lebensende im Dienst, auf dem Hofe
wohnend, blieb, fast 40 Jahre. So blieb denn auch die treue Frau Mattes in
nächster Beziehung zu der Familie und ward gar häufig zur Hülfe ins Haus und
oft auch in Rat genommen. Als die liebe Mutter 1848 gestorben war, und ich Frau
Matthes bald darauf besuchte, sagte sie: "Uem Mutter is mi dat nich so
leed, de is bi Gott, aber uns' arm Voater, de nu ümmer so alleen umhergeit, de
jammert mi; ick mütt ümmer weenen, wenn ick em so alleen goahn seh'!" Und als ich sie zum letztenmal sah, die Liebe meines Bruders Hermann hatte ihr
nach dem Tode des alten Matthes auf dem Zehnebeck ein bequemes Altenteil
bereitet, wo sie mit ihrer Auguste, die dort die Hauswirtschaft führte,
zusammenlebte - hatte ich den vom seligen Vater ererbten Pelz an. Sowie sie den
nach der Begrüßung erkannte, rief sie mit ihrer schwachen Stimme - sie war
engbrüstig - : "Ach Großvater!" und drückte auf den Ärmel einen Kuß.
- Dem alten Matthes hat mein Bruder Hermann und der guten Charlotte mein Bruder
August an den Stätten ihrer Ruhe auf dem Gramzower Kirchhofe anerkennende
Denkmäler, Kreuze aus Gußeisen setzen lassen.-
Ich komme nun zurück auf die Reise nach Holstein 1810.
Des besonderen Zweckes wegen wurden nicht bloß Verwandte und Freunde, sondern
auch etliche hübsche Gegenden des schönen mütterlichen Vaterlandes besucht;
(116) ich erinnere mich noch, daß der damals sehr reizende Park des Gutes
Aschberg am Plöner See besucht wurde, wo ich sehr unartig war und fast Schläge
vom Vater erhalten hätte. In Wirklichkeit weiß ich nur Fälle, wo ich vom Vater
Schläge bekommen habe, die aber gründlich waren. Von der Mutter gab es schon
eher einen Klaps oder eine Ohrfeige. Dann ward auch eine Tour durch das schöne
Angeln, die engere Geburtsprovinz unserer Mutter gemacht. Bei einem reichen
Bauern Dietrich Jacobsen in Südensee waren wir 1 Tag und 2 Nächte. Auf
dem Rückwege ging es über Hamburg, das ja damals französisch war. Als wir ins
Tor einpassierten, trat ein kaiserlicher Douanier (Steuerbeamter) hastig an
die Kutsche und wollte Visitation nach, der Kontinentalsperre wegen halt
verpönten, englischen Waren (117) anstellen. Meine Schwester war unterwegs
erkrankt und ziemlich leidend, saß deshalb im Wagen vor der Mutter auf einer
Fußbank, mit einem Tuch zugedeckt. Der Douanier will das Tuch wegreißen, da
ruft die Mütter: "Ach, da sitzt mein krankes Kind!" Und gleich
zurücktretend ruft jener: "Ein Kind, ein krankes Kind, wollte Gott, ich
hätte ein Kind! "Wegen Ottiliens Krankheit mußte in Hamburg ein mehrtägiger
Aufenthalt im Gasthaus genommen werden, ehe der hinzugezogene Arzt die
Weiterreise erlaubte. Da an der Table d' hote kam zuerst die Kunde von dem Tode
der Königin Luise, und die Eltern haben oft erzählt, wie da alle zufällig
anwesenden Preußen so tief erschüttert worden, ja in Tränen ausgebrochen seien.
(118) Die Franzosenzeit drückte ja schon schwer
auf dem Vaterlande, und auch unsere Eltern mußten den allgemeinen Druck mit
empfinden. Die Abgaben waren fast unerschwinglich, dabei von 1807 bis 1809 und
dann wieder 1812 sehr viel feindliche Einquartierung. Und waren die Franzosen
im ganzen auch manierlich und höflich, so machten sie doch enorme Ansprüche.
Das Pfd. Zucker kostete damals 1 Rth. und doch gaben sie den Pferden oft davon.
Seltsame Gerichte mußten geliefert werden; z.B. oft Froschkeulen. Ein General
führte eine Person, als wäre es eine Frau Generalin mit sich, und sie mußte mit
ins Haus genommen werden; er selbst brauchte eine lange Badekur im Hause. Doch
die Baiern waren die schlimmsten und der schlimmste von allen ein bairischer
(119) Secondleutnant von den Chevauxlegers, Graf Törring, der in der österreichischen
Armee schon Major gewesen, aber wegen Extravaganzen kassiert worden war. Sein Premierleutnant, Baron von Hornstein war ein
Universitätsfreund meines Vaters; er war aber seines Untergebenen nicht Herr,
fürchtete sich vielmehr vor ihm und war froh, wenn Graf Törring einmal verreist
war, weil er dann ungehindert mit dem Vater verkehren durfte und mit den Eltern
essen durfte. Der wütende Törring forderte meinen Vater auf Pistolen, was der
natürlich nicht annahm, und mißhandelte seine Leute, besonders aber seinen
Bedienten, täglich. Einmal verfolgte er denselben mit gezogenem Säbel bis in
die Kinderstube, so meine Mutter mit (120) den Kindern war. Mit den Franzosen
ging es öfters viel besser. Einmal waren solche im langen Standquartier bei
uns, mit denen sich ein freundliches Verhältnis bildete. Ein Oberst oder Capitän Dandal ward von den Eltern öfters genannt; er
verkehrte sehr freundlich mit uns Kindern, schenkte mir eine kurze, dicke
Weinrebe als Stock (meinen "Nüppel" nannte ich ihn), suchte Deutsch
zu lernen und hatte sich deutsche Redensarten aus einem Buche angeeignet, deren
eine er einst sehr hübsch verwechselte. Gegen die eine Wirtschaftsmamsell,
Hannchen Benecke war Dandal immer sehr
freundlich, weil sie einer französischen Freundin von ihm sehr ähnlich sehe, und
er nannte sie deshalb immer scherzend "Demoiselle Philippine". Als
diese nun eines Tages zur schon an der (121) Mittagstafel sitzenden
Tischgesellschaft kommt und sich hinsetzt, sagt er: "Schlafen Sie wohl,
Mamsell Philippine“. Die Anwesenden können sich des Lachens nicht verwehren,
und der Offizier fragt französisch unsern Vater, er habe wohl etwas Dummes
gesagt. Auf die Erklärung was er gesagt, eröffnete er, er habe sagen wollen:
"Ich wünsche Ihnen, wohl zu speisen!" — Dieser französische Offizier
war ein geschickter Zeichner und hatte mit einem Diamanten in der
Fensterscheibe seines Logierzimmers "Diana, den Aktäon in einen Hirsch
verwandelt und in einem Fenster im Saale einen anderen frz. Offizier, einen
Hauptmann, der auch bei uns im Quartier lag, mit seiner Braut eingezeichnet und auf der
Scheibe darunter die jetzt noch zu lesenden Worte: (122)
"Je
vous aime entout, Mademoiselle,
Vous
étes plus belle que la fleur nouvelle,
et je promets de vous
aimer comme la tourterelle"
Auf
deutsch:
Ich
liebe Euch im ganzen, mein Fräulein,
Ihr
seid schöner als die neue Blume,
und ich verspreche, Euch zu lieben
wie die Turteltaube.
In der Franzosenzeit war 2-mal Feuer im Gramzower
Wohnhause; das erstemal von der Räucherkammer aus durch Kohlen herbeigeführt,
die das Holzwerk und schon den Deckbalken über dem Korridor ins Schwelen und
dann zu lichten Flammen gebracht. Es ward von den Haus- und Hofbewohnern noch
gelöscht, wobei die eine Wirtschaftsmamsell - ein früheres Hannchen - sich
auszeichnete, indem sie, die erste mitten in den Otterpfuhl (nicht
"Oderpfuhl" wie dasteht) sprang und Wasser schöpfte. Das andere Mal
war es ein bloßer Schornsteinbrand, den die frz. Einquartierung durch Gießen in
den Schornstein oben vom Dache aus dämpfte. Beide Male machten (123) der armen
Mutter großen Schrecken, um so mehr, als der Vater nicht zu Hause war. Das Jahr
1811 brachte außer den bewundernden Schauer, die der Komet erweckte, auch manche
Angst durch eine Mordbrennerbande, die in der Uckermark und den andern Teilen der
Mark hauste. Da ward des Abends oft der Komet angeschaut und manches Feuer in
größerer oder näherer Ferne gesehen. -
Mit eine Führerin der Bande war ein Mädchen, die lange
Lotte, die in demselben Jahre im Kruge zu Heinersdorf bei Schwedt mit dem größten
Teil der Bande von dem Polizeiinspektor Ekkard aus Berlin und einem
Husarendetachement unter einem Offizier gefangen und nebst einigen besonders
gravierten Kompliezen in Berlin enthauptet und (124) dann verbrannt wurde.
Ekkard hatte sich, um die Personen, die Schlupfwinkel und die Hehler der Bande
recht kennen zu lernen, darin aufnehmen lassen und eine Zeitlang ihr Treiben
mitgemacht.
Aus der Franzosenzeit habe ich noch ein bemerkenswertes
Ereignis nachzuholen, das den seligen Vater begegnete. Von den in Stralsund
gefangenen Schill'schen Kriegern traf 1809 eines Tages ein kleiner
Transport ein, um dort mit neuem Vorspann weiter gebracht zu werden. Während
der Umspannung und etwaigen Bewirtung vor dem Rathause sammelt sich ein großer
Haufe Menschen und ergrimmt darüber, daß die Gefangenen mit Stricken an die
Leiterbäume gebunden waren, erregen sie einen Tumult, die Stricke werden
zerschnitten (125) und die Gefangenen befreit. Gegen Abend desselben Tages wird
mein Vater, ehe er von der Befreiung gehört, in den Garten gerufen, da wolle
ihn jemand sprechen. Er findet 2 von den befreiten Schillianern, die ihm sich
kundgeben (einer war ein Herr v. Alvensleben) die Geschichte ihrer
Befreiung erzählen und um Rat bitten, wie sie weiter fliehen können. Sie waren
hungrig und müde. Vater führte sie sogleich in die damalige Gartenstube, einem
Raume am westlichen Giebel des Stallgebäudes, das ans Gerichtshaus stößt. Mit
Einrichtung dieser Gartenstube hatte der Vater die Mutter in einem der früheren
Sommer überrascht. Sie war gar (126) kühl; einfach aber freundlich
eingerichtet. Dort werden sie zuerst eingeschlossen. Die liebe Mutter bereitet
eiligst eine Erquickung für die Fremdlinge und bringt sie selbst hin, und als
es dunkel geworden, werden sie unter Geleite eines sichern kundigen Führers
nach Reiersdorf zum Oberförster Walter gebracht, durch die
großen Waldungen, die damals nicht weit von Gramzow anfingen, und sich tief in
den jetzigen Templiner Kreis und weiterhin erstreckten. Bis dahin sind sie
glücklich gelangt; ob ganz vor Wiedergefangennehmung bewahrt, haben die Eltern
nicht erfahren. Doch sind ihre Namen nicht unter den in Wesel und Braunschweig
erschossenen Schillianern genannt worden. Noch habe ich zu erwähnen, daß mein
Vater während (127) der bis 1812 dauernden Generalpacht sich genötigt sah, eine
Zeitlang die Vorwerke Wendemark (und dies auf etwas längere Zeit) und Seelübbe
das nachher als Erbpachtgut verkauft und jetzt Rittergut ist, in eigene
Bewirtschaftung zu nehmen. Dies macht neue Sorgen und Kosten, doch mochte
Wendemark namentlich nicht ohne Vorteil sein, weil im ganzen die landwirtschaftlichen
Verhältnisse, Ernten und Preise nicht ganz schlecht waren.
Mehr Sorgen und Not bereitete Jahre hindurch der Ankauf
des in Hinterpommern bei Gollnow geIegenen Rittergutes Speck das der Vater 1809
für 69000 Thl. von einem Herrn v. Hake kaufte. Dies war in
Kultur des Ackers und in Gebäuden sehr heruntergekommen und hat (128) eine
Reihe von Jahren hindurch dem seliger Vater viel Geld gekostet, es in die Höhe
zu bringen, und auch oft in Sorgen wegen gekündigter Kapitalien gebracht. Und
es ist kein geringer Beweis von des sel. Vaters Umsicht als Landwirt, und von
der innern Kraft der Gramzower Wirtschaft, die ja schon seit Jahren, seit 1789
in tüchtiger Weise geführt worden, daß es ihm gelungen ist, nicht allein durch
die Franzosen- und Kriegszeit hindurch, sondern auch durch die wegen unerhört
niedriger Kornpreise (Weizen = 20 gGr) viel schwerere Zeiten, die auf die
Kriege bis tief in die 20er Jahre
folgten, hindurchzukommen und nicht allein den Besitz des Gutes zu retten,
während viele Gutsbesitzer, namentlich auch in Hinterpommern, verkaufen mußten,
sondern dasselbe auch so in die (129) Höhe zu bringen, daß es zuletzt einen
Jahresertrag von 6000 Thl. brachte nach Abzug, aber nicht der zu zahlenden
Zinsen. Es wurde zuerst von dem schon genannten Inspektor Köbicke, dann vom Onkel Hermann Fabricius administratiert, dem
letzteren eine Zeitlang in Pacht gegeben, dann aber wieder diesem und dem
älteren Vetter Karl Pich gegen Gehalt und Tantieme
in Administration gegeben. Der liebe Vater war als Landwirt geneigt,
Verbesserungen einzuführen, und in vielen Stücken, glaube ich, ist die
Gramzower Wirtschaft andern vorangegangen, wie in der Haltung und Zucht feiner
Schafe, großer Brennereianlagen, besserer Butterbereitung, Rapsbau etc. Auf dem
Territorium (130) von Speck wurden 2 neue Kolonien angelegt: Immental und
Birkenwerder, und auf dem Gute Speck außer vielen neuen Wirtschaftsgebäuden ein
ganz neues herrschaftliches Wohnhaus gebaut, doch erst in den 30er Jahren. Die
neue Pachtperiode von Gramzow ging von 1812 bis 1818 und von da kam dann die
lange Periode von 27 Jahren bis 1845. Im Jahre 1812 gab es, als die große frz.
