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Aus dem Leben meiner seligen Eltern

Karl August Ferdinand Karbe und

Auguste Karbe, gebornen Fabricius

(Aufgeschrieben von Adolf Karbe,[1] ev. luth. Pastor zu Angermünde)

Aufgeschrieben von Adolf Karbe, ev. luth. Pastor zu Angermünde im Jahre 1868, abgeschrieben i. J. 1912, erneut abgeschrieben (von der Abschrift  Walter Bredendieks, angefertigt um 1955) und mit Fußnoten und einem Namensregister versehen i. J. 1999 von Dipl.-Ing. Walter Arndt


Längst schon habe ich den Vorsatz gehabt, das Bemerkenswerteste von dem, was ich aus dem Leben meiner teuren seligen Eltern weiß, für die Familie aufzuzeichnen. Frommer und getreuer Voreltern Gedächtnis in Liebe bewahren, hat ja gewiß einen Segen. Meinen teuren Geschwistern August und Therese zu ihrer silbernen Hochzeit eine Freude bereiten zu können, will ich mit Gottes Hilfe den Vorsatz nun ins Werk setzen. Hat doch die selige Mutter schon, als Du, liebe Therese noch ein kleines Mädchen warst, wie ich mich sehr deutlich erinnere, den Wunsch ausgesprochen, dich einst durch einen meiner jüngeren Brüder zur Schwiegertochter zu bekommen, und hat es die seligen Eltern mit besonders großer Freude erfüllt, als dieser Wunsch, auch in August erwacht, von dir nicht zurückgewiesen wurde. Dabei muß ich freilich vieles mitteilen, was meinen Brüdern, Schwester als miterlebt sehr bekannt ist.

Mein seliger Vater war der älteste Sohn des Königl. Oberamtmanns und Generalpächters von Chorin bei Neustadt/Eberswalde:

Philipp Heinrich Karbe und unsere selige Mutter, die Tochter des Pastors Christian Fabricius zu Satrup in Angeln. Jener war geboren zu Amt Chorin, von der 2. Ehegattin des Großvaters, Julie Dorothea Wilhelmine, geborenen Krause am Donnerstag, den 29. September 1780 als erstgeborenes Kind dieser Ehe. In der heiligen Taufe - der Tauftag ist in dem während einer Vakans im Pfarrdorfe Brodowin von der Predigerwitwe[2] geführten Kirchenbuche nicht angegeben - erhielt er den Namen Karl August Ferdinand. Paten waren General Smidahl von Kowalsky aus Neustadt/Ebw., Justizamtmann Förster daselbst und Frau Oberamtmann Baath aus Grimmnitz. Seine glückliche Kindheit verlebte er zu Chorin im elterlichen Hause, und gewiß waren ihm während derselben die erfreulichsten Ereignisse die Geburten seiner jüngeren Geschwister und zwar

Ernst Leopold Friedrich, geb. am 22. Juni, getauft am 7. Juli 1782;

August Philipp Georg, geb. den 5. Dez., getauft den 26. Dez. 1784.

Albertine Juliane Philippine Auguste, geb. 11. Mai get. 27. Mai 1787

Julie Caroline Friederike Emilie, geb. 24. Juli, get. 15. August 1790.

Seine Eltern befanden sich in äußerlich sehr glücklicher Lage. Mit sehr geringem Vermögen - 30 Friedrichsdors - hatte der Großvater die Pachtung 1772 übernommen. Aber die sehr große Tüchtigkeit und Tätigkeit des Großvaters in seinem Berufe bei großer Einfachheit und Anspruchslosigkeit im Leben war von Gott reichlich gesegnet worden, und schon 1782 hatte er ein eigenes Rittergut, Jäckelsbruch bei Wriezen im Oderbruch erwerben können, wozu ihm das Wohlwollen, des damaligen Ministers von Voss königliche Genehmigung auswirkte, ohne welche damals kein Bürgerlicher ein Rittergut besitzen durfte. Dabei hatte er schon mehreren seiner Brüder die Übernahme von Domänenpachtungen: Sachsendorf, Torgelow, Biegen, durch Fürsprache und Darlehen ermöglichte. können. Ja, er konnte einige Jahre später noch die Generalpacht des großen Domänenamtes Gramzow mit den dazu gehörigen Vorwerken: Zehnebeck, Weselitz, Wendemark, Potzlow, Drense, Grünow und Seelübbe und den dazu gehörigen zum Teil großen Bauerndörfern: Meichow, Briest, Fredersdorf, Melzow, Warnitz, Grenz, und halb Lützlow unternehmen und dann sehr bald darauf nach Verkauf von Jäckelsbruch Sieversdorf bei Frankfurt/Oder 1789 erwerben. Obwohl nun dieses Rittergut nicht großen Gewinn brin­gen mochte, da es einem jüngeren Bruder zur Bewirtschaftung übergeben war, der mit seiner Familie darauf lebte, auch die staatlichen Domänen­vorwerke von Gramzow, wie dieses selbst, mit Genehmigung der verpach­tenden Behörde, des Königl. General- Kriegs- und Domänen- Direktoriums in Berlin (die heutigen Regierungsräte hatten damals häufig den Titel "Kriegsräte") mit nur geringer Pachterhöhung verafter-pachtet waren, so brachte doch dies alles neben den sehr tüchtig selbst verwalteten Wirtschaften in Chorin, Buchholz Pehlitz sehr gute Einnahmen und bedeutenden Wohlstand zu Wege, so daß die Kindheit unseres seligen Vaters durch Nahrungssorgen der Eltern nie getrübt wurde. Der Großvater war ein Mann, in dem noch etwas von der Frömmigkeit früherer Geschlechter sich zeigte, wie ich mich noch erinnere, daß mein seliger Vater von dem Bibellesen meines Vaters erzählte und der Onkel Leopold in dem von ihm aufgesetzten Nekrolog erwähnt, der Großvater habe Sonntagsnachmittags gern geistliche Lieder gesungen, besonders "Wer nur den lieben Gott läßt walten".

Den beiden ältesten Söhnen ward ein Hauslehrer gehalten in der Person des Kandidaten Karl Bülow, den ich, als ich in Berlin studierte noch als Prediger in Friedrichsfelde bei Berlin kennengelernt habe, als ich 1827 meine erste Predigt hielt.

In Beziehung auf die Ausbildung ward wohl nichts gespart, obwohl sonst die Lebensweise sehr einfach war, wie mein Vater erzählt, daß er 20 Jahre alt geworden, ehe er zum ersten Frühstück etwas anderes als Biersuppe erhalten habe; und in dem schon erwähnten Nekrolog des seligen Großvaters von Onkel Leopold ist ausgesprochen: "der höchst einfach ausgestattete Amtssitz in Chorin gewährte sehr wenig Comfort"; und daß der Großvater, als er sich schon in sehr brillanten Umständen befand, "von seinen alten Möbeln, in deren Umgebung es ihm so gut gegangen war, sich nicht trennen wollte." Beide Großeltern hatten wohl eben nicht ein hohes Maß literarischer Bildung, wie ja denn der Großvater keine andere Schule besucht hatte als die Dorfschule und von der Großmutter Briefe in meinen Händen sind, in denen "fon mich" und "von mir" sich geschrieben findet. Diese liebe Großmutter steht mir, besonders auch nach den Erzählungen der seligen Mutter vor Augen als eine nicht große, eher kleine, aber im Alter dicke Frau, die sehr herzlich lachen konnte, aber auch heftig schelten, die auch Luxus und Staatmachen etwas liebte, aber um des einfachen Ehegatten willen ihre Neigung dazu beschränkte, in der Wirtschaft tätig und umsichtig, obwohl bei aller Lebendigkeit auch eine Freundin der Bequemlichkeit war. Eine Abbildung von ihr habe ich nie gesehen, wohl aber von ihrer Mutter, der Domänenrätin Krause, welche meiner Schwester Luise ähnlich sähe.

Von Großvater besitze ich einen Schattenriß, ein würdiges, ernstes Gesicht, erinnernd an unsern seligen Vater, doch mit stattlichem Zopfe. Er ward allgemein geehrt von der Familie und von den Vorge­setzten. Besonders war der Minister von Voß sein Gönner, und mein seliger Vater erzählte gern von einem Besuch, den dieser hohe Herr in Chorin gemacht auf einer Reise zur Inspektion der Domänen. Denn damals hatten Minister und Präsidenten noch Zeit zu solchen Reisen, mit eignen Augen zu sehen, Land und Leute aus eigner Anschauung kennen zu lernen, und nicht bloß hinter dem grünen Tische nach dicken Aktenstößen Entscheidungen zu geben. Sie verbrauchten ja nicht so unendlich viel Zeit und schöne Kräfte für die "Hohen Häuser" wie jetzt.

Der Minister und der Großvater fuhren auf der Feldmark umher, als plötzlich ein Fuchs aufspringt und eilig davonläuft. Der Großvater den Namen seines hohen Gastes vergessend, ruft: "Een Voß, een Voß!", was dem Minister erst, weil er den Fuchs nicht sah, unverständlich und verwunderlich war, nach erfolgter Aufklärung aber zu herzlichem Lachen Veranlassung gab.

So ein Generalpächter einer Domäne in Preußen war damals in seiner politischen Stellung und, wo er der Mann danach, auch in seiner socialen Stellung ein bedeutender Mann.

Er hatte nicht nur die gesamten Vorwerksländereien in Pacht, sondern auch die Dienste, Geld- und Naturalabgaben von allen Bauern im Amtsbezirk. Und wenn ein Bauer seine Schuldigkeit nicht tat, konnte der Oberamtmann ihn entlassen und einen anderen einsetzen, wie ich noch weiß, daß auf einem vacant gewordenen Bauernhof in Drense mein Großvater den Vater des dort zu meiner Zeit lebenden Bauern Radatz, einen Bauernsohn aus Potzlow, eingesetzt hatte. Der Oberamtmann hatte die Polizei in allen Amtsdörfern und nahm früher auch teil an den Arbeiten des Justizamtes.

War er ein tüchtiger Mann, wie unser Großvater, so sorgte er auch nach Kräften für das Wohl seiner Bauern und kannte sie von Person nach ihrem Werte; es war noch viel Patriarchalisches in dem Verhältnis. Die angeseheneren Bauern aus den Amtsdörfern luden zu ihren großen Hochzeiten den Oberamtmann, den Justizamtmann und den  Ober­förster und ihre Familien ein.

Ich erinnere mich noch selbst aus meiner früheren Jugend, wie ich aus dem Verkehr unsers seligen Vaters mit den Staatseingesessenen einen Teil Bauern, namentlich die Schulzen und Gerichtleute nach Namen und Person kannte. So wuchs denn unser seliger Vater in sehr erwünschten Verhältnissen auf. Die Erziehung mochte wohl, da sein Vater sehr beschäftigt war, nicht gerade streng sein und großer Freiheit Raum lassen, wie denn schon früh ein eigen Reitpferd, ein kleiner "Falber" für die Choriner Knaben angeschafft wurde und sie sogar von einem aus Berlin geholten alten Stallmeister, namens Hennemann, im Reiten unterrichtet wurden und dann früh den Vater auf den Ritten nach den Vorwerken begleiteten, der seine große Freude daran hatte. Dabei mochte wohl manchmal ein brüderlicher Wettstreit stattfinden, wer gerade dasmal der begünstigte Begleiter des Vaters sein solle.

Eine etwas komische Erziehungsscene aus Chorin teilte uns unser seliger Vater öfters mit. Es sollte eine Besuchstour zum Onkel nach Neuendorf gemacht werden und unser Vater das Mal den Vorzug haben, Leopold aber zu Hause bleiben. Weil man aber desselben zu lebhafte Protestation und Geschrei fürchtete, ward Karl, unser Vater, einige Zeit vor der Abfahrt, als hätte er etwas versündigt und Strafe verdient, in feierlicher Procession und Leopolds Gegenwart ins Prison in das Sandloch unter der Treppe auf dem Flur gebracht, hernach aber heimlich herausgelassen, mußte er sich in der Wagenremise unter einem Wagensitz verstecken, bis er unter­wegs hervortauchen durfte.