Armee durch Preußen nach Rußland zog, wieder sehr viel starke Einquartierung,
zuletzt auch Schweizer, die direkt aus Kalabrien kamen, bis Gramzow mit nur 2
Ruhetagen. Da hatten sie aber 14 Tage Standquartier, und es ward eine große
Revue mehrerer Regimenter mit Kanonen angestellt, (131) wobei die Truppen bis
dicht an den großen Gramzower Garten kamen. Auch war der Kornboden, der bekanntlich
aus drei Böden besteht, ganz zu einem großen frz. Brotmagazin eingerichtet.
Als diese in Gramzow einquartierten Franzosen plötzlich
Marschordre bekamen, hatten sie Befehle sich auf 14 Tage auch mit
Fleischproviant zu versehen. Mein Vater hatte gerade 20 schöne, fette Ochsen,
sie waren weiß, ich sehe sie noch, im Maststalle. Er selbst war nach Speck
verreist. Der Obrist eröffnet meiner Mutter, er müsse, so ungern er es tue, die
Ochsen alle mitnehmen. Meine Mutter sagt aber, im guten bekäme er sie nicht und
läßt schnell den Maststall mit einem großen Vorlegeschloß verschließen, (132)
damit die Gewalttat destomehr in die Augen springe. Nach langem Kapitulieren
marschiert der Oberst mit dem Regiment ab, läßt aber ein kleines Detachment
unter einem Sergeanten zurück, welche die Ochsen mitbringen sollten. Nun aber
sammelt der Inspektor, ein junger, sehr tüchtiger Mann, Karl Thielecke, die Knechte und Drescher
auf ihre Weise bewaffnet, und die paar Franzosen wagten die Gewalttat nicht,
sondern verkrümelten sich allmählich. So hatten die Entschlossenheit meiner
lieben Mutter dem Vater wohl 2000 Thl. gerettet, denn soviel mochten die Ochsen
nach damaligen Preisen wohl wert sein. Im Spätherbst 1812 kam dann die Kunde
vom Brande (133) Moskaus und dem jämmerlichen Rückzuge der "Grande
armée", und nun fingen die großen Begebenheiten an, die für viele, auch
für meines Vaters Seele sehr wichtig wurden, weil sie den Glauben an Gottes
Walten und Regieren erweckten, was denn später zum positiven christlichen
Glauben führte. Ein frz. General kam nach 1812 nach Gramzow, aberdemütig um Aufnahme
bittend. Ihm war schon in Rußland ein Bein zerschossen und noch nicht geheilt
worden; er kam in einer Kutsche mit eignen Pferden und hatte noch einige
wenige Mannschaft bei sich. In der Umgegend war er von einigen Pächtern oder
Gutsbesitzern aus Franzosenhaß abgewiesen worden. Mein Vater ließ (134)
sogleich durch mehrere Knechte den großen Sofa die Treppe
herunterbringen; den schwer Leidenden darauf legen, ihn ins Haus tragen und ihn
dann bestens verpflegen, wie auch seine Schar, die erfroren, zerlumpt und
verhungert genug aussah. Am andern Morgen wollte er bei dankbarem Abschiede
meinem Vater ein von ihm aufgesetzes Scriptum aufdringen, worin er bezeugte,
welche Aufnahmen er bei dem Oberamtmann Karbe in Gramzow gefunden habe, und
alle frz. Soldaten, die in sein Haus kommen würden, dringend auffordern, danach
ihr Verhalten einzurichten. In einigen Monaten, sagte er, seien die Franzosen
wieder da; ihr großer Kaiser werde sehr schnell seine alte Macht
wiedergewinnen. Mein Vater solle also diesen Schutzbrief (135) ja annehmen.
So kam nun das Jähr 1813 heran und sollte, durch den
patriotischen Umschwung unseres Vaterlandes vorbereitet, große Ereignisse für
ganz Deutschland mit sich führen. Doch brachte es auch schon im ersten Monate
große Familienfreude mit ins Haus. Meinen Eltern ward am Sonntag, den 17. Jan.
1813, nachmittags 4 Uhr, ihr 6. Kind der 5. Sohn, geboren, ein hübsches,
kräftiges Kind, das in der heiligen Taufe am Donnerstag, dem 4.März - zufällig
dem Tage, da die Kosaken in Berlin einrückten - die Namen: August Julius
Ferdinand erhielt und zu Paten hatte: 1. den Amtsrat Karbe, 2. den Oberförster Schulz aus Gramzow, 3. den
Prediger (136) Fritze aus Zichow[6],
4. Herrn Ferdinand Théremin, 5. Demoiselle Cusig Schwägerin des
Oberförsters, 6. Demoiselle Mathilde Nerest aus Briest. Herr
Ferdinand Théremin war damals in Gramzow, um von seinem Vater schnell
konfirmiert zu werden, damit er als Jäger mit in den Kampf für König und
Vaterland gehen könnte. Da er so sehr beliebt, auch schon 16 Jahre und nächsten
konfirmiert werden sollte, so ward über das eigentlich nicht Gesetzliche des
Patenstandes vor der Einsegnung hinweggesehen. Übrigens war dieser Freudentag
der Geburt meines Bruders für mich und meine liebe Schwester Ottilie doch ein
Tag, so die Tränen flossen. Wir waren mit unserm, eigentlich unsers Vaters
Vetter Helmut v. Krause aus Pritzlow, einem
Knaben von bald 9 Jahren (137) und damals Pensionär bei Théremins, in der Kinderstube,
als die frohe Botschaft an uns kam, uns sei ein kleines Brüderchen oder
Schwesterchen geschenkt. Was es sei, ward nicht mitgeteilt, wir beide, Ottilie
und ich, sprachen jedes seinen Wunsch für das eigene Geschlecht so lebhaft aus, daß daraus ein Streit entstand, der
unter Helmuts Anputschen zum Wrangen führte, wobei ich Ottilie unsanft auf die
Erde warf. Sie weinte, und als nun die Nachricht kam, daß es ein Knabe sei,
noch mehr, und ich weinte, über ihr Weinen. Sonst muß ich sagen, daß wir beide
uns stets musterhaft vertragen haben, und außer diesem einem Falle wüßte ich
nicht, daß wir beide uns ja nur ernstlich gezankt hätten, was freilich vielmehr
Ottiliens Sanftmut und (138) Nachgiebigkeit zu verdanken war, als meiner Art
und Weise. -
Zwischen Augusts Geburt und Taufe hatten nun die
vaterländischen Ereignisse schon stark in unsere Kreise hinein sich spüren
lassen.- Eines Nachmittags, ich denke im Februar, war ich im Unterricht beim
alten Pastor Théremin mit den Pensionären desselben. Da ließ sich ein Posthorn hören und Jettchen Théremin stürzte
ins Schulzimmer: "Vater, die Brüder sind da, alle drei!" Es waren der
zweite von den noch lebenden Théremin'schen Söhnen, Wilhelm, jetzt der teure
hochverehrte Schwiegervater meines Bruders August; Ludwig später Hoffmanns Nachfolger im Pfarramte
zu Gramzow[7],
und der jüngste, Ferdinand. Alle kamen eiligst aus Berlin, um des Vaters Einwilligung
zum freiwilligen Eintritt (139) ins Kriegsheer zu erbitten. Der Vater wollte es
nur den beiden ältesten Söhnen gestatten, Ferdinand war noch zu jung, dazu noch
nicht konfirmiert. Aber Ludwig ward zu großer Kurzsichtigkeit wegen ganz
abgewiesen. Da bestand Ferdinand darauf, mitziehen zu dürfen, und der Vater
willigte ein. Der Herr hat ihn sowie seinen ältesten Bruder auch am Leben
erhalten; der letztere ist als Ritter des Eisernen Kreuzes heimgekehrt aus dem
Feldzuge 1815.-
Vor Augusts Taufe kamen auch die ersten Kosaken nach
Gramzow. Auf die Kunde: "Die Kosaken sind da!" entließ uns der
gute alte Théremin seinem Unterrichte und wir bürsteten durch den Schnee ins
Dorf, was wir konnten; vor dem Schulzen Mützelburg standen etwa 20 kleine
magere Pferde, bei ihnen etliche bärtige Kosaken in langen Pelzen mit Knuten an
den Sattelknöpfen. (140) Dies waren die Fouriere. Gegen Abend, als Ottilie,
Helmut Krause und ich aus dem
Unterricht vom Klosterberg kamen und in der Trift zur Schäferei waren, kam ein
großer Schwarm angesprengt und erfüllte die Trift so, daß wir uns über den Zaun
in die Wöhrde flüchteten. Oben an der Haustür im Hause stand ein Kosake als
Posten mit gezogenem Säbel; Helmut gab ihm dreist die Hand mit den Worten:
"Guten Tag, Kosak!" Ich aber war zu blöde dazund Von Offizieren
erinnere ich mich nur des Generals oder Hetmanns, - es waren ein Pulk Donischer
Kosaken, - eines großen und schlanken jungen Mannes, dessen Reiten uns auffiel;
er stand kerzengerade im stärksten Jagen in den Reitbügeln. Beide hatten echte
Kosakenuniformen dunkelblaue Jacken und Hosen, (141) zusammen in eins, mit
breiten Gürtel und roten Vorstößen, eine Tracht, die nachher bei Knaben sehr in
Gebrauch kam und für sie auch hübsch und passend war. Obwohl der Hetmann sich
durch Hülfe eines polnischen Juden mit dem Vater unterhalten konnte, war er
doch sehr zärtlich gegen ihn und küßte ihn einmal über das andere. Es ward auch
alles getan, sie recht zufriedenzustellen. Die Mamsell, Dörtchen Berger, kam zur Mutter und
klagte, der eine der gemeinen Kosaken verlangte etwas und auch mit Hölfe des
Dolmetschers sei gar nicht herauszubringen, was er wolle. Da wagte es die liebe
Mutter und ging mit allen Schlüsseln in den Souterain und führte den Kosaken in
allen Räumen, wo Vorräte waren, umher; denn daß er etwas (142) zu essen
forderte, hatte man gemerkt. Da im Keller No. 3 ward er eines Fasses mit
eingemachtem Sauerkohl gewahr. Mit beiden Händen fuhr er hinein und stopfte
Kohl in den Mund und sagte: "Dobri, dobri!" Nun wurden Schüsseln
damit angefüllt, die Kosaken brockten eine Masse Hering hinein und gossen
Branntwein darüber und ließen sich's sehr gut schmecken. Der Hetmann ließ auch
einige Baschkiren und Kirkisen ins Wohnzimmer zum Vater in ihrer Landestracht
kommen, (die Kirkisen in voller Bewaffnung mit Bogen) und ließ sie
Nationallieder singen, die freilich nicht sehr melodisch klangen. Auch die Kosaken mußten musizieren und Lieder singen;
kurz, die Freude und Freundschaft war groß.
Bald kam auch preußische Einquartierung, ein
ostpreußisches (143) Bataillon; im Quartier bei uns war außer ander Offizieren
niederen Grades der Oberstleutnant v. Siöholm, ein tapferer Mann,
dessen Name auch rühmend in "Yorks Leben von Droysen" erwähnt wird,
und der sich das Eiserne Kreuz erworben hat; aber seine Zuversicht daß Preußen
und Rußland gegen Napoleons Kriegsgenie und immer noch sehr große Macht
standhalten würden, war nicht sehr groß. Er sprach sich in einer Weise aus, daß
der Eltern frohe Hoffnungen auf kurze Zeit deprimiert wurden. Bei diesem
Bataillon war schon ein Detachment freiwilliger Jäger, in das unser Jäger und
Bedienter Zimmermann freiwillig eintrat, von
unserm Vater ausgerüstet. Der Vater rüstete auch den holsteinischen (144)
Vetter Karl Reiche aus, der in
"Lützow'sche Freikorps" trat. Beide waren Ritter des Eisernen Kreuzes
und kamen glücklich zurück. Reiche ward 1815 in einem der letzten Treffen
hinter Paris leicht, doch bis zum Betäubtwerden verwundet; Zimmermann ist als
Förster in Immental in Vaters Diensten gestorben. -
Wie das ganze Vaterland brachten auch die Eltern Opfer,
selbst die Trauringe, für welche eiserne Ringe mit der Inschrift: "Gold
gab ich für Eisen!" zurückgegeben wurden. Die liebe Mütter gab alles, was
sie an Schmucksachen hatte, her, wie soviele damals. Der zweite Ökonom, Herr Woldenburg, ging als freiwilliger
Jäger bei den “Königin-Dragonern" mit. Wenn nun Zeitungs-Extrablätter mit
Siegesnachrichten kamen oder gar Briefe von Reiche, Zimmermann, Woldenberg auf
dem Amte, oder von den Söhnen bei (145) Théremins oder Hoffmanns anlangten, wie
wurden sie im ganzen Dorfe freudig mitgeteilt!
Wir Knaben spielten nun immer Soldat, hatten Ulanenlanzen
mit schwarz-weißen Fahnen machen lassen und übten uns täglich in ihrem
Gebrauch. Jeder Mann trug die schwarz-weiße Kikarde, und selbst wir Knaben
blieben darin nicht zurück. Als die in Gramzow ausgehobenen Landwehrmänner in
großen Trupps abmarschierten, zog das halbe Dorf nach, auch wir Kinder, gegen
Güstow zu. Die Frauen schrieen sehr; es haben auch manche ihre Männer nie
wiedergesehen. Aus Gramzow, damals 112 Feuerstellen, haben damals 19 Mann ihr
Leben für König und Vaterland gelassen. Die Einschliessung und Belagerung von
Stettin fing an; man (146) hörte öfters das Schießen, und die Kunde von der Not
der Eingeschlossenen ging durchs Land. Einmal kam auch das Gerücht, die
Franzosen seien aus Stettin ausgebrochen und zögen sengend und plündernd durch
das Land. In Gramzow und Umgegend gab dies eine große Erregung der Landleute,
deren ich mich selbst erinnere. Der liebe Vater war im Hochsommer 1813 nach
Speck verreist. Da kam gleich nach dem Essen, Ottilie und ich saßen gerade am
Tisch in der Wohnstube, und eine wunderliche alte Großtante, Tante Kienitz, Schwester der Großmutter
Karbe, wollte uns Kartenhäuser bauen lehren als der Aktuarius Weiland eiligst hereinkam und der
Mutter sagte, es sei ein Mensch da, der bringe Nachricht von Gefahr durch ein
französisches Streifkorps, er (147) könne es aber nicht recht glauben. Wir
stürzten hinaus. Da war vor dem Hause ein Mensch, triefend von Schweiß, der sagte,
er komme von Melzow, in Steglitz seien die Franzosen schon gewesen, als er
Melzow, durch den Schulzen abgeschickt, verlassen habe, und er habe es selbst
brennen sehen. Die liebe Mutter blieb doch sehr gefaßt, besprach sich mit dem
Aktuarius und Inspektor, schickte den Reitknecht den treuen Hans Böttcher, auf flinkem Pferde in
die große Heide, so weit zu reiten, bis er der Feinde gewahr werde, und dann
schnell umkehrend, Nachricht zu bringen. Die vielen gerade zum Sonnen in der Reitbahn
liegenden Betten mußten schnell ins Haus gebracht werden, wobei wir Kinder und
Tante Kienitz eifrig halfen; Mutter packte ein paar Waschkörbe voll Wäsche und
Kleidungsstücke (148) und darunter das Silberzeug. Dann mußten 4 Pferde vor den
großen, langen Holsteiner Wagen gelegt werden, wir wurden reisefertig angezogen,
der Wagen wurde bepackt, der Knecht Gottfried Nöhl stand neben dem alten,
großen gelben Sattelpferde bereit, und sowie Nachricht käme, sollte Mutter mit
uns nach Pommern über die Randow, in Blumberg bei Herrn v. d. Osten Zuflucht nehmen. Während
dies alles geschah, läuteten die Sturmglocken in Gramzow und allen umliegenden
Dörfern. Die Männer bewaffneten sich so gut es ging. Gewehre gab es freilich
wenig, aber Heu- und Mistgabeln spielten die Hauptrolle, und auch einige gerade
geligte Sensen kamen vor. Der Schweinejunge, der nicht zurückbleiben wollte,
nahm eine Wagenrunge. (149) So ging es unter Anführung des Oberförsters Schulz und des Dorfschulzen Mützelburg, die beide Soldat
gewesen, durch die große Heide auf Melzow zu. Aus unseren Saalfenstern sahen
wir einzelne Trupps von ländlich bewaffneten Männern querfeldein der Heide
zueilen, wohl aus Lützlow. Nur Greise, Weiber und Kinder blieben zu Hause.
Aber Hans Böttcher ließ lange auf sich
warten, und als er endlich kam, brachte er Nachricht, daß er bis dicht vor
Melzow geritten sei und da weder Franzosen noch Feuer gesehen habe. Die
ausgerittenen Landstürmer kehrten zurück; Röhl hatte längst schon wieder
ausgespannt, und wir waren froh. Der Amtsrat aus Blankenburg, der da wußte, daß
Vater verreist war, kam am späten Abend (150) noch angesprengt, die Mutter zu
beruhigen, daß es keine Gefahr habe. Hoffentlich seien es einige ausgebrochene
Kriegsgefangene, deren man aber gewiß längst habhaft geworden sei, oder es sei
ganz und gar nur blinder Lärm gewesen. Als solches erwies es sich denn auch,
war durch die ganze Mark und Pommern gegangen, und überall hatte sich der
Landsturm bewaffnet erhoben. Es soll von oben her angestiftet worden sein, um
namentlich das Landvolk zu prüfen, ob es nach dem Landsturmedikt auch tun
würde. Nun ward der ganze Landsturm in ganzen Lande organisiert; ist aber hauptsächlich
nur zu Gefangenen-Transporten gebraucht worden. Gefangene kamen auch bald; die
durch Gramzow kommenden wurden mitleidig und reichlich bewirtet, besonders drei
(151) Dänen die Mutter darunter entdeckte doch nicht mit so viel Ostentation
und Hallo, als die österreichischen Gefangenen von 1866. In Gramzow ward der
Oberförster Major des Bataillons, Mützelburg ward Rittmeister der
Kavallerie, wobei der Inspektor Thielecke Leutnant und der
Gerichtsdiener Hagenow Wachtmeister war. Mein
Vater war nur Flügelmann bei der Schwadron (20 Mann) was er der ihm erst
angetragenen Stellung als Bataillonskommanndeur vorgezogen hatte, weil er das
militärische Kommandieren nicht verstand. Er hatte sich aber vom Sattler einen
sehr starken breiten Gürtel von gelbbraunen Leder machen lassen, woran der
große Schleppsäbel angehängt wurde, und Vorrichtungen für 2 Pistolen (152) und
1 Dolch, sowie für 2 Munitionskästchen waren. Sonntagsnachmittags ward, uns
Kindern zur größten Lust fleißig exerziert; doch Vater, der bald merkte, daß er
als geübter Reiter mit gut eingerittenem Pferd, nicht mehr viel Übung nötig
habe, nahm nicht Teil daran. Es fand auch hin und wieder eine gemeinsame Übung
der Landsturms der benachbarten Ortschaften statt, wobei ich mich einiger
Prediger erinnere, die, den Säbel an der Seite, als Kompagnieführer agierten.
Einmal, Anfang November 1813 war eine Zusammenziehung
eines größeren Teiles des uckermärkischen Landsturmes, wobei das Hauptquartier
in Gramzow war. Der Kommandierende war ein alter Oberst a.D., nun der General
genannt, (153) v. Eickstedt, der im höchsten Grade
kurzsichtig war, sodaß er, vor dem Kamin stehend, diesen für ein Klavier hielt
und meine Mutter fragte, wer dies Instrument spiele. Einen Landsturmmann, der
in möglicht straffer Haltung Bericht erstattend vor ihn stand, kriegte er bei
den Schulter, drehte ihn um und rief: "Kerl, will er mich gleich
ordentlich ansehen!" Es fehlte nicht an Auftritten, die belacht wurden.
Doch hatte auch diese Landsturmeinrichtung gezeigt, welch ein Sinn damals in
Preußen war, und es sind auch in manchen Gegenden die Landsturmbataillone
aktiv gegen den Feind geworden, wie in der Priegnitz und Altmark. Diese
Landsturmeinquartierung in Gramzow war zwar sehr zahlreich, (154) doch hatte
sie den Befehl, möglichst viel Proviant selbst mitzubringen, und da gerade
Martinizeit war, so brachten die meisten sich auch geschlachtete fette Gänse
mit, deren manche Staunen erregte. Gramzow, als Domänenamt und großes Dorf, war
vorzugsweise bei allen Einquartierungen für die Regimentsstäbe ausgesucht, wie
denn auch die sogenannten Kantonrevisionen (militärische Aushebungen) für den
ganzen Kreis bis ins dritte Jahrzehnt hinein in Gramzow abgehalten wurden, was
der armen Mutter besonders viel Unbequemlichkeiten machte. Doch in den Jahren
der frischesten patriotischen Erhebung ward das gern getragen, wie auch andere
Leiden und Drangsale. Hierzu gehörte der große Mangel an Arbeitern, besonders
für die Erntezeit. (155) Da mußten denn die stärksten Mädchen mit ans Mähen und
Staken und auf den Taß auch manchmal wohl das Kindermädchen und Mamsells. In
der Zeit des Waffenstillstandes stand Berliner Landwehr in Gramzow und Umgegend
unter Major Pochhammer. Abends kamen die Sänger
davon vor dem Amthause zusammen und sangen, voll Ausdruck in Ton und Miene,
einen kleinen Trommelschläger in der Mitte, Kriegs- und Preußenlieder, z.B.:
"Für Vaterland und Ehre ergreifen wir die Wehre,
für unser Hab' und Gut verspritzen wir das Blut.
Napoleon soll versinken, die Preußen sollen blinken, + (156)
das preuß’sche Reich besteh', es
niemals untergeh'!"
Auch die schönen Körnerschen und Schenkendorf'schen und
Arendt'schen Kriegslieder breiteten sich bald aus. Meine liebe Mutter, nur
Natursängerin, und gar kein Instrument spielend, sang diese mit Begeisterung
uns Kindern vor, wie sie uns sonst gern gesellige Lieder vorgesungen. Wie süß
war es mir schon vorgekommen, wenn sie an der Wiege eines der kleinen Geschwister
sang: "Schlaf' Herzenskindchen, mein Liebling bist Du!" u.s.w. Meine
Mutter sammelte in einem kleinen Buche patriotische Gedichte, deren eines mir
so beweglich gewesen, daß ich nicht umhin kann, einen Teil davon niederzuschreiben.
Es war aus der Brieftasche eines gefallenen oder gefangenen (157) großherzoglich
badischen Offiziers und fing an:
Furchtbare Zeit, wo keine
Hoffnung leuchtet,
wo alles sinkt in der
Verzweiflung Nacht, wo dunkler Schmerz
der Heldenauge feuchtet,
wo feurig golden Morgenrot erwacht.
Verlornes Volk, verworrnes irres
Streben,
das blutig uns der Höllenmacht
verband.
Nicht Ehre mehr, noch Liebe hat
das Leben,
ein starrer Eid hält meine Kraft
gebannt.
O, könntet ihr aus euren Gräbern
steigen,
ihr teuren Kämpen jener wack'ren
Zeit,
mit Todesgruß auch segnend zu mir
steigen,
mich mit euch ziehn in eure
Seligkeit.
Doch zürnend blickt ihr auf den
Enkel nieder,
erkennt nicht mehr des alten
Stammes Art,
es kehrt die lichte Heldenzeit
nicht wieder, + (158)
die herrlich blinkend deutschen Glanz
bewahrt.
Nur in des Nordlands ritterlichen
Söhnen
flammt hell empor der alten
Zeiten Glut;
aus ihr stammt meines Herzens
tiefes Sehnen,
die Schuld zu löschen mit dem
eignen Blut.
u.s.w.
Dies mochte der lieben Mutter besonders ins Herz
gegriffen haben, weil ihr angestammter König Friedrich 4. von Dänemark ja
freilich durch Rußland, England und Schweden gezwungen, Napoleons
Bundesgenosse war. Die Mutter empfand dies sehr schmerzlich. Des Kronprinzen
von Schweden, Karl Johann, Gipsbild warf sie aus dem Fenster. Er hat es auch
durch die Art, wie er im ganzen Kriege sich zeigte, verdient. Wußte doch meine
liebe (159) Mutter, wie ihre alten Landsleute für die deutsche Sache auch
entflammt waren. Der Briefwechsel meiner Mutter mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern
in Schleswig-Holstein und Kopenhagen war durch den Krieg sehr erschwert. Die
Briefe mußten den dänischen Behörden vorgelegt werden und wurden mit Königlichem
Siegel zugemacht, wie ich solcher noch mehrere habe. Man konnte sich über
Politik nicht offen (unterhalten) aussprechen. Doch wußten die Verwandten sich
zu helfen. So schreibt ein Bruder meiner Mutter, damals Prediger in Husum schon
im März 1813:
"Ich kann nicht umhin, liebe Schwester, Dir zuerst
wegen der Nachrichten, die Du mir über den bekannten Prozeß mitteilst,
herzlich zu danken. (160) Daß Helm sich der Sache Anders so lebhaft annimmt,
freut mich sehr. Ich hoffe, seine Unterstützung wird Andern die Sache noch
erleichtern. Möge denn dieser die Sache auch in der letzten Instanz gewinnen,
und mögen endlich die Ränke, die sein Gegner so lange geschmiedet, fruchtlos
sein. Daß ihr selbst bei diesem famosen Prozeß noch so glücklich seid, aus dem
Spiele zu bleiben, freut mich sehr. So manche Unannehmlichkeit habt Ihr ja
schon darüber gehabt. Mich wundert, daß Du Dich nicht nach Deinem alten Freunde
und Landsmann Friedrich erkundigt, für den Du doch sonst Dich interessierst.
Ich kann Dir sagen, daß er sich ganz ruhig verhält, ruhiger als je. Mit seinen
Finanzen steht es freilich nur schlecht, allein er hofft mit vielen anderen
jetzt auf den Frieden, wird dann seinen Handel wieder anfangen, und (161) sich
dadurch emporzuhelfen suchen".