Die Neigung zu den landwirtschaftlichen Geschäften und ländlichen Vergnügungen mochte wohl die Regelmäßigkeit des Unterrichts stören. Deshalb wurde unser Vater und Onkel Leopold mit dem Kandidaten Bülow nach Berlin geschickt, wo sie im sogenannten "Stelzenkrug" am Alexanderplatz wohnten und von Bülow, der nebenbei auch das Predigtamt in Straulau bei Berlin erhielt, beaufsichtigt, von ihm und andern Privatlehrern unterrichtet und nach einiger Zeit aufs Joachimsthal'sche Gymnasium gebracht wurden, wo Vater nach Secunda kam; ob auch Onkel Leopold, weiß ich nicht. Bei der Prüfung durch den berühmten Direktor Meier-Otto ereignete es sich, daß der­selbe erst immer den jüngeren Bruder fragte, unseren Vater aber gar nicht, bis sichs herausstellte, daß er unsern Vater, der schon sehr groß war, für den Hauslehrer gehalten habe. Auf dem Gymnasium scheint sich unser Vater die Zufriedenheit seiner Lehrer erworben zu haben; davon zeugt ein Praemium, "Lawsons Vorlesungen über die Bered­samkeit" aus dem Englischen, mit der vorn eingeklebten Anerkenntnis:

"Auctoritate senatus scholasticii regii gymnasii Joachimiae Praemium Caroli Karbe modestiae et diligentiae in classe Rhetor. hec. spectate publice tributum a Rector et Professoribus Anno 1800.”

Meierotto.

In dieser Zeit des Berliner Schülerlebens ereignete sich ein Vorfall, den mein Vater mir erzählt und dessen sich der berühmte Arzt, Ge­heimrat Heim, als ich ihm in meiner Gymnasialzeit einst in einer kleinen Gesellschaft vorgestellt wurde, mit großer Lebendigkeit erinnerte. Dem Vater und seinem Bruder wurden zur Sicherung die natür­lichen Pocken geimpft. Es kamen aber dem Arzte, der die Impfung ver­richtete, Zweifel, ob die sich zeigenden Pocken auch rechte oder Windpocken seien, und es wurden die berühmtesten Ärzte, auch die Kgl. Leibärzte Selle und Heim und andere zugezogen und ein medicinischer Streit darüber geführt, der auch in die wissenschaftlichen Annalen der Medicin kam. Heim, der es für bloße Windpocken hielt und also den Fortgang der eingeimpften Pocken leugnete, hatte Recht; denn der Vater und sein Bruder bekamen nachher doch noch die natürlichen Pocken, und der alte Heim wußte sich noch, als ich ihm, wie gesagt, über 20 Jahre später vorgestellt wurde, mit seinem Siege nicht wenig. Unter den Mitschülern erwarb sich der liebe Vater man­che Freunde, deren einige später einen Namen bekommen hatten, die sich aber, da er sehr jung selbständig wurde, auf der Universität wohl schon sein freundliches Herz und seine Wohltätigkeit zunutze machten.

Im Jahre 1799 verlor er den Vater nach langer Kränklichkeit und vielem Leiden, welche zu einer Reise nach Karlsbad in Begleitung des Onkels Leopold führte, der wohl nach seiner Natur auf einer Reise, die ja mit eigenem Gespann gemacht wurde, anstelliger sein mochte (oder blieb der Älteste zurück, weil er bald zur Universität gehen sollte?). Dort am Kurort wurde das Leiden immer schlimmer und, um nicht in der Fremde zu sterben, wurde die Rückreise schon nach 14 Tagen angetreten. Aber der Großvater kam nur bis Berlin, wo er in Herrn Hagens Hause im "Goldenen Hirsch" den 22. Juli 1799, abends 6:30 Uhr starb. Er stand noch in kräftigem Mannesalter von 56 Jahren. Die Ursache seines Todes war eine knorplige Verengung des Magenmundes, wozu der Grund schon in der Zeit der großen Traurigkeit über den Tod der ersten Frau sollte gelegt sein. Die Leiche ward in Sieversdorf im Gewölbe beigesetzt, ist aber später auf dem Kirchhofe an einer sehr schönen Stelle unter hohen Linden neben dem Leichnam der Großmutter eingesenkt worden. Dem kindlichen Herzen unsers Vaters war der schnelle, unverhoffte Tod seines Vaters ein großer Schmerz. Den Trost rechten aus Gottes Wort kannte er noch nicht, war doch seine Konfirmation und der vorhergehende Unterricht durch den Oberkonsistorialrat Dietrich, einem der Herausgeber des verrufenen sogenannten Mylius'schen Gesangbuches von 1780, ohne allen Eindruck auf Herz und Gemüt geblieben, wie unser teurer Vater später selbst erzählte und mir mitteilte, daß weder Bibel noch Katechismus bei dem ganzen Unterricht gebraucht worden war. Der Großvater hatte wohl eine gute Wahl zu treffen geglaubt, aber fehlgegriffen. Doch war im Großvater selbst mehr Gottesfurcht geblieben, als in jener Zeit bei den Höherstehenden sonst zu finden war, und hatte seine große väterliche Liebe und die Ehrfurcht, die sein ehrenwertes Leben einflößen mußte, sich tief in seiner Kinderseelen einge­prägt, wie die Erzählungen meines Vaters von dem seinen in meinem jungen Herz einen großen Respekt vor meinem seligen Großvater, ich möchte sagen, eine Art Stolz auf ihn gepflanzt hatte.

In der äußeren Lage der Familie brachte der Todesfall keine Änderung hervor, sie war für jene Zeit wohl glänzend zu nennen. Jedes Kind erbte 30000 Rth., und der Großmutter Wittum bestand in dem Plus der Pachtverträge der verafterpachteten Vorwerke von Gramzow und der Choriner Wirtschaft. Die ökonomische Leitung wurde dem sehr tüchtigen, zum Amtsassistenten ernannten Neffen und Vetter August Karbe, nachherigem Amtsrat zu Blankenburg übergeben und blieb gewinnreich. So bezog der Vater denn die damals preußische Universität Erlangen im Jahre 1800 und ein Jahr darauf Göttingen mit dem reichen Wechsel von 800 Th. Er hielt sich ein Reitpferd und machte viele Reisen, ohne dabei die kameralistischen, historischen und naturwissenschaftlichen Kollegia, die er hörte, zu versäumen. Eine Zeitlang hatte er ein Pferd, das so schön bocken konnte, daß nur er selbst und sein Freund Lentz von allen Studenten es reiten konnten. Er selbst hatte schon in Berlin als Gymnasiast die Reit­kunst gründlich erlernt und ritt noch in späteren Jahren besser als alle seine Söhne. Von dieser Zeit erzählte er gern, und ich hörte die Namen seiner Schul- und Universitätsfreunde nennen, wie Karl v. Raumer, nachher sehr bekannt, ja berühmt als Professor in Erlangen; v. Bärensprung, später Oberbürgermeister in Berlin; Menz, später herzoglich braunschweigischer Minister; v. Gerlach, Kaiser, später Geh. Ober-Finanzrat in Berlin; v. Ernsthausen und andere. Von man­chen derselben habe ich noch Briefe aus des seligen Vaters Nachlaß aus denen hervorgeht, daß er bei allem studentischen, fröhlichen Leben durch Ernst der Gesinnung und sittliche Haltung sich allgemein Achtung zu erwerben gewußt. Auch aus den zahlreichen und teilweise sehr ausführlichen Briefen des Amtsassistenten Karbe, die voll landwirtschaftlicher Theorie und Praxis sind, erhellt nicht nur, wie der liebe Vater in seinem Fache sich theoretisch auszubilden suchte, sondern auch, daß er in der Familie als solider junger Mann ein gutes Ansehen genoß.

Nach Göttingen war ihm Onkel Leopold nachgekommen, und die beiden Brüder wohnten zusammen. Von diesem, ihrem Zusammenleben, erzählte der Vater gern die komisch Anekdote, wie er und Onkel Leopold eines Tages bei ihrem Mittagsessen, das sie auf dem Zimmer aus dem Speisehus verzehrten, über eine geschmorte Backpflaume, die bei ungerader Zahl der gewissenhaft abgeteilten Pflaumen übriggeblieben, von einem jedem beansprucht worden, in Kabbeln, dann ins Balgen gekommen, während dessen das Objectum litis von ihrem Pudel aufgefressen worden, wodurch sich dann der Streit sofort in fröhliches Lachen aufgelöst habe. Nach zweijährigem Besuch der Universität sollte nun der Eintritt ins praktische Leben erfolgen. Um sich eine Stelle dazu auszusuchen, machte er - irre ich nicht, mit Onkel Leopold zusammen - noch von Gottingen aus auf einem zierlichen Kabriolett - das später zu Gramzow in ein vierrädriges Karriol verwandelt, uns Kindern allen in lebhafter Erinnerung sein muß, denn der Vater gebrauchte es von den 20er Jahren an bis zu dem großen Brande in Gramzow fast täglich zu seinen Feldtouren- mit seinem Reitpferde bespannt, eine Reise über Hamburg nach Holstein. Dort gefiel ihm in ökonomischer Beziehung am besten die Wirtschaft zu Rixdorf bei Plön, die ein Herr Kersten gepachtet hatte. Doch sagte ihm die Familie nicht zu und darum zog er es vor, mit dem Besitzer des schönen und großen Gutes Rögen bei Eckernförde auf der Halbinsel Swanson, den schleswigschen Kammerrat Reiche, zu verabreden, daß er gegen 400 Thl. Pension bei ihm als Eleve eintreten solle.

Dies ward für das ganze Leben unsers lieben Vaters sehr wichtig. Denn als er nun 1802 dort eintraf, fand er dort im Hause eine entfernte junge Verwandte, ein sehr hübsches, lebhaftes geistvolles Mädchen vor. Und das war unsere liebe, teure Mutter! Die Eröffnung der Bekanntschaft geschah auf eine etwas komische Weise. Dort angekommen und zum Herrn Kammerrat Reiche ins Familienzimmer geführt, sieht er in demselben niemand als ein hübsches, junges, etwa 20 - jähriges Mädchen, das den Tee bereitet. Und das erste Wort, das er an sie richtet, die einst seine Frau werden sollte, ist die Frage, nach ihrer Neigung zum Eintritt in ein Kloster. Und das ging so zu:

Der Vater ist bald mit Reiche in ein Gespräch gekommen über die Verhältnisse der bürgerlichen Gutsbesitzer (lebhaftes) in Schleswig-Holstein. In Preußen mußte ein Bürgerlicher zum Ankauf eines Rittergutes Königliche Genehmigung erlangen. Reiche teilte nun mit, der einzige Unterschied in den Berechtigungen, adliger und bürgerlicher Gutsbesitzer in Schleswig - Holstein sei der, daß die adligen Töchter Aufnahme in die adligen Fräuleinstifte zu Preez, Uetersen, Itzehoe und Schleswig finden könnten. Da fährt es dem Vater durch den Sinn: das ist eine gute Gelegenheit, die Tochter ins Gespräch zu ziehen. Und halb neckend fragt er unsere Mutter, die er für eine Tochter des Hauses hält: "Nun, liebe Demoiselle, Sie beneiden wohl die adligen Fräulein um dies Vorrecht ins Kloster gehen zu dürfen?" Die arme Fabricius, ein zwar sehr heiteres, aber doch noch blödes und schüchternes Mädchen, die nur mit Zagen dem Befehl nachgekommen war, ins Zimmer zu gehen, den Tee zubereiten, ist ganz verdutzt über die Frage und weiß keine Antwort. Der fremde, große Preuße, zwar von stattlicher Figur, aber keines­wegs hübsch, (der Vater war im Alter ein schöner Greis, damals aber noch von den großen Pockenflecken im Gesicht entstellt) kommt ihr erst recht wunderlich vor. - Welcher Tag im Jahre 1802 dieser glück­liche Tag gewesen, an dem Gott unsere lieben teuren Eltern zu ersten Mal zusammengeführt, habe ich nicht ausforschen können, nicht einmal den Monat. Aus den paar Briefen, die an den Vater aus dem Jahre 1802 in meinem Besitz sind, geht hervor, daß er Ostern 1802 Göttingen verlassen hat. Höchst wahrscheinlich ist er doch erst nach Chorin gegangen und also im Frühling 1802 in Rögen eingetreten; verlassen hat er es am 30. März 1803. In diese 10 bis 11 Monate fällte nun die schöne Zeit, von der die liebe Mutter so gern erzählte, in welcher die lieben Eltern sich zuerst näher kennen und schätzen lernten, in der die innige Zuneigung sich entwickelte und dann gegenseitig kund tat, und die ersten Monate des Zusammenlebens im Brautstande. Das Leben im Reiche'schen Hause war angenehm, nicht daß, was man nennt ein Haus gemacht wurde. Aber Reiche war ein kluger und in der Unterhaltung, namentlich für Land- und Saatswirte interessanter Mann, und ihre Mutter eine sehr liebenswürdige, achtungswerte Frau.