Man sieht hier offenbar, daß der Onkel den Sieg Preußens
und Rußlands (Helms und Anders, das heißt Wilhelm und Alexander) über Napoleon
wünscht und bedauert und entschuldigt, daß Dänemark nicht mitkämpft. Es war
eine schöne, große Zeit, die selbst auf Kinder von phlegmatischer Art, wie ich
einer war, für die Lebenszeit erhebend wirkte. Mein lieber Vater hatte großen
Segen davon. Gottes wunderbares Regieren ergriff seine Seele, er fing an, gerne
Gottesdiensten beizuwohnen und sich in seinen Betrachtungen mehr mit
göttlichen (162) Dingen zu beschäftigen. Doch davon später mehr. Jetzt noch
eine Geschichte, die Not der Zeit zu charakterisieren und mit ihr in Zusammenhang
stand.
Mein Vater mußte nach Speck reisen; es ging zu Pferde auf
einem russischem Schimmel, und ein Knecht sollte auch einen russischen Wagen
(Kibitke) mit einer Menge kleiner leerer Branntweinfässer für den Speckschen
Brenner Malbranc, und 2 junge selbstgezogene Pferde, die für den Gramzower
schweren Boden zu klein waren nach Speck bringen. Wegen der Belagerung Stettins
mußte der Weg über Greifenhagen genommen werden. Am Morgen von Staffelde aus
aufgebrochen, sollen Mensch, Pferde und Wagen über die Oder gesetzt werden.
Aber der Schimmel reißt sich 3-mal (163) hintereinander los, sobald die Fähre
in Bewegung gesetzt worden, springt ins Wasser und schwimmt an Land. Der Vater
mußte aber notwendig am Abend in Speck sein. Darum schickt er denn den Schimmel
durch den Knecht über Schwedt, um den andern Tag nachzukommen, und der Vater
setzt sich in die Kibitka auf eins der leeren Fässer und fährt los über die
Dörfer im Umkreis von Damm, das auch noch belagert wurde. Es wird , ehe die 7
bis 8 Meilen zurückgelegt sind, spätabends und sehr dunkel, Vater weiß den Weg
nicht mehr, muß oft absteigen und gehen in der regnerischen Nacht.-
Mögen die Enkel, die das lesen, durch alle Drangsale, die
der Großvater erlebt hat, sich stählen lassen! Es war dies freilich nur ein
Hauch gegen die Schwere (164) der finanziellen Bedrängnisse, die in der
Franzosenzeit und dann in der wohlfeilen Zeit im Anfang der 20 er Jahre eingetreten
waren, wenn kein Geld war, die Abgaben oder das Tagelohn zu zahlen, und zu
letzterem die Milchkasse der Mutter, sonst für den innern Haushalt überwiesen,
genommen werden mußte, und jene der Executor abholte, oder gar, wie es
einigemal geschah, der arme Vater
verreiste, um dem Executor oder einem anderen dringenden Gläubiger aus dem Wege
zu gehen. Wie schwer für ihn und fast noch schlimmer für die liebe Mutter! Es
ward mit der größten Sparsamkeit gewirtschaftet in Nahrung und Kleidung;
Semmeln z.B. gab es nur Sonntags für die ganze Haushaltung für 4 gGr. -
Der Herr hat durchgeholfen und den lieben Eltern zuletzt
noch Jahre geschenkt, in denen (165) sie sich einer gewissen Reichlichkeit
erfreuen konnten; und ihres Lebens letztes Jahrzehnt hatte wieder etwas von dem Glanze der väterlichen Jugendzeit,
nur unendlich verschönt durch das, was sie vorher so nicht gekannt, durch
Gottes teures Wort. Nun aber bin ich auf Seite 100 der Urschrift dieser
Ausarbeitung angelangt und mehr hatte ich mir überhaupt nicht gesetzt. Ich muß
mich fortan kurz fassen und vielerlei beiseite liegen lassen, was ich gern noch
erzählte. Darum kann ich nicht mehr erzählen des Vaters Beiwohnung bei der
Übergabe von Stettin, das Umwerfen der großen Kutsche zwischen Gollnow und
Speck, von "Louis le Grand" und den beiden kleinen Matthieus und den
Volgiteur, französischen Kriegsgefangenen in Gramzow und Speck, nicht
schildern, wie es war, als Weiland mit (166) dem Extrablatt kam: "Die
Preußen in Paris!", muß schweigen von der Friedenfeier am 1816 in der
Kirche und in den Häusern von der Zusammenkunft Vaters mit seinen Geschwistern
allen in Königshorst Ostern 1816 und der Reise des Vaters nach Speck mit den 3
Knaben August, Herrman und Julius, wo es war, als es in Stettin von der
Schildwache auf dem Walle Hiebe gesetzt, auch von dem alten Rotschimmel, Vaters
bestem Reitpferd, der nach langem, treuem Dienste vor seinen Augen von der
Brücke in den Neustädter Kanal, (Finow-Kanal) fiel. Also nur noch die
wichtigsten Ereignisse kurz erwähnt! -
Am Mittwoch, dem 24. Mai 1815, nachmittags 2 Uhr ward das
7. Kind meiner Eltern geboren, ein Knabe, in der Familie später als Kind oft
"Meister (167) Freundlich", in der heiligen Taufe am Sonntag, dem 16.
Juli, aber Wilhelm August Hermann Lebrecht (zu Ehren Blüchers) genannt
Paten waren: 1. Amtsrat Karbe,
2. Rittergutsbesitzer Karbe auf Staffelde, 3. Herr von Schkopp, 4. Pastor Théremin, 6. Hoffiscal Stabbert und 6. Justizamtmann Taats, beide aus Prenzlau, 7. Amtmann Fabricius von Speck
8. Demoiselles Amalie Hoffmann, 9. Wilhelmine Nernst, 10. Charlotte Théremin, 11. Karoline Herz, aus Israel entsprossen,
aber getauft.
Am Dienstag, dem 24. Sept. 1816 nachmittags, ward das 8.
Kind, der 7. Sohn meiner Eltern von 1806 - 1816, geboren und in der heiligen
Taufe am Montag, dem 11. November Bernhard August Julius genannt. Paten
waren: 1. Herr Karbe auf Staffelde, (168) 2. Amtsrat Karbe, 3. Herr v. Schkopp aus Polßen,
4. Pastor Nernst[8] aus Briest,
5. Pastor Fritze aus Zichow,
6. Aktuarius Weiland, 8. Demoiselle
Friederike Schulz, Schwester des
Oberförster, 9. Demoiselle Christiane Théremin, 10. Demoiselle Linchen Herz, 11. Demoiselle
Emilie Zieseler aus Zichow. -
Meiner Mutter Gesundheit hatte sehr abgenommen, und sie
litt sehr an nervösen Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, was jahrelang
fortdauerte. Im Jahre 1816 verlor mein Vater seine Schwester Albertine,
verheiratet an den damaligen Oberamtmann, nachherigen Amtsrat H. Meyer zu Königshorst. Dieser
Todesfall betrübte meine Eltern aufs tiefste, um so mehr, da er so plötzlich
eintrat und die Verstorbene 5 Kinder hinterließ, deren ältestes erst etwa 8
Jahre alt war. (169) Als meine Mutter mit meiner ältesten Schwester und mir 5
Jahre später in Könighorst war, weinte sie noch bitterlich am Grabe der
heimgegangen Schwägerin. Mein Vater war wegen Unwohlseins von der Reise
zurückgetreten.-
Das Jahr 1817, finanziell durch hohe Kornpreise ein
günstiges Jahr, aber für lange Zeit das letzte, brachte manche für die Eltern
wichtige Ereignisse. Ihr ältestes Kind ward aus dem Hause gegeben nach Berlin
in die Luisen-Stiftung. Dies ist eine Pensionsanstalt für die Töchter
gebildeter Eltern zum Andenken an die vielgeliebte Königin Luise von wohlgesinnten
Männern Berlins gegründet, um in den Familien des höheren Bürgerstandes den
Sinn für häusliches Leben zu (170) pflegen und zu fördern. Es war bezeichnend
für die Gesinnung der Eltern, daß sie diese Anstalt erwählten, und nicht darauf
sahen, wo die feinste "Tournure" beigebracht wurde. Im Okt. 1817
ward meine Schwester in die Stiftung gebracht zu der das Palais der
verstorbenen Prinzessin Amalie, jetzt Palais des Prinzen Albrecht, zum Teil
eingeräumt worden war. Bei Gelegenheit dieser Reise ward das 300-jährige Jubelfest
der Reformation in Berlin mitgefeiert; es war diese Zeit gewählt, um den
Hofprediger Théremin, der am 2. Festtage predigte, zu hören. Dieser teure Mann
gewann auf mein elterliches Haus, auf meine Eltern und Kinder, auf diese teils
direkt durch den Konfirmationsunterricht - Otilie (171), ich (Adolf) und August
sind 1821, 23 und 29 von ihm eingesegnet -, teils indirekt durch die Eltern
einen sehr großen Einfluß; er gab unserer Familie, ohne daß etwa ein sehr naher
persönlicher Verkehr durch Briefwechsel
oder Besuch stattgefunden hätte, die innerliche Richtung auf die Ewigkeit, so
daß wir im Laufe der Jahre eine "pietistische" Familie wurden, wie
man’s damals hieß, ein Wort, das zwar auch einen üblen Nebenbegriff in sich
schließt, doch von der Welt und ihren Kinder gebraucht, nichts anderes sagen
wollte, als daß man zu viel auf die Bibel und aufs Beten und zu wenig von
weltlichen Vergnügungen hielte. Diesen innern Lebensgang in der Seele meines
teuren seligen Vaters hat freilich noch manches andere gefördert, die großen
vaterländischen Zeitereignisse, dann die weitere christliche Lebensentwicklung
im ganzen Vaterlande, die daraus hervorgehen, die Kämpfe zwischen Licht und Finsternis, auch manche
Bücher, namentlich Predigten, wie z.B. die vom seligen Dr. Kniewel, auch mein Theologiestudieren,
ferner gar sehr auch die innige Verbindung mit einem jüngeren Mann, dem seligen
August Sybel, der, eine Reihe von
Jahren hindurch der Leiter meiner Brüder, erst Lehrer an der Realschule in
Berlin, dann in Potsdam war und 1838 als Prediger in Luckenwalde gestorben ist,
sind von Einfluß gewesen. Es ging dieser innere Lebensgang des sel. Vaters, wie
ja das Christenleben überhaupt, durch Kampf, Niederlage und Sieg, Zweifel und
Glaubenserhebung, Stehen und Fallen und Auferstehen, führte aber durch Gottes
Gnade (173) zuletzt zur herrlichen Einfalt in Christo. Der Vater hatte neben
vieler Ruhe - Zorn und Aufbrausen war ihm fremd - ein weiches, leicht
erregbares Gefühl dabei ein dogmatisches oder philosophisches Interesse,
Neigung zum Speculieren über höhere Dinge, wie keiner seiner Söhne, wenn ich
etwa meinen Bruder August ausnehme. Da waren denn nach dem Anfang der neuen
Lebensrichtung viel aufsteigende Zweifel zu überwinden, aber Gottes Gnade
führte hindurch zum schönen Ziel. -
Eine Reihe von Jahren hindurch von 1817 an machten meine
lieben Eltern nun jährlich Reisen nach Berlin, um dort Théremin zu hören und bei ihm zu
kommunicieren, was vermöge der Union zwischen der lutherischen und reformierten
Kirche in Preußen seit 1817 gestattet war. Mein Vater freute sich, wenn er
(174) bei Geschäftsreisen einen Sonntag traf, an dem Théremin predigte. Die
gedruckten Predigten desselben, durch Innigkeit des Glaubens und meisterhafte
Form gleich ausgezeichnet, wurden von den Eltern lange Zeit vorzugsweise
gelesen.-
Ich kehre zurück zum Herbst 1817. Bei dem Aufenthalte in
Berlin kaufte mein Vater ein besonders wertvolles Pferd für das kleine Gestüt,
das er damal angelegt, den Fuchshengst (Foxhunter) und gab dafür einen anderen
jüngeren Fuchshengst, 4 schwarze, aber schon alte Kutschpferde und 20
Friedrichdors, so daß er sich das Pferd 800 Rth. rechnete, für damals ein nicht
geringer Preis. Das Leben im Hause gewann eine etwas andere Gestalt, indem von
da an Hauslehrer eintreten, die fast immer 11 Jahre hindurch darin lebten. Mein
erster Lehrer Kroll, ein Philologe, (175)
besonders aber Mathematiker war, als 1813 ganz Prima und Sekunda des Prenzlauer
Gymnasiums und die beiden ersten Lehrer desselben mit in den Krieg zogen, wegen
sehr großer Kurzsichtigkeit abgewiesen worden und hatte dann selbst schon in
Mathematik in Tertia und Quarta unterrichten müssen. Im Winter 1817 trat noch
ein für meinen Vater und die Seinen verhängnisvolles Ereignis ein.
Am 13. Dez., abends, brannten die Wirtschaftsgebäude des
Gutshofes von Zichow ab; mein Vater, dort hingeeilt, stand in leichten Stiefeln
mehrere Stunden lang in Schnee und Wasser und erkältete sich so stark, daß auf
dem Flecke starke Schmerzen eintraten, und als er im Hause des Predigers Fritze sich mit großer Mühe
(176) den einen Stiefel ausgezogen hatte, war der Fuß so stark angeschwollen,
daß der Stiefel nicht mehr auf den Fuß zu bringen war und der Vater im
geliehenen Fußsack nach Hause fahren mußte . Es erfolgte ein mehrmonatiges
Krankenlager an der Gicht, die aus einem Bein in das andere und dann auch in
die Gelenke der Arme zog. An dieser "reisenden" Gicht hat nun der
sel. Vater viele Jahre zu leiden gehabt, oft mit großen Schmerzen; hin und
wieder kamen auch lebensgefährliche Anfälle, wenn das Gichtleiden innere Teile
ergriff. Öfters mußten die Krücken, vom Beinbruch her noch vorhanden, oder eine
davon in Gebrauch genommen werden; später ward ein Rollstuhl gebraucht.