Die 7 Kinder: Fritz, Heinrich, Karl, Wilhelm, Ferdinand, Line und Luise wuchsen in großer Freiheit auf, grundsatzgemäß, weil die Mut­ter von einem überstrengen Vater erzogen worden war, der immer, selbst bei Tische, die Peitsche in der Hand gehabt und darunter geschlagen hatte. Vom Putz und Staatmachen war aber nie die Rede. Die Knaben gingen sogar fortwährend, selbst über Feld und Land ohne Kopfbedeckung. Es kam viel Besuch, geschäftlicher und verwandtschaftlicher, aber sonst wenig oder kein Verkehr, der zu Gesellschaft­geben, Bällen oder dergleichen geführt hätte. Auch waren neben unserm Vater noch mehrere landwirtschaftliche Eleven im Haus, wie ein reicher Kaufmannssohn, Herr Jacob Lorentzen aus Kiel, ein Herr Schmidt, ein Herr Hink und andere. Das Aussprechen der Neigung muß im Monat August geschehen sein, denn aus einem Briefe vom Vetter dem Amtassistenten zu Chorin, vom 18. September 1802 ist zu ersehen, daß unser lieber Vater in einem Briefe vom 1. September seine Mutter um ihre Einwilligung und ihren Segen zu seiner Verbindung mit Auguste Fabricius gebeten.

Indem ich nun bis hierher gelangt bin, will ich jetzt erst unserer lieben Mutter Kindheit und Jugendzeit bis zum Brautstande darzustellen suchen, soweit ich davon weiß. Unsere teure, selige Mutter war die jüngste Tochter des seligen Pastors Christian Fabricius in Satrup in Angeln und dessen dritter Ehefrau Marie, Lucie, geb. Esmarch. Wie unsers Vaters Eltern ganz aus landwirtschaftlichen Familien herstammen, so die der Mutter ganz aus echten Pastoren-Familien. Der Vater unsers Groß­vaters war von 1725 bis 1753, dessen Vater von 1686 bis 1725, und dessen Vater, Johann Christian Fabricius aus Tondern, 1649 bis 1686 Pastoren in Loyt bei Apenrade. Auch bei den Esmarchs läßt sich die Familie bis auf einen Pastor im 16. Jahrhundert verfolgen, der seinen Namen Claussen mit dem seines Geburtsortes Esmarch in Angeln vertauschte. Unser Großvater Fabricius ging einst als Kandidat bei einem Besuch bei dem Pastor Esmarch in Boel, einen strenggläubigen Mann, der der Neologie (neue Lehre, Rationalismus) sehr entgegen war, mit demselben aus der Wohnstube durch die Schlafstube in die Studierstube und hört in der Schlafstube in der Wiege ein Kindlein herzhaft schreien. "Nun sehen Sie sich nur das kleine Mädchen recht an, es kann noch einmal ihre dritte Frau werden!" sagte Pastor Esmarch zum Kandidaten Fabricius, als der an die Wiege getreten war. Er sagte das völlig im Scherz das "dritte Frau", und doch, die kleine Schreierin, Marie Lucie, wurde in der Tat die dritte Frau unsers Großvaters. Ich lasse hier den Extrakt aus dem Totenregister zu Satrup folgen:

"Gestorben den 8. Juni 1789, begraben, den 12. Juni, Herr Christian Fabricius, treuer Lehrer dieser Gemeinde, des weiland Herrn Lorenz Fabricius, ersten Prediger zu Loyt im Amte Apenrade, und weiland Mariane Rhost eheleiblicher Sohn, alt 56 Jahr, 3 Monate und 8 Tage.“

Er war verehelicht: Zum ersten Mal mit weiland Katharina Fabricius, aus welcher Ehe er einen Sohn hinterläßt, Lorenz Wilhadus Fabricius; zum zweiten Mal mit weiland Marie, geb. Brodersen, Tochter des Pastors Brodersen in Havetoft, gest. den 18. August 1773 25 Jahr 10 Monate alt; zum dritten Mal mit Frau Marie Lucie, geb. Esmarch aus Boel, aus welcher Ehe folgende Kinder am Leben sind:

1. Heinrich Erich, geb. 29. April, get. 2. Mai 1776

2. Friedrich Christian, geb. 13. Juni, get. 18. Juni 1778

3. Maria Katharina, geb. 2. Juli, get. 6. Juli 1780; Gevattern:   
Frau Marie Esmarch aus Boel, Mademoiselle Benedicta Kamphörener aus Cliscbüll, Mr. Jürgen Leck aus Kiel

4. Christiane Auguste, geb. 3. Dec., get. den 9. Dec. 1782
Gevattern: Frau Katharina Lecken in Satrup, Mdm. Augusta Magdalena Esmarch in Boel, Herr Christian Hieronymus Esmarch aus Kopen­hagen

5. Peter, geb. 2. Juli, get. 6. Juli 1786

6. Christian, geb. 12. Juni 1789, get. eodem, dem Begräbnistage seines Vaters von dem Herrn Pastor Brodersen in Havetoft.

Seine Gelehrsamkeit, Redlichkeit und Rechtschaffenheit ist allge­mein bekannt. Die Treue, welche er als Lehrer bewies, machte ihn seiner Gemeinde sehr schätzbar. Allen, die ihn kannten, war sein Abschied, der plötzlich und unvermutet erfolgte, sehr schmerzhaft. Gottes besondere Gnade und Fürsorge walte über die hinterlassene Frau Witwe und lieben Kinder. Sein Andenken sei gesegnet."

Ich bemerke, wie der Ton dieser Kirchenbuch-Notizen nicht mehr wie aus der Zeit des streng orthodoxen Pastors Esmarch zu Boel lautet, dennoch aber einen unendlichen Vorzug hat vor den streng schematisierten Kirchenbuchs-Eintragungen unserer Zeit, wobei kein Raum sich findet zu etwas weitergehenden geschichtlichen Notizen, noch weniger zum Aussprechen der gemütlichen Teilnahme und frommer Wünsche.

Die in dem Satruper Kirchenbuch über die Witwe und Kinder des treuen Lehrers ausgesprochenen Wünsche sind erfüllt worden. Es war große Not und Armut bei der hinterlassenen Witwe und den Kindern.

Erst half noch das Gnadenjahr, und die Großmutter war nach allem, was ich weiß, ein Muster von Hauswirtin in einer kleinen Häuslich­keit. Ich habe noch ein altes Notizbuch von ihrer Hand, worin genau eingetragen ist, wieviel gebuttert, wieviel Eier gelegt, wieviel Getreide nach der Mühle geschickt, wann die Kühe gekalbt, wieviel Milch sie gegeben und dergl. Dann alle Geldausgaben aufs genauste, und alles in hübscher klarer Handschrift, wie von ihren Enkeln und Enkelinnen die wenigsten sie haben. Sie hatte aber kein Vermögen und 6 unversorgte Kinder. Als sie nach 43-jährigem Wittum zu Reinfeld in Holstein 1832, den 24. Sept. starb, waren ihre Kinder längst alle glücklich versorgt und verheiratet und schon eine Schar von 29 Enkeln und 4 Urenkeln vorhanden. Von den Söhnen haben 3 studiert. Heinrich starb als Justizrat und Amtsverwalter im holsteinischen Amte Steinburg zu Itzhoe; Christian, "Onkel Pastor" in der Familie genannt, starb 1849 ohne Kinder als Pastor zu Ahrensböck, ein ganz besonders liebenswürdiger Mann; der jüngere Christian als Etatsrat und Stadtpräsident, sowie als Obergerichtssekretär zu Glückstadt 1840. Peter kam als Jüngling nach Gramzow, lernte dort die Ökonomie, wurde aber auf Betrieb der Tante Julie Karbe zu Chorin "Hermann" genannt, weil ja doch ihr Schwager nicht so heißen könnte wie ihr alter Kater "Peter" in der Küche. Sie bekam aber dafür einen "Peter", Peter Meyer, zum Mann. Dieser Onkel Hermann wurde erst Administrator, dann Pächter und dann wieder Administrator unsers väterlichen Gutes Speck in Hinterpommern. Er starb als Rentier in Gramzow. Die älteste Tochter wurde verheiratet an den damaligen Subrektor Jacob Decker zu Husum, meinen teuren Schwiegervater, der lange Jahre als Leiter des einzigen Schullehrer-Seminars in Schles­wig-Holstein zu Tondern einen weithingehenden, segensreichen Wir­kungskreis hatte und 1834, den 24. Juli als Pastor in dem lieblichen Reinfeld bei Oldeslohe gestorben ist, ein gläubiger Mann in einer Zeit, das seltener unter den Gelehrten und Pastoren war wie heute. Er erhielt als Anerkennung den Titel "Professor" und den Ritteror­den des Danebrog.

Unsere Großmutter Fabricius mußte nach dem Gnadenjahr großenteils ihre Kinder aus dem Hause geben. Sie wohnte, bis sie ihre eigene Häuslichkeit ganz aufgab und zu den Kindern nach Husum, Tondern und Reinfeld zog, in Rüde und Südensee in Angeln, in sehr lieblicher Gegend, wovon unsere Liebe Mutter noch oft mit Freuden sprach. Doch mußten die zwei ältesten Söhne auf Schulen, der dritte, Peter, kam zu einem Onkel, Pastor Zahle, auf der Insel Seeland und unsere liebe Mutter nach einiger Zeit nach Jevenstedt bei Rendburg in das Haus des Pastors Johannsen, an den ihre Mutterschwester und Patin verheiratet war.

Die Großmutter behielt bloß die älteste Tochter Marie und zuerst die beiden jüngsten Söhne bei sich. Der jüngste, ein sehr schwäch­liches Kind, lernte erst 4 Jahre alt gehen. Die so zerstreute Familie wurde aber durch ein äußerst lebendiges, festes und doch auch zartes Band unter einander innerlich fest verbunden, und was die liebe Mutter aus ihrem Jugendleben von Mutter und Geschwistern er­zählte, mußte in der Tat hohe Achtung vor einer solchen Familie erwecken. Unsere Mutter war ein begabtes, frisches heiteres Kind, aber im Hause ihres Onkels war für sie kein guter Platz. Der Onkel war nicht bloß in vielfacher Beziehung wunderlich und dadurch fast ein Quälgeist der Seinen, - Kinder hatte er nicht, und unsere Mutter mag wohl oft die wunderlichen und bösen Launen des Onkels haben fühlen müssen, - sondern auch als Geistlicher, ja, als Mensch, wenig achtungswert. Die Mutter wurde nur in die Dorfschule geschickt; der verheißene Privatunterricht des Onkels kam eigentlich gar nicht zustande. An nützliche, bildende Bücher wurde nicht gedacht; Jahrelang war der dänische Hof- -und Staatskalender die Hauptlektüre, woher denn die liebe Mutter ihre besondere Neigung zur Genealogie der fürstlichen Häuser Europas und ziemliche Kenntnis darin bekam. (40) Später kamen ihr Unterhaltungsbücher ohne Auswahl in die Hände. Dabei genoß sie im ganzen eine große Freiheit. Aber Gottes beson­dere Gnadenfürsorge waltete über sie und verhütete schlimmere Eindrücke. 1801 oder 1802 kam sie nach Rögen in das schon bekannte Haus des Kammerrats Reiche. Es waltete eine entfernte Verwandt­schaft ob. Ich glaube, Reiches erste Frau war eine geborne Niemann, eine Schwester der Tante Esmarch in Rendsburg, der Frau des Zoll­verwalters, Justizrates Christian Hieronymus Esmarch, des Bruders der seligen Großmutter Fabricius. So war nun der nachherige "Onkel Pastor" dort Hauslehrer geworden, und unsere liebe Mutter kam dorthin zur Hilfe der Hausfrau, besonders in den oberen Regionen des Hauses, nicht eigentlich in dem, durch die große (41) Landwirtschaft herbeigeführten Haushalt, und als etwas ältere Genossin der ältesten Tochter des Hauses, Line Reiche, mit der die Mutter eine sehr herzliche Freundschaft schloß, und von deren großer Liebens­würdigkeit sie oft erzählte. Dieselbe heiratete später einen jüngeren Sohn aus dem großen dänischen Hause der Grafen Kragh Fuel Wind Friis af Friesenborg. Reiche machte etwa 1809 oder 1810 bankerott, nachdem er geisteskrank geworden, und von den Kindern übernahmen die lieben Eltern die Sorge für den einen, Karl, der beim Königlichen Hofgärtner Braune, der 1804 den Gramzower Garten angelegt, die Gartenkunst erlernte. Er ging 1813 als Freiwilliger unter die Lützower Jäger, wie auch sein Bruder Heinrich, ward Offizier im 22. Linien-Regiment, Ritter (42) des eisernen Kreuzes und ist als Major a.D. in Neiße ohne Nachkommen gestorben.