Manchmal war er ganz hilflos an Händen und Füßen. (177) Der liebe Vater hat
gegen dies Übel viele Mittel gebraucht, in böhmischen Kurorten und in Berlin
gebadet, Brunnen getrunken, Schwefelbäder und russische Bilder gebraucht, doch
hat es ihn durchs ganze Leben geleitet, aber im letzten Jahrzehnt war es doch
gelinder . Die Anfälle kamen immer in Zwischenräumen, waren oft kürzer, nur
selten monatelang andauernd. Indes führte dies Übel doch viele Störungen in den
Berufsarbeiten mit sich, auch hat der liebe Vater manchem wichtigen und frohen
Familienereignis wegen Gichtanfälle nicht beiwohnen können, wie der Einsegnung
meiner Schwester Ottilie, meiner und, irre ich mich nicht, auch meines Bruders
Augusts Hochzeit. Zum Heile hat es ihm aber auch gedient; Leiden (178) und
Trübsal führen ja tiefer in Gottes Wort.
Auch die liebe Mutter nahm der Herr in die Kreuzschule körperlichen
Leidens. Nervöse Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit nahmen überhand, daß sie
1818 eine Badekur in Husum in Schleswig gebrauchte. Sie konnte im Hause ihres
Bruders, des Pastors Fabricius, dem die Großmutter die Wirtschaft führte,
wohnen und deshalb auch die 3 jüngsten Kinder mit Kinderfrau bei sich haben.
Und so war es eine Zeit vieler Freude und leiblicher Stärkung. Der liebe Vater
reiste mit Ottilien und mir zur Abholung nach, und wir durchreisten im halbverdeckten
Wagen mit 4 schönen hellbraunen Pferden einen großen Teil von Schleswig und
Holstein, da wir die Verwandten und Freunde in Hohenfelde (Hinks), Kiel (Lorentzen), Rendsburg (Esmarch), Husum, Tondern (179) (Deckers), und Itzehoe (0nkel
Heinrich Fabricius und Großtante Johannsen) besuchten, eine schöne
Reise, deren ich noch heute Tag für Tag erzählen kann. -
Im Jahre 1818 trat mein Vater in eine neue Pachtperiode
ein, die 27 Jahre bis 1845 dauerte.
Das Areal war schon und ward noch beträchtlich größer
durch Zuführung eines Teiles der kleinen Heide beim Vorwerk Zehnebeck, sowie
später durch einen Teil des von der großen Heide abgeholzten Landes, woraus das Vorwerk Koboltenhof gebildet wurde. Die ersten 8-10 Jahre dieser langen
Pachtperiode waren sehr schwer für die lieben Eltern; der enorm billige Preis
für Getreide, dann auch schlechte Ernten, welche wohl die Folge der völligen
Umgestaltung der Wirtschaftsart - Übergang der Dreifelder- in die (180)
Schlagwirtschaft - waren, eine langandauernde Rindviehseuche, die 1823 fast
den gesamten Rindviehbestand, sowohl Nutz- als auch Zug- und Mastvieh,
wegnahm, waren davon die Ursache. Die guten Eltern hatten aber dabei das
Bewußtsein, daß alle Verlegenheiten, die durch Pachtreste und gekündigte
Kapitalien eintraten, nicht durch Luxus und Genußsucht, sondern durch
Verhältnisse herbeigeführt waren. Daher tat sich wohl Traurigkeit - beim Vater
eigentlich auch nicht - kund. Sie trugen die Leiden der Zeit mit Geduld.
Michaelis 1819 verließ ich das schöne Elternhaus und kam nach Prenzlau aufs
Gymnasium; 1821 nach Berlin aufs Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Das
Jahr 1819 brachte ins Elternhaus eine Hauptbegebenheit. Es war erst eine
Tochter (181), dann 7 Söhne geboren worden; ein Töchterlein ward sehr ersehnt.
Diese gewünschte Tochter wurde am 16. August 1819, 8 Uhr früh geboren und
erhielt in der heiligen Taufe am Sonntag dem 29. August 1819 die
Namen: Lucie Albertine Marie Auguste. 1. Frau Hofprediger Théremin aus Berlin, 2. Pastor Fritze aus Zichow, 3. Demoiselle
Henriette Théremin, 4.Oberförster von Kobelinski aus Gramzow, 5. Kaufmann
Ernst Hoffmann. -
Die Freude der Eltern und Geschwister war sehr groß; der
Mutter Befinden nicht ungünstig. Die alte Kinderfrau, die Witwe eines längst
verstorbenen Kutschers, Frau Schilling, (eigentlich: Gelin) trat in Dienst für diese
jüngste Schwester und ward im Hause eine gern gesehene, hin und wieder auch
gefürchtete Person. Weil meine Schwester, als sie sprechen konnte, die eigene
(182) Mutter "Mutter" nennend, der Kinderfrau den Namen
"Mama" gab, ward die alte Frau, die bis zu ihrem Tode 1830 im Hause
blieb, auch von uns allen, selbst von meinen Eltern "Mama" genannt. -
So vorzüglich wie die Charlotte Klöns, nachherige Frau Matthes, war sie nicht, obwohl
eine treue Person. Während meine Mutter noch nicht das Zimmer verlassen durfte,
in der zweiten Hälfte des Sept. 1819, brach in der Nacht in der Brennerei auf
dem Boden, wo die Malzdarre stand, Feuer aus, das zum Glück noch rechtzeitig
entdeckt, nur kurze Zeit sehr gefährlich schien, da das Feuer schon hell aus
einer Luke brennend, von dem Giebel des mit Rohr gedeckten Stall- und
Scheunengebäudes gar nicht weit entfernt war. Es ward aber mit aus dem Keller
auf den Boden gepumpter Branntweinmaschine (183) bald gelöscht. Eine besondere
göttliche Gnade war es, daß die liebe Mütter von dem Rufen, Laufen und Fahren
nichts hörte, sondern ruhig schlief, bis am Morgen die abgewandte Gefahr
mitgeteilt werden konnte. Im Frühjahr 1819 ließ mein Vater den Zwischenbau
zwischen Wohn- und Gerichtshause aufführen auf seine Kosten, um eine ruhige,
abgelegene Schlafstube zu gewinnen, der armen Mütter bessern Schlaf zu verschaffen.
Sie hat das auch stets sehr dankbar anerkannt und der ruhigeren Schlafstube
sowie freilich auch dem Gebrauche des Seebades in Putbus die bessere Gesundheit
der späteren Jahre zugeschrieben. Der liebe Vater ließ sich unten in diesem
Zwischenbau ein eigenes kleines Badekabinet bauen, worin er (184) viel
Schwefelbäder seiner Gicht wegen gebraucht hat.-
Am heiligen Abend vor Weihnachten starb nach langem
Leiden der vieljährige, treue Hausfreund, der Aktuarius Weiland, herzlich betrauert von
den lieben Eltern. Er war schon zu der Zeit, als Sängers das Amt Gramzow vom
Großvater in Pacht hatten, Aktuarius gewesen und stand der Familie persönlich
viel näher als spätere Aktuare, wie er denn ein ganz besonderer Freund von uns
Kindern war, am meisten von August; er war es, der zum Heiligen Abend mit
großem Eifer den Christbaum aufputzte. Er hatte ursprünglich studiert, war dann
aber, wahrscheinlich des Examens wegen, in die Aktuariats-Stellung eingetreten.
Die Nachfolger, die mein Vater nahm, - denn der Aktuarius war in Diensten des
Domänenbeamten und mußte von ihm, der ja selber königl. Gehalt, ich glaube
700-800 Thl. empfing, besoldet werden - (185) traten nicht in so nahes
Verhältnis zur Familie, obwohl der Nachfolger Weilands, Herr Kollas vom Vater auch viel in
Privatgeschäften gebraucht wurde, und dessen Nachfolger, Latrille, wieder durch seine
entschieden christliche Gesinnung den Eltern innerlich nahestand. -
Anfang Mai 1821 kehrte meine Schwester Ottilie aus der
Pension zurück, nachdem sie in Berlin vom Hofprediger Théremin konfirmiert
worden war. Die liebe Mutter ließ sie nun gleich in der Haushaltung tüchtig
mitarbeiten; sie mußte morgens um 4 Uhr oder früher aufstehen, die
Milchwirtschaft zu besorgen, und es war der Mutter ganzes Bestreben, sie zu
einer tüchtigen Hausfrau auszubilden. Daß sie nun in die "Gesellschaft"
eingeführt werden müsse, Bälle besuchen, um ja bald einen Mann abzukriegen,
daran wurde gar nicht gedacht. (186) Und wie bald hatte sie einen, und zwar
einen sehr guten und trefflichen. Schon im Mai 1822 verlobte sie sich
nach erlangter Einwilligung der Eltern mit dem Oberamtmann und
Schuldomänenpächter Wilhelm Gründler[9] zu Seehausen, später
Amtsrat und Ritter des Roten Adlerordens, jetzt nach aufgegebener Pachtung in
Buckow bei Neustadt E/W in wohlverdienter Ruhe lebend. Freilich war ja nun die
Zeit ausserordentlich schnell herangenaht, in der die liebe Älteste ganz aus
dem Hause scheiden sollte; sie mußte während des Brautstandes eine Zeitlang aus
dem Hause, um, ehe sie an die Spitze eines eigenen Haushaltes träte, noch recht
in einer anderen Wirtschaft die Strenge des Dienstes zu erlernen. Deshalb war
sie während einiger Monate, ich glaube, fast 1/2 Jahr lang, in die Wirtschaft
der alten, sehr tüchtigen Amtsrätin Sänger (187) in Löcknitz um von
derselben und ihrer Tochter Ulrike weitere Leitung zu empfangen. Im Sommer 1823
machte die liebe Mutter mit Ottilien, als 18-jährige Braut, eine Reise nach
Holstein zu den Verwandten und brachten die ehrwürdige Großmutter Fabricius mit
nach Hause; der Mutter zur großen Freude konnte diese 1 ganzes Jahr bei ihr
bleiben. Am Geburtstage des Vaters und der Großmutter Fabricius, den
29. Sept. 1823 geschah die eheliche Trauung durch den Bruder meines
Schwagers, Prediger Ernst Gründler[10] zu Nahausen. Die Nähe von
Seehausen, nur eine Meile von Gramzow, begünstigte einen sehr lebendigen
Verkehr beider Häuser, fast wöchentlich konnte man zusammensein, alle Freude
miteinander teilen, alle Trübsal miteinander tragen; so wuchsen beide Häuser je
länger, desto inniger zusammen. (188) Ein Jahr nach der Hochzeit der Tochter
ward den lieben Eltern die erste Enkelin, und zwar im eigenen Hause zu Gramzow
geboren, die nun schon mit den Großeltern beim Herrn selig vereinte Auguste.
Die reiche Zahl von Enkeln (3) und Enkelinnen (5), die den lieben Eltern in
Seehausen geboren wurden, deren fröhliches Gedeihen und Entwicklung, brachte
ihnen viele Freude. -
Einen sehr freudig bewegten Tag brachte das Jahr 1826
meinen Eltern sowohl, wie dem ganzen Dorfe Gramzow, als am 2. heiligen
Christtage, das 50-jährige Amtsjubiläum des trefflichen, ehrwürdigen Predigers Théremin in der Kirche und dem
Théremin'schen Hause kirchlich u festlich begangen wurde. Freilich nahmen von
da an die Kräfte des teuren Greises schnell ab, und er starb im 86. Lebensjahr
im Sept. 1827. In demselben Jahr 1827 ward der Gatte der einzigen (189)
Schwester meiner Mutter, Jakob Decker, von seinem Amt am
Seminar zu Tondern als Pastor nach Reinfeld bei Oldesloe in Holstein versetzte.
Die Großmutter Fabricius zog mit dahin, und so
machte meine liebe Mutter von 1827 an 4 Jahre hintereinander alljährlich eine
Besucherreise zu der Mutter und den Geschwistern nach dem lieblichen Reinfeld.
In den beiden letzten Lebensjahren der Großmutter trat die Cholera hindernd
dazwischen. Zu diesen Reisen ersparte sie sich vom Milchgelde die Kosten und
machte sie dann mit eigenem Gespann und in Begleitung ihres Bruders Hermann
oder eines jüngeren Familienmitgliedes für die geringe Summe von etwa 30 Thl.,
wobei sie dann immer etwa 16 Tage auf die ganze Reise verwandte. - Michaelis
1826 ward mein Bruder August aus dem Vaterhause aufs
Friedrich-Wilhelm-Gymnasium nach Berlin gebracht, und dies ward die Ursache zur
näheren Verbindung mit dem trefflichen schon genannten jungen Theologen Sybel. Mein Bruder wohnte bis
1828 mit mir zusammen und stand unter meiner näheren Leitung, da ich seit
Ostern 1825 in Berlin Theologie studierte. Da ich Ostern 1828 nach Kiel ging,
meine Studien dort fortzusetzen, schlug ich meinem Schul- und
Universitätsfreund Sybel vor, meinen Platz bei meinem Bruder zu übernehmen.