Ich komme nun zu der Zeit zurück, da unsere lieben Eltern ihre Liebe einander bekannt und den Bund der Herzen geschlossen haben. Die erste Zeit brachte eine bedeu­tende Störung der Freude. Der selige Vater war der freudigen Einwilli­gung seiner Mutter doch zu gewiß gewesen, auch wohl weil er sich bewußt war, bis dahin von seinen Eltern bei seinem Tun und Lassen und ganzen Lebensrichtung Lob und Zustimmung erhalten zu haben. Ich kann nun hier nicht umhin, den lieben jüngeren Verwandten, die diese Mitteilungen aus dem Leben ihrer so allgemein hochgeschätzten Großeltern lesen werden, eine Warnung vor dem frühzeitigen Verloben und (43) namentlich vor dem Verloben auszusprechen, bei welchem man erst den "geliebten Gegenstand", wie es wohl ausgedrückt worden ist, und dann erst die Eltern fragt. Mein Vater war da in einer selten günstigen Lage, für seine Jahre auch schon geistig früh gereift und er konnte nach nicht zu langem Brautstande seine Erwählte in seinen eignen Haus­stand führen. Auf die Bitte vom 1. Sept. 1802 erfolgte erst unter dem 18. Sept. und zwar nur indirekte Antwort. Die Großmutter schrieb gar nicht selbst, sondern der Vetter Amtsassistent mußte in ihrem Namen antworten. Der schrieb nun vom ”Bösesein der Mutter", wovon sie schwer abzuhalten gewesen, von "zu heftiger Leidenschaft", die leicht von der Erlernung der (44) noch so nötigen praktisch ökonomischen Kenntnis abziehen könne.

Wenn er sich diese erworben haben würde, werde die Mutter gewiß nicht abstehen, einzuwilligen. Fürs erste möge er nicht zu viel um die Einwilligung bombardieren. Das ”Bombardieren” muß denn doch nicht ausgeblieben sein. Schon am 10. Oktober schreibt unser lieber Vater aus Rögen an seine "herzlich gelibte Auguste" nach Jevenstedt, (dahin, wo die Mutter und Schwester bei Onkel und Tante Johannsen die Einwilligung angelangt, daß die Mutter auch geschrieben, jetzt lebten, war sie gegangen, bald nachdem sie sich verlobt) der Mangel des Vermögens sei ihr gleichgültig, doch wurden die Besorgnisse noch einmal hervorgehoben. Sehr froh antwortet die glückliche Braut (45) von Jevenstedt aus unter dem 15. Okt., daß sie nun das frohe Bewußtsein habe, daß durch ihr Glück niemand gekränkt werde. "Die heiligen Rechte einer Mutter dürfen nicht gekränkt werden!" schrieb sie auch. Diese Einwilligung scheint aber doch erst durch fremde Feder geschehen zu sein, denn ein Brief von der Großmutter eigener Hand vom 19. Nov. spricht noch einmal von dem Schmerze, daß sie nicht weiter als dem nach kenne, und fährt denn wirklich rührend fort:

"Weil ich Deinem Glücke nichts entgegensetzen will, so gebe ich meine Einwilligung zu einer Verbindung, die mich so nahe angeht, mit Tränen in den Augen aber mit so kaltem Herzen. Weil ich Deine Geliebte (46) nicht kenne, so kann dies nicht anders sein, und ich kann unmöglich eigenes Interesse gegen ein Mädchen hegen, das ich nicht gesehen habe. Da Du sie aber gesehen, und Du sie heiratest und glaubst, dadurch glücklich zu werden, so muß ich es mir schon gefallen lassen, weil ich so wenig zu ihrem Lobe wie zu ihrem Nachteile anzuführen weiß, da ich sie nicht kenne. Es ist also alles Weitere überflüssig; halte Wort und beweise durch Deine Handlungen, daß ich nicht Ursache habe, über diesen für mich so un­erwarteten Schritt unzufrieden zu sein."

Ein Brief vom Amtsassistenten enthält auch noch die Worte: "-- ich kann Dir nicht allein sagen, daß Mutter darüber gar nicht mehr böse ist, sondern daß sie darüber schon lacht, sogar sich freut und sagt, daß ihr die (47) Geschichte viel Spaß macht." Man sieht aber doch, wenn die liebe Mutter bei persönlicher Bekanntschaft mißfallen, namentlich auch Untüchtigkeit als Hauswirtin kund getan hätte, so würde sie einen sehr schweren Stand gehabt haben dieser Schwiegermutter und der ganzen Verwandt­schaft gegenüber. Aber sie hat sich durch ihre sehr tüchtige Natur und die Treue in ihrem Beruf als Gattin, Mutter und Hausfrau und durch die innig hingebende Liebe für ihren Mann, wie durch die Annehmlichkeit ihres Umgangs große Achtung und Liebe vonseiten ihrer neuen Mutter und der ganzen Familie im neuen Vaterlande erworben. Übrigens will ich noch erwähnen, daß sie schon vorher auf Männer einen tieferen Eindruck gemacht und Heiratsanträge bekommen (48) hatte. Ein junger Herr Schmidt, auch Pensionär in Bögen, also auch aus wohlhabender Familie, hatte sich indirekt gegen einen Dritten ich glaube gegen den Onkel Christian, ausgesprochen und auch so indirekt einen Korb erhalten, weil die Mutter sich ohne Neigung für ihn fühlte. Dagegen ein älterer Herr, ein reicher Kaufmann Alsen aus Altona, der sie noch in Jevenstedt beim Onkel August kennen gelernt hatte, macht ihr bei einem Besuche dort in Gegen­wart von Onkel und Tante einen ernstlich gemeinten Heiratsantrag. Sie, ja noch sehr jung, faßt die Worte ganz unbefangen als einen unfeinen Scherz auf, springt schnell auf den Flur, holt dort einen alten, leeren, durchlöcherten Torfkorb und setzt ihn mit höflichem Knix vor den alten Herrn hin und läuft dann lachend fort. (49) Der alte Herr ist nun sehr beleidigt, der Onkel böse auf die mutwillige Nichte, die eine so vorteilhafte Partie so schnippisch ausschlägt; sie aber muß sich schelten lassen, ist indessen froh, daß sie es aus Irrtum so aufgefaßt, weil sie nun ohne weiteres von der Sache loskommt, die sonst viel Not hätte machen können. Beide Herren sind übrigens später doch in den Ehestand getreten.-