Derselbe nahm dies an, ward Lehrer an der Realschule und hatte dann von
Michaelis 1828 an auch meine beiden jüngsten Brüder unter seiner Obhut. Diese
letzteren folgten ihm, als er Ostern 1831 eine Anstellung in Potsdam erhielt,
auch dorthin, und auch meine Schwester Lucie ward (191) ihm, da er deren
Erzieherin Bertha, geb. Kistenmacher, zur Ehe nahm, in Pension
gegeben. So kam Sybel häufig nach Gramzow, die Eltern besonders der Vater auch
häufig zu ihm, und als in Sybel sich ein sehr inniges und in der Liebe tätiges
und kräftiges Glaubensleben entwickelte, gereichte dies meinen Eltern, mir und
meinen Geschwistern zum großen Segen. Leider starb er schon im Dez. 1835 als
Diakonus in Luckenwalde. Meine Mutter erkrankte einige Tage vor der ehelichen
Verbindung Sybels mit seiner Braut, die Ostern 1831 im Hause meiner Eltern
gefeiert wurde, sehr heftig an der Lungenentzündung und behielt von da an
Neigung zu entzündlichen Affektionen der Lunge. Sie pflegte sich wohl wenn sie
Stiche fühlte, gleich Zugpflaster von spanischen Fliegen zu legen. Dies kam
nicht ganz (192) selten, ward auch einige Male ziemlich schlimm, doch nicht so
sehr, wie das erstemal. Im übrigen ward meiner Mutter Gesundheit besser wie in
jüngeren Jahren, sie konnte sehr rüstig wirtschaften, wie sie denn immer gern
selbst mit angriff und früher klein und schmächtig wurde sie mit späteren
Jähren etwas stärker und hatte selbst etwas Embonpoint. -
Meinen lieben Vater traf in der Erntezeit 1832 ein
Unfall, der durch Gottes Schutz noch leicht genug ablief, aber recht schlimm
hätte werden können. Schon 1 Jahr vorher war er zugleich mit meinem Bruder
August ziemlich heftig vom Pferde geworfen worden, ohne jedoch Schaden zu
nehmen. In der Erntezeit 1832 aber fiel der alte, große, schwere Herr (von
seinen Söhnen und Enkeln ist nur Paul größer geworden), (193) indem er neben
dem Inspektor Weinmann auf dem Felde zu Pferde
hielt und einem Schlage von Weinmanns Pferde nach links hin etwas ausbiegen
wollte, von seinem Schimmel. Der Sattelgurt war zu lose geschnallt, und der
Sattel rutschte links herunter, und indem sich der Vater auf den linken Arm
stützte, brach der eine der beiden Armknochen zwischen der linken Hand und dem
Ellenbogen dicht über dem Gelenk ein. Der liebe Vater hatte nicht viel
Schmerzen davon, und es heilte für sein Alter sehr schnell wieder. Am
24. Sept. 1832 nahm Gott die alte Großmutter Fabricius in Reinfeld zu sich. Sie
hatte in der letzten Zeit mancherlei körperliche Leiden, auch geistige Anfechtungen
über ihre Seligkeit, wobei sie durch Gottes Wort reichen Trost durch ihren
Schwiegersohn erhielt, zu tragen gehabt. (194) Da sie das hohe Alter von 78
Jahren, 11 Monaten, 28 Tagen erreichte, kam ihr Ende meiner Mutter nicht
unerwartet, und sie war wohl betrübt aber gefaßt. Im folgenden Jahre 1833 stand
sie gerade am Jahrestage ihres Todes an dem Grabe auf dem so schön gelegenen
Reinfelder Kirchhofe, Meine Mutter, die einzige von den Meinen, da Vater
gerade, wenn auch nur gering, gichtleidend war, begleitete mich nämlich, als
ich, als Rektor und Kaplan in Fehrbellin angestellt, am 23. Sept. 1833 den
kirchlichen Segen durch Vatershand und Vatersmund zum ehelichen Bunde mit
meiner lieben Henriette Decker erhalten sollte, nach Reinfeld.
Hier muß ich wieder an mich halten, daß ich nicht zu ausführlich werde. Es
reiste sich überhaupt gar schön mit der Mutter zusammen. (195) Sie war auf
solchen Reisen, die damals ja noch mit eigenem Fuhrwerk gemacht wurden, das
nicht die Welt durchflog, sondern Zeit hatte, sie zu besehen und sich ihrer
Schönheit zu erfreuen, immer besonders heiter. Die Sorgen und Mühen der
Wirtschaft waren abgetan; alles Schöne in der Natur - und Mutter hatte dafür
ein feines Gefühl - erhöhte die freudige Stimmung. Dann sang sie gern, freilich
ganz kunstlos und mit eben nicht starker Stimme. Sie hatte ein sehr gutes
Gedächtnis, wußte noch im Alter nicht allein den Katechismus Lutheri, sondern
auch lange Stellen (196) aus dem schleswig-holsteinschen Landeskatechismus,
lange Stellen aus den deutschen Klassikern auswendig aufzusagen. Dann erzählte
sie auf den Reisen so schön von ihrer Jugendzeit, aus Gramzow und Chorins früheren
Zeiten, sorgte auch jedesmal für einen gut versehenen Kober zur Stärkung der Reisegenossen
und vergaß dabei nicht das Dütchen mit Salz zum Kalbsbraten und ein kleines
Gläschen ohne Fuß für den Wein. Kurz, es war eine Lust, mit ihr zusammen zu
reisen. Und hinterher hatte mein lieber Vater dann noch die Freude, sich
wundern zu müssen, daß die treue Frau so wenig zur Reise gebrauchte. Doch war
eins, was, wenn sie fuhr, auch wohl Störung der Freude gab: sie war beim Fahren
sehr ängstlich; Schiefgehen des Wagens, schlechte (197) Wege, etwas mutige
Pferde konnte sie leicht in Angst setzen. Die Rückreise ins Vaterland und dann
an den eigenen neuen Wohnort machten meine liebe Mutter, meine liebe junge Frau
und ich wieder zusammen, unterwegs in Mecklenburg von dem lieben Vater
abgeholt, der unterdes ganz genesen war. Das Leben in dem Hause meiner teuren
Eltern entwickelte sich immer glücklicher. Meine 3 Brüder weihten sich alle dem
väterlichen Beruf und konnten bald dem Vater in der eigenen schönen Wirtschaft
Hülfe leisten; zuerst mein Bruder August, der mit jugendlich frischem
Eifer und bedeutenden Gaben als Inspektor einige Jahre zur Förderung der
Gramzower Wirtschaft viel beitrug, indem er sich auch mit großer Kraft auf das
Einzelne warf und zu einigen sehr ersprießlichen Umänderungen in der Art der
Bewirtschaftung den Antrieb gab, bis 1839 das vom Vater erkaufte große Rittergut
Lichterfelde (bei Eberswalde) unter seine specielle Leitung kam.
Dann trat Hermann ein, erst als Inspektor, dann
als Amtsassistent und hatte das Glück, seit 1841 nebst seiner Frau, der teuren
seligen Mathilde, geb. Hengstenberg, mit den teuren Eltern,
bis an ihr Ende einen Hausstand zu bilden und ihre letzten Lebensjahre zu
erleichtern und zu verschönern. - Die Zehnebecker Vorwerkswirtschaft war,
vorher schon größerer Selbständigkeit erhoben, erst dem früheren Inspektor,
Amtmann Richter und dann dem Vetter
Wilhelm Pich, der die mehrjährige
treue Wirtschaftsgehülfin meiner (199) Mutter, Minchen Schindler heiratete, in
Administration und auf Tantiem gegeben, was günstige Resultate lieferte. Indem
meine lieben Brüder so in dem schönen väterlichen Beruf tätig waren, und dabei
sich immer mehr ausbildeten, war es eine Freude für jeden Nahestehenden und
Geistlichgerichteten, wie sie auch die Dinge des ewigen Lebens erfaßten und
sich je mehr und mehr zum Heilande, unserm Herrn, bekannten, sich seines Namens
nicht schämten und nicht nach der Weise so vieler junger Leute nach den
Weltfreuden und sinnlichem Lebensgenuß jagten. Ich habe aus jener Zeit von
allen meinen Brüdern Briefe, die ich noch jetzt nicht ohne Bewegung lese und
die ein frisches, geistiges Streben nach den ewigen Gütern bekunden (200)
Das Jahr 1836 ward gleich im Anfang durch ein den lieben
Eltern sehr erfreuliches Ereignis bezeichnet. Am 30. Jan. ward ihnen der
erste Enkel ihres Namens (zugleich der Erstgeborene einer neuen Generation der
ganzen weiten Familie Karbe) mein teurer, nun schon mit den Großeltern beim
Herrn vereinigter "Sohn Karl" geboren. In Briefen
sprach sich erst ihre Freude sehr herzlich aus, die sich dann, als ich im Juli
mit meiner Frau und dem Söhnlein 14 Tage in Gramzow verweilte, den Großeltern
den Enkel zu präsentieren, auf die führendste, mir unvergeßliche Weise aus. Mit
großmütterlicher Freude zeigte meine Mutter überall den Enkel mit den runden,
roten Backen und blauen, hellen Augen. -
Der väterliche Hof bot aber diesem Besuche einen
traurigen Anblick dar. Wenige Wochen vorher waren sämtliche Stall- und Scheunengebäude
des großen Hofes abgebrannt. Am 30. Juni. abends (201) 11 Uhr, als
alles schon in Ruhe lag, sieht der Hofnachtwächter in der süd-östlichen Ecke
von außen her über dem großen Stall und Scheunengebäude eine Flamme aufsteigen,
und er macht sogleich Lärm. Als aber mein Vater, schnell angekleidet, vorn aus
dem Fenster sah, standen schon die Dächer der Ställe und Scheunen, sämtlich mit
Stroh gedeckt, an 3 Seiten des sehr großen Hofes in hellen Flammen. Alles Rindvieh, bis auf 10 Ochsen, alle Schweine, alle Kutschen, ein
großer Vorrat von allerlei Wirtschaftsgerät verbrannte. Durch die Treue und
den Mut der Leute, besonders der Pferdeknechte, die ihre Kleider vor dem Bett
im Stiche ließen, wurden sämtliche Pferde und Füllen und alles Sielenzeug
gerettet. Aber das arme Rindvieh, dessen jämmerliches Brüllen die Luft
erfüllte, konnte nicht gerettet werden, weil die Dächer schon (202) brennend
herunterfielen. Die Bäume des Gartens, die von 2 Seiten den Hof umgaben, waren
alle schwarz angebrannt und sahen schauerlich aus. Gott sei Dank! waren aber
keine Menschenleben zu beklagen. Der Verlust war, da mein Väter nicht hoch
versichert war, groß und ging in die Tausende und ward noch dadurch vergrößert,
daß durch besondere Umstände, die mein Väter nicht in seiner Gewalt hatte,
sondern von der verpachtenden Behörde ausgingen, die Scheunen sehr spät
hergestellt wurden, so daß von 2 Ernten, 1836 und 1837, ein großer Teil in
Mieten gesetzt werden mußte. Doch meines Vaters Wohlstand war damals ziemlich
fest begründet, und "Krieg und Brand segnet Gott mit milder Hand!" Er
hatte zwar viele Umstände, auch Verdrießlichkeiten und Verlegenheiten fast
2 Jahre hindurch, auch durch den großen Neubau, aber seine Verhältnisse
(203) wurden dadurch keineswegs dérangiert. Noch erwähne ich, daß das große
Wohnhaus auch ganz war ausgeräumt worden, und alle Hausgeräte in den Garten
hinter dem Hause nach dem großen See zu hingestellt wurden, und doch, obwohl
eine große Menschenmasse zusammengeströmt war, - 28 Feuerspritzen wurden
gezählt - es kam nichts fort, ward nichts bedeutend beschädigt, nur alle
Scheren waren nicht wieder zu finden.
Am Ende den Jahres 1838 übernahm ich, von der
Königl.-Reg. berufen, das Pfarramt zu Drensen, 1 1/2 Meilen von Gramzow, und so
hatten die Eltern eine Zeitlang 5 Kinder in naher und nächster Nähe
Ottilie in Seehausen mit zahlreicher Kinderschar, mich in Drensen, August in
Lichterfelde, Hermann und Lucie im Hause selbst. Es war eine schöne Zeit. Zwar
(204) betrübte die lieben Eltern, wie alle Preußenherzen, der Tod des edlen,
treuen Königs Friedrich Wilhelms III. im Juni 1840, unter dessen Scepter
sie mit dem ganzen teuren Vaterlande so heilsame Züchtigungen Gottes und so
herrliche Errettung erfahren hatten. Doch der Geistesaufschwung den die ersten
Jahre Friedrich Wilhelm IV. herbeiführten, die wunderschönen Testamentworte des
Heimgegangenen, die herrlichen Bekenntnisse des neuen Königs in Berlin bei der
Huldigung und in Königsberg brachten auch in unser aller Gemüter neue Erhebung.
Dabei hatte die Politik doch nicht so alle Interesse gefangen genommen, die
Angelegenheiten des Reiches Gottes waren in dem Kreise in dem wir uns bewegten
im Vordergrunde, und wir sahen für die Kirche und Vaterland sehr hoffnungsreich
in die Zukunft. Wenn ich von Drensen zum Besuch (205) nach Gramzow kam und den
lieben Vater begrüßte, waren wir öfters schon, ehe ich andere begrüßen konnte,
durch sein Anregen in ein eifriges Gespräch, oft auch Disputieren, über
biblische Stellen und kirchliche Lehren und Ordnungen geführt. Das Gramzow'sche
Haus fing an, besonders von gläubigen Geistlichen der Gegend zur großen Freude
der Eltern aufgesucht zu werden, und ward einer der Mittelpunkte für die
christlichen Vereine, besonders der Mission und der Rettungshäuser für
verwahrloste Kinder, wie denn mein Vater auch testamentarisch dem Gramzower Rettungshause
100 Thl. vermacht hat, weshalb in demselben seiner alljährlich an seinem
Todestage in dankbarer Feier gedacht wird. Seine Neigung zu christlicher
Beschaulichkeit und Grübelei bezeugt seine ziemlich starke Sammlung von
Aufsätzen über christlich Dinge, (206) am schönsten ist ein Bogen, auf dem eine
Sammlung von Schriftstellen unter gewissen Rubriken aufgezeichnet ist, z.B.
"Aussprüche der heiligen Schrift, die mir besonders tröstlich geworden
sind, - die ich zu verstehen glaube, doch noch nicht mit völliger Klarheit, -
die mir noch fast unverständlich sind, - die mir noch ganz dunkel sind."
Mehr und mehr vertiefte sich sein inneres Leben zur
Einfalt in Christo. Meine teure Mutter, die sich von Anfang an schon mehr im einfachen
Glauben an das Wort der Schrift gehalten und es angewendet hatte, hat weniger
geforscht wie der Vater, aber der Glauben war auch in ihr je länger je
lebendiger geworden. So hatte sich eine schöne Zeit des inneren Lebens durch
Gottes Gnade im Hause der Eltern entwickelt und entfaltet. Nun (207) kamen
auch eine Reihe von Familienereignissen, freudigen und schmerzlichen, die
mannigfach in der teuren Eltern Leben eingriffen.
Ihre noch unverheirateten 4 Kinder traten in Zeit
von 4 Jahren in den heiligen Ehestand:
Hermann Karbe, 1841 mit Mathilde Hengstenberg, Tochter des Tochter des
sel. Pastors Hengstenberg in Wetter in Westfalen, Schwester des Professors Dr.
th. Hengstenberg zu Berlin.
Lucie Karbe, 1841 mit August von Scheven, dem mein Vater sein
Rittergut Speck verkauft hatte.
August Karbe, 1843 mit Therese Théremin, Tochter des Gerichtsrats
Théremin in Spandau.
Julius Karbe, 1845 mit Minna Walter, Tochter des
großherzoglichen mecklenburgischen Domänenpächters Walter zu Dargun.
Im Jahre 1844 war die älteste Enkelin Auguste Gründler dem Prediger Hildebrand zu Groß-Muckrow ehelich
verbunden worden. Nachdem im lieben nahen Gründler'schen Hause der ersten (208) Enkelin Auguste, geb. 1824 - Enkelin Julie 1826, Enkel Theodor 1828, Enkelin Henriette 1829, Enkel Fritz 1831 und Enkel
Wilhelm 1833 gefolgt waren, dann mein Karl 1836 und 1837 2
Enkelinnen Marie Gründler und meine Marie geboren wurden, hatten die lieben Eltern acht Jahre nacheinander jährlich
Zuwachs an großelterlichen Freuden.
1840 kam meine Auguste zur Enkelschar hinzu, 1841 meine
Elisabeth, 1842 Anna Gründler, 1843 Richard v. Scheven und dann mein Adolf, 1844 Hans in Lichterfelde (doch geboren im groß-elterlichen Hause zu
Chorin) und Lydia in Gramzow, 1845 Magda v. Scheven und Paul in
Lichterfelde, 1846 Wilhelm in Gramzow, Anna v. Scheven, Elisabeth in
Lichterfelde, 1847 Eduard in Gramzow.
Doch wie es nicht anders sein kann bei Menschen im
vorgerückten Alter und sich weit erstreckenden Familien- und Verwandtenkreisen,
es kamen auch für die lieben (209) Eltern sehr schmerzliche Ereignisse vor.
Schon im Juli 1834 war die einzige Schwester meiner lieben Mutter durch den
schnellen Tod ihres Gatten, des Pastors und Professors Decker meines teuren
Schwiegervaters, in den betrübten Witwenstand versetzt worden, zu großer
Teilnahme für meine Mutter, die die geliebte Schwester im Herbst 1834 noch
besuchte. Dann starb 1840 nach langem Halsleiden der jüngste Bruder meiner
Mutter, Etatsrat Fabricius, in Glückenstadt. Das
Jahr 1845, das, wie schon erwähnt, durch die Geburt einer Enkelin und eines
Enkels, sowie durch die Verheiratung des jüngsten Sohnes Freuden mit sich
führte, brachte, besonders ereignisreich auch viel schmerzliche Tage. Meines
Vaters jüngster Bruder, Herr August v. Karbe auf Staffelde und
Pargow. (er war 1840 geadelt worden) starb nach langem schweren Leiden.
Mein Vater war sehr betrübt, besonders auch, weil diesem seinem von ihm so
geliebten Bruder (210) das Wort Gottes in seinem Leben, soweit man wissen
konnte, ganz fremd geblieben war. Allein die unergründliche Barmherzigkeit
Gottes, der auch des Sterbenden Seufzer noch hört und erhört, war des Vaters
Trost, sah doch des lieben Onkels Leiche im Sarge so friedvoll aus wie im
Leben. Auch 2 Brüder meiner Mutter, den 3. Amtmann Hermann Peter Fabricius zuletzt als Rentier in Gramzow
lebend, und den ältesten Justizrat Heinrich Fabricius zu Itzehoe, rief der Herr
im Jahr 1845 aus dieser Zeit zu sich in die selige Ewigkeit. Am
erschütterndsten, wie für alle Nahestehende, so auch für meine Eltern, war der
am 27. September, ihrem 22. Geburtstage, an Unterleibsentzündung erfolgte
Tod ihrer ältesten Enkelin, der Frau Pastorin Auguste Hildebrand in Groß-Muckrow. Und doch
konnten wir hier so recht trauern als solche, die wohl Hoffnung haben. Die
selige Auguste hat einen beneidenswerten (211) Lebenslauf gehabt. Ein zwar
nicht mit großen Talenten, aber mit schönen Gaben des Gemüts ausgestattetes
Kind; besonders von allen, die sie kannten, als Kind und Jungfrau geliebt, im
einfältigen Christenglauben aufgewachsen, wohl, wie ich glaube, möchte, durch
Gottes Güte in der Taufgnade bewahrt, hatte sie des Lebens Weh und Schmerzen
bis zum eignen Tode fast nicht kennen gelernt. Früh einen gläubigen, würdigen,
sie herzlich liebenden Manne verbunden, hatte sie nur die Sorge gehabt, ob sie
auch ihren Beruf treu erfülle, und es ward an ihr erfüllt das Wort des Herrn:
"Die mich frühe suchen, finden mich!"
Das für die Eltern so ereignisreiche Jahr 1845 ward für sie auch dadurch bedeutend, daß mein Vater, nachdem er Gramzow auf
eine neue Periode von 24 Jahren wieder gepachtet hatte, die Pachtung
ganz an meinen Bruder Hermann (212) abtrat, so daß nun meine
Schwägerin Mathilde an die Spitze des Haushalts trat, was ihr nicht allein
dadurch erleichtert ward, daß meine Mutter, soviel die Pflicht des greisen
Gatte und die eigene Kraft noch gestatteten, stets zu Rat und zu tätiger Hilfe
bereit war, sondern auch dadurch, daß meine Mutter eine sehr treue, tätige und
umsichtige Wirtschaftsgehülfin, Fräulein Henriette Fanthen, (Vandrey) die
ein Jahr vorher ins Haus gekommen war, ihr mit übergeben konnte, die sich denn
auch bis auf den heutigen Tag, nunmehr 24 Jahre, bewährt und ganz in die
Familie eingelebt hat.
Meine Eltern zogen nun, möchte ich sagen, ins Altenteile.
Ein Teil der Ostseite des Hauses ward für sie recht warm und komfortabel
eingerichtet. Ihr Frühstück genossen sie für sich auf ihrem Zimmer, die übrigen
Mahlzeiten mit ihren Kindern und der Hausgenossenschaft. So ward denn meinem
Bruder und seiner (213) Frau das Glück beschert, die lieben Eltern bis zum Tode
zu pflegen. Mein Vater kam von einer Reise nach Berlin bei starker Hitze in
wunderbarem, uns alle erschreckendem Zustande zurück. Es war, als hätte er
einen Schlaganfall gehabt. Nicht, daß Gliedmaßen gelähmt oder die Gesichtszüge
verzerrt gewesen wären, aber er sprach fast gar nicht, und wenn er sprach, sehr
undeutlich und mit Verwechselung von Worten; das Gedächtnis hatte sehr
gelitten, so daß er die alltäglichsten Dinge nicht zu nennen wußte. Der Zustand
besserte sich wieder bedeutend, doch war der Geist etwas geschwächt, und im
Lauf der folgenden Jahre nahm er sehr ab. -
Meine Mutter sollte einige Jahre später noch den Schmerz
erleben, noch eins ihrer Geschwister zu verlieren. Ihre Schwester, meine teure
Schwiegermutter, die Frau Pastorin Decker, kam 1847 zu mir nach
Drense auf längeren Besuch. In dem sehr kalten Wetter erkrankte (214) sie an
der Grippe und starb nach kurzem Darniederliegen sanft am 7. Januar 1848,
tief wie von uns allen, so auch von der Schwester betrauert. -
Die letzten Tage meiner lieben Mutter und die letzten
Jahre meines Vaters sollten nun noch durch das böse Revolutionsjahr 1848 bewegt
werden. Es konnte nicht anders sein, als daß meine Eltern und alle ihre Kinder
in den im Jahre 1848 ausgebrochnen revolutionären Volksbewegungen wider das
Königtum von Gottes Gnaden mit Entschiedenheit und Lebendigkeit auf der Seite
der Fürstenthrone standen. Wir alle, die Eltern voran, hingen mit ganzem Herzen
an den edlen Hause der Hohenzollern, denen unser Vaterland so viel verdankt.
Dem teuren König Friedrich Wilhelm 4. waren wir mit besonderer Liebe zugetan,
weil er sich zum Herrn bekannte. -
"Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!"
hatte er noch vor 11 Monaten (215) bei feierlicher Gelegenheit gesagt. Wir
sahen auf das teure Königspaar, das in christlich reinem Familienleben den
Untertanen ein großes Beispiel auf dem Thron gab, mit hoffender Seele und
waren alle dem Könige treu auf Grund des göttlichen Wortes: Römer 13.
So war denn die Erhebung gegen den Thron, die in Berlin
am 18. März 1848 in offenen Aufruhr ausbrach, uns allen, besonders auch
den Eltern, ein Greuel, und die dem König und der Königin widerfahrenen
Beleidigungen trafen uns selbst in tiefster Seele. In Gramzow, wie in
Lichterfelde, Seehausen und Drense kamen freilich gar keine tumultarischen
Bewegungen vor; das Volk blieb dem Könige und der Ordnung treu. Die
schwarz-rot-goldene Kokarde, das Zeichen der Revolution, ward verschmäht, ja gehaßt,
mußte doch mein Bruder in Gramzow sich einige Tage lang auf die Postexpedition
begeben, um die flüchtend von Berlin Durchreisenden, deren manche (216) sich
durch die Trikolore zu sichern geglaubt hatten, gegen Volksinsulten zu sichern.
Auch ins Haus des Bruders und der Eltern nach Gramzow kamen Freunde und
Verwandte aus Berlin, den dortigen Tumulten sich zu entziehen; mein Bruder
Julius, damals Administrator
zu Kammerswaldau bei Hirschberg in Schlesien, brachte, weil dort wirklich Aufruhr
sich zeigte, seine Frau nach Gramzow in Sicherheit. Man hatte ihn in den Kretscham
(Dorfgasthof) gerufen und ihn 7 Stunden lang umlagert und festgehalten und mit
Drohungen, wenn er nicht nachgebe, bestürmt, um von ihm Bewilligung seitens der
Gutsherrschaft zu erpressen, über die er nicht zu verfügen hatte. So war die
Erregung auch bei den Eltern sehr groß. Meiner teuren Mutter ging sie an Leben.
In diesen Tagen erhielt ich von ihr ein Briefchen, worin sie noch äußerliche
Dinge betreffende Mitteilungen (noch ein (217) Beweis mütterlicher Liebe) mit
den Worten schließt: "Viele Grüße! Der Herr stärke Euch alle und uns und
das arme, teure Königspaar! Wie herrlich, daß diese auch den einzigen wahren
Trost fest haben! Eure liebende Mutter, A. Karbe."
Das waren die letzten Worte, die ich von dieser treuen
Mutterhand empfangen sollte. Etwa eine Woche nach dem 18. März erkrankte
sie an ihrem alten Übel, Entzündung der Lunge. Die ersten Tage brachten nicht
große Sorgen; die Entzündung war nicht heftig, und die angewandten Mittel
schienen das Übel zu heben. Aber durch die Gemütsbewegungen, die die böse Zeit
mit sich geführt, ward der Zustand nervös, die Kräfte schwanden, und wir mußten
uns auf schmerzlichen Ausgang der Krankheit gefaßt machen. Am 29. März kam
ich mit meiner selbst leidenden (218) Frau nach Gramzow; wir fanden die teure
Kranke schwächer und leidender als wir erwartet. Deshalb blieb ich, als meine
Frau am Abend heimkehrte, in Gramzow und weilte dort den ganzen folgenden Tag
und die Nacht zum 31. März. Da schon seit Beginn der Krankheit bei ihr
gewacht worden war, so wachte ich diese letzte Nacht am Bett der teuren
Kranken. Sie sprach mit mir - viel durfte sie nicht sprechen - von ihrem Ende,
gefaßt und im Glauben an den Heiland; ich betete mit ihr und las ihr aus der
heiligen Schrift und dem Gesangbuch vor. Am Morgen und Vormittag des
31. März schien der Zustand etwas besser, und nicht ohne Hoffnung kehrte
ich nach Hause zurück. Aber schon am Abend desselben Tages, den 31. März
1848, gleich nach 10 Uhr schlief sie ohne schweren Kampf sanft und selig ein
und kehrte heim ins himmlische Vaterhaus im (219) Alter von 65 Jahren, 3
Monaten und 28 Tagen. Mein Vater und wir alle 6 Kinder und 6 Schwiegerkinder
und von den 21 Enkeln alle, die schon so weit herangewachsen waren, trauerten
herzlich, denn wir hatten viel verloren; Vater eine sehr liebevolle Gattin und
wir eine sehr, sehr treue Mutter. Doch der Schmerz über das allgemeine große
Unglück des Vaterlandes diente dazu, uns über den eigenen Schmerz zu erheben,
und wir gedachten des Wortes Jesaias 57,1 : "Die Gerechten werden
weggerafft von dem Unglück, und die richtig vor sich gewandelt habe, kommen zum
Frieden und ruhen in ihren Kammern."