Der Brautstand der lieben Eltern dauerte nun noch bis Ende Februar 1804. Bis Ostern war der Vater noch in Kögen, und die Mutter scheint nach erfolgter Einwilligung aus Chorin auch wieder dorthin zurück­gekehrt zu sein, denn ich finde aus den zahlreichen Brautbriefen gar keinen aus der Zeit vom Nov. 1802 bis April 1803.  Diese Briefe machen nun den freundlichen Eindruck zweier in ihrer Liebe sehr glücklichen und ganz befriedigten jungen Herzen, Sie schreiben zärtlich, aber nicht überschwenglich und schwärmerisch, fleißig und lang; sie leben ganz miteinander fort, teilen sich aus den Ereignissen  des täglichen Lebens viel Kleinigkeiten mit und sehen mit froher Zuversicht in die Zukunft hinein, sprechen dabei auch viele gute Vorsätze aus, aber noch ohne alle Beziehung auf Gottes Wort und sein teures Evangelium von Christo. Das sollten sie erst durch Gottes gnädiges Führen und- durch das Kreuz und Leiden später im Ehestande kennen lernen. Ich muß mich enthalten, daraus Mitteilungen zu machen, wozu ich mich versucht fühle. Doch die Äußerung aus einem Briefe der lieben Mutter kann ich nicht zurückhalten, (51) wo sie sagt, daß sie, weil sie gar kein Vermögen mitbringe, desto mehr die Pflicht fühle und den Vorsatz habe, durch Treue und Sparsamkeit in der Wirtschaftsführung dies soviel wie möglich wieder gutzumachen. Nun, das hat die teure Mutter redlich getan. Ich bin gewiß, ohne eine so treue, fleißige und sparsame Hausfrau würde es dem seligen Vater nicht gelungen sein, die schweren ökonomischen Zeiten, die er später erleben sollte, durchzumachen und nicht allein seinen Kindern sein ererbtes Vermögen, zu hinterlassen, sondern es auch noch zu vermehren; ein Segen, für den vielleicht keins der Kinder den seligen Eltern so viel Dank schuldet als gerade ich. -

Am 30. März 1803 trennte sich das liebe Brautpaar in (52) Jevenstedt; der Bräutigam auf seinem "Engländer" ritt auf Hamburg zu. Das erste Nachtquartier war in Rostorf bei Breitenburg bei Sr. Exzellenz, dem Grafen von Ranzau, der beim Abendessen selbst die Gesundheit der Demoiselle Auguste Fabricius ausbrachte und am andern Morgen selbst dem jungen Preußen eine Visite auf seinem Zimmer machte. Der Vater war durch den Haushofmeister des alten Grafen, einem Herrn Neubauer der vorher in Chorin gewesen, und den er auf früheren Reisen besucht, bei dem sehr vornehmen, aber sehr gütigen alten Herrn eingeführt worden. Er erzählte gern von demselben und wie er bei dem ersten Besuche ein Versehen gegen die, wenigstens damals, vornehme Sitte gemacht. Der alte Herr, dem das Stehen schon schwer wurde, war (53) nämlich von seinem Gaste nicht zum Sitzen aufgefordert worden und hatte darauf warten müssen, bis Herr Neubauer dem Vater sagte, er möge doch zum Sitzen nötigen. In Hamburg, wo das zweite Nachtquartier gemacht wurde, hatte der Vater, was ich hier nachholen will, sich im Jahre vorher von Rögen aus in den Freimaurerorden aufnehmen lassen. Kirche und Vaterland ließen damals ja viele Herzen ganz leer und es kamen wohl ernstere, auf höheres gerichtete Seelen zu solcher Geheimbündnerei. Der liebe Vater war von seinem Lehrer Bülow von fern damit bekanntgemacht worden. Weil er aber in Preußen vor erlangter Volljährigkeit nicht Glied des Ordens werden (54) durfte, wohl aber in Hamburg, hatte er schon im Sommer 1802 eine eigene Reise dahin gemacht. Die Geschichte, das heißt, die bloße Aufnahme, kostete indessen doch einige 30 Taler. Ein emailliertes blaues Ordenkreuz habe ich davon noch in Besitz, ein freimaurerisches Buch, "der Signalstern", war in des Vaters Bibliothek, eine weiße Schürze aus Leder aber wurde einmal zum Pflaster­schmieren zerschnitten. Nähere Mitteilungen habe ich aber darüber vom seligen Vater nicht bekommen, auch war er, solange ich denken kann, schon ganz davon los. -

Die ganze Reise nach Chorin wurde zu Pferde gemacht, unterwegs auch mal bei einem Freunde, Oberamtmann Freyer in Hoppenrade bei Kleetzke ein Nachtquartier genommen. Das Jahr (55) bis zum Eintritt in den Ehestand, brachte aber doch der liebe Vater teilweise, doch am wenigsten in Chorin zu, mehr in anderen renommierten Wirtschaften, besonders aber in Kunersdorf, Friedland, Behnitz beim Geh. Staatsrat Grafen von Itzenplitz, dessen Schwiegermutter, eine damals durch ihre große Tüchtigkeit als Landwirtin unter dem Namen "Frau von Friedland" sehr bekannte und anerkannte Dame war. Mit dem Grafen (dem Großvater des jetzigen Ministers, der mit seinem Vater auch einmal in meiner Jugendzeit einen Besuch in Gramzow machte) und dessen Familie machte der Vater im Sommer 1803 eine große Reise nach Schlesien, besonders ins Riesengebirge. Diese Reise ist in den Briefen (56) nach Jevenstedt sehr ausführlich und anziehend erzählt.

Mit dem Afterpächter von Gramzow, dem würdigen Oberamtmann Sänger war bei der Verpachtung die Festsetzung getroffen worden, daß, sobald einer von den Söhnen des Verpächters, unsers seligen Großvaters, Gramzow übernehmen könne und wolle, er die Pachtung zurückgeben müsse. Dies trat nun Trinitatis 1804 ein. Ehe aber die Wirtschaft vom Vater übernommen wurde, traten die Eltern in den ersehnten Ehestand. Im Februar 1804 machte der Vater dazu die Reise, - wieder zu Pferde, doch diesmal in Begleitung eines Dieners - nach Jevenstedt, wo im Hause des Onkels Johannsen die Hochzeit statt­finden sollte, weil die Tante Johannsen unsere liebe Mutter in gewis­sem Grade als Pflegekind ansah, (57) auch damals die liebe Mutter Fabricius gegen Kostgeld mit ihren Töchter dort im Hause lebte.

Am Tage nach erfolgtem dritten Aufgebot, (dies geschah in der Parochie des Bräutigams zu Chorin in einer kleinen Klosterka­pelle), sollte die Abreise des Bräutigams erfolgen. Da, am Sonntagmittag, wird. daran gedacht, daß der Proclamationsschein ja noch vom Prediger Herzberg[3] in Brodowin geholt werden muß, und es kommt zur Sprache, daß am Vormittag der Küster habe