Am 4. April ward die teure Leiche in einem schnell,
ganz dicht vor den Gräbern ihrer 3 Kindlein und eines totgeborenen Enkels
errichteten Gewölbe unter großer Teilnahme vieler Freunde und Ortseinwohner
beigesetzt. (220) Ich sprach im Saal des Hauses am Sarge einige Worte des
Trostes und der Mahnung für die Familie und die Leichenpredigt hielt der
Ortspfarrer, Prediger Théremin.- Möge von ihren Kindern und Enkeln niemand je
vergessen, welch eine treue Mutter und Großmutter wir gehabt.
Wohl ward es meinem armen alten Vater sehr schwer, die treue
ihm 44 Jahre verbundene Lebensgefährtin von sich scheiden zu sehen. Ihr
aber ward es dadurch erspart, die letzten schweren Lebensjahre des treuen
Mannes mit zu erleben. Ehe diese Leidenszeit für ihn und die Seinen begann,
berührte ihn noch ein Ereignis, Gott sei Dank! nicht schmerzlich, das zu
erwähnen, ich mich für verpflichtet halte. Mein in Gottes Wort gebundenes
Gewissen trieb mich der Union wegen, die ich noch verwerfen muß, die
evangelische (221) Landeskirche zu verlassen und mich zu der evangelisch-lutherischen
Kirche zu bekennen, zu der Kirchengemeinschaft in meinem Vaterlande, die die
Lehre der lutherischen Kirche ganz unverändert und ganz unzweifelhaft festhält.
Ich legte mein Pfarramt in Drense im Mai 1849 freiwillig nieder und ward Glied und
Pastor der evangelisch-lutherischen Kirche. Mein lieber Vater schrieb mir
einige Wochen darauf zu meinem Geburtstage noch nach Drense einen Brief, der
mich mit großer Freude gegen Gott erfüllte. Nachdem er gesagt, daß er
leiblicher Schwachheit wegen nicht selbst zum Geburtstage kommen könne und
darum schriftlich mir seine Segenswünsche sende, sagt er dann weiter, daß er
nicht umhin könne, meinen Austritt aus der Landeskirche und meinen Eintritt in
die lutherische Kirche zu erwähnen und mir sagen müsse, (223) daß er diesen,
meinen Entschluß nicht allein tadle, sondern sich freue, mich nach meinem
Gewissen handeln zu sehen, und hoffe, daß nicht allein ich selbst, sondern auch
die Kirche Segen davon haben werde, obwohl er, da seine Geisteskräfte schon
durchs Alter geschwächt, die Unterschiede der Lehre nicht so begreifen könne,
um meinen Schritt mitzutun. -
Die Abnahme der Geistes- und Körperkräfte ward bei dem
treuen Vater immer merkbarer; aber sein Gemüt ward immer liebevoller. Er zog
sich sehr viel in sein Zimmer zurück; zuerst las er noch viel, doch eigentlich
nur die heilige Schrift und die Kreuzzeitung. Von jener hatte ich ihm die
Halle'sche Quart-Ausgabe mit großem Druck anschaffen müssen, und er hatte sich
dieselbe nach den einzelnen Büchern in eine Menge einzelner Hefte broschürt,
und mit steifen, leichten Pappdeckeln binden lassen. So hat er das heilige
Gotteswort (223) in den letzten Jahren mehr als 2-mal von Anfang an bis zu Ende
durchgelesen. Später, als ihm das Selbstlesen zu schwer fiel, mußte, wer ihn
von seinen Kindern in seinem Zimmer besuchte, ihm daraus vorlesen. -
Im Jahre 1850 hat er sich noch einmal in Öl malen lassen;
es ist dies das, allen den Seinen wohlbekannte Ölgemälde, das ihn im
blausammeten Schlafrock und schwarzen Käppchen neben dem Tische, auf dem die
Bibel und die Kreuzzeitung liegen, dargestellt. Auf der Rückseite ist ein
Blatt, von ihm beschrieben, angeklebt. Darauf stehen folgende Worte:
"Kindlein liebet Euch untereinander! Ich habe den Wünschen meiner Kinder
nachgegeben und habe mich malen lassen. Indem ich Dir, mein lieber Sohn August,
dies Bild übersende, bestimme ich hierdurch, daß Du dasselbe behältst, solange
ich lebe. Dann soll es aber, als Eigentum (224) aller meiner Kinder auch allen
Freude machen, und zugleich ein Band werden, wodurch Ihr Euch treiben lassen
sollt jährlich mindestens einmal Euch alle im Andenken an Eure Eltern liebend
zu versammeln. Es soll nach meinem Tode dies, mein Bild, zuerst an Ottilie und
dann jedesmal am 29. September an das nächstfolgende meiner Kinder kommen, und
wünsche ich, daß sich da, wo das Bild hinkommt, jedesmal am 29. September
meine 6 Kinder zu einem Familienfest versammeln. Gott segne Euch!
Euer treuer Vater C.A.F. Karbe. Gramzow, den
22. Dezember 1850
Immer mehr lebte er nur noch für den engsten
Familienkreis. Gar schön war es aber, wenn er gebrechlich gehend aber so recht
mild und freundlich in den Kreis trat und sich auch besonders der kleinen
Kinder so freute und ihnen Liebe, ja Zärtlichkeit erwies. Er ging täglich in den
Garten und (225) fuhr täglich spazieren und nahm so gern von den Kinder eins
und das andere mit in den Wagen. Als ich mit meiner ganzen Familie im Sommer
1851 einige Wochen in Gramzow mich aufhielt, freute er sich meiner beiden
jüngsten Kinder sooft sichtlich. Jeden Abend mußte das jüngste, Henriette,
damals etwa 5 Monate alt ihm ins Zimmer gebracht werden, daß er es vor dem
Zubettgehen nochmals küßte, und wenn es etwas später wurde, kam er selbst ins
Kinderzimmer und brachte der Enkelin den Gutennachtkuß.
5 Enkel wurden ihm nach dem Tode der Großmutter bis
zu seinem Lebensende noch geboren. Im Jahre 1849 mein Traugott und Magdalena in Gramzow, 1850 Adolf in Lichterfelde, 1851 Hermann in Gramzow
und meine Henriette, die nun, wie Lenchen und Hermann, auch schon mit den
Großeltern im Himmel vereinigt. (226) Da der Zustand der Schwäche immer mehr
zunahm, ward zu seiner Hülfe und Pflege besondere Anstalt getroffen. Der alte
treue Kutscher Georg Kühn, der seit 1825 im Dienst
als Kutscher die teuren Eltern tausende von Meilen gefahren hatte, und nach dem
Tode seines alten Herrn nicht lieber tat, als von ihm und den mit ihm gemachten
Reisen zu erzählen und mir einst sehr naiv sagte:
"Herr Prediger, Se mögen't glöwen oder nich, Ehr
Vader was warraftich een gooden Mann!"
Dieser teuere Kühn ward aus dem Kutscherdienst genommen
und war Tag und Nacht bei dem Vater, ihm jeden Wunsch möglichst gleich zu
erfüllen. Darin mußte ihm Auguste Matthes, die Tochter der alten,
guten Frau Matthes, ein Mädchen zwischen 30 und 40 Jahren, besonders am Tage
Hülfe leisten, Sie haben ihren oft sehr schweren Dienst treulich erfüllt und
sich den ganzen Dank der Familie erworben. (227)
Die letzten Monate des Jahres 1851 konnte der Vater das
Bett nicht mehr verlassen und das Leiden, durch Durchliegen noch vermehrt, war
nicht gering. Sooft ich ihn von Brüssow aus besuchte, nahm ich in Gedanken
jedesmal Abschied fürs Leben. In der Nacht vom 20. und 21. Januar 1852
ward der Zustand so, daß mein Bruder Hermann sah, es ging zu Ende mit ihm. Mein
Bruder sprach ihm treulich zu und deutete ihm an, das Ende sei nahe. Er fragte
ihn noch, ob er im Glauben an unsern Herrn und Heiland Jesum Christum, der uns
Sünder mit seinem teuren Blut erlöst, sterben wolle. Darauf sprach der liebe
Vater ein deutliches "Ja!" und verschied bald darauf im Alter von
71 Jahren, 3 Monaten, 23 Tagen.
13 Enkel und 13 Enkelinnen hinterließ er. Wir,
seine Kinder, dankten Gott, der uns einen so guten Vater gegeben und ihn nun in
die seligen (228) Friedensstätten aufgenommen.
Am 26. Januar fand das feierliche Begräbnis statt.
Es hatten sich dazu sehr viel Verwandte, Freunde, Ortseingesessene, die meisten
Schulzen und Gerichtsleute des Amtsbezirks eingefunden, die ihren alten
Oberamtmann den letzten Zoll der Liebe entrichten wollten. Als geistlicher Sohn
der Familie sprach ich am Sarge einige Worte des Dankes gegen den Herrn für
das, was er dem Seligen an Wohltaten für Leib und Seele getan und das, was er
uns durch ihn gegeben. Auf dem Kirchhofe hielt erst der Superintendent Zarnack[11] eine Grabrede über Röm. 8, 1-3.
Seine Leiche ward in dem Gewölbe neben der teuren Gattin
beigesetzt. Die Grabstätte ist eingeschlossen nach Norden von der hohen Kirchhofsmauer
(229) und nach der andern Seite von einem eisernen, geschmiedeten Gitter.
Hinter diesem erhebt sich in der Höhe von etwa 3-4 Fuß über der Erde das
Grabgewölbe, von außen ganz mit Immergrün bedeckt. Auf dem Ostgiebel des
Gewölbes ist ein schmaler Gang hinter der Gittertür, der zu dem Raum führt, auf
dem sich 5 kleine Grabhügel erheben. In der Kirchhofsmauer sind Steintafeln
angebracht. Auf der mittleren steht: Karbesches Familienbegräbnis. Aus Gnaden
seid ihr selig geworden. Epheser 2,8.
Auf der Tafel links:
Frau Christine Auguste Karbe, geb. Fabricius geb. zu
Satrup in Angeln den 3. Dezember 1782, heimgegangen am 31. März 1848.
Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes Ebr. 4,9.
Oberamtmann Karl August
Ferdinand Karbe, geb. zu Amt Chorin (230)
den 29. September 1780. Er folgte seiner Gattin den 21. Januar 1852 in die
Ewige Seligkeit.
Und nun, Kindlein, bleibet bei Ihm. 1. Joh. 2,28.
Auf der Tafel rechts steht:
Hier ruhen in Gott vier
Knäblein der Karbeschen Familie, zu Gott gekommen in den Jahren 1808,
1810,12,42. Lasset die Kindlein zu mir kommen. Markus 10,14.
In der Mitte des ganzen eingeschlossenen Raumes steht ein
großes Marmorkreuz mit folgenden Inschriften:
Oben: "Ich bin der Herr, Dein Arzt. 2. Mose 15,26.
Unten auf
dem Sockel:
Mathilde Karbe, geb. Hengstenberg, geb. den 24. Januar
1816, heimgegangen am 22. Oktober 1864.
Sie hat getan, was sie konnte. Marc.14,
8
Auf einem
Kreuze von Eisen links von dem Marmorkreuze steht vorn:
Ich habe Dich je und je
geliebet, darum habe ich Dich zu mir gezogen aus lauter Güte. Jer.31,3.
Auf der
hintern Seite:
Magdalena Karbe, geb. den 14. Mai
1849, gest.d. 5. Mai 1864
Ihr Verwesliches ruht auf dem Matthäikirchhofe in Berlin.
Auf dem Kreuze steht rechts:
Christus ist mein Leben,
Sterben mein Gewinn. Phil.1,21.
Albert Karl Hermann Karbe, geb. den 8. Januar
1851, heimgegangen. den 10. April 1860
Auf einem
Kreuze hinter diesem, auch von Gußeisen, ist die Inschrift vorn:
Er wird die Lämmer in seine
Arme sammeln. Jes.4o,11.
Hinten:
Mathilde Karbe, geb. d. 28. Juli
1854, gest. den 23. Juli 1865.
Dann steht auf der Grabstätte noch ein kleines
gußeisernes Kreuz mit den Worten:
Gertrud Karbe, geb. den 18. Januar
1867. gest. den 31. Januar 1867.
Seid fröhlich in Hoffnung. Röm.12,12. (232)
Das ist die Ruhestätte der teuren, seligen Eltern. Mit
den Lieben, deren sterblicher Teil dort vor ihnen und nach ihnen der Erde
wiedergegeben worden, ruhen sie in Frieden. Es ist uns wohl eine Stätte der
Wehmut, aber nicht der Trauer ohne Hoffnung. Denn wir sind sehr getrost in der
Zuversicht, es wird dies einst die Stätte ihrer fröhlichen Auferstehung sein
und sie werden dann aus dem Munde des Menschensohnes in seiner Herrlichkeit das
Wort hören: "Kommet her zu mir, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das
Reich, das euch bereitet ist vom Anbeginn der Welt!"
Möge dann der arme Sünder, der diese Erinnerung an seine
teuren Eltern niedergeschrieben hat und alle ihre Kinder und Enkel auch zu
Rechten stehen, und unser lieber Vater und unsere liebe Mutter sagen können:
"Siehe Herr, hier sind wir und alle, die Du uns
gegeben hast!" (233)
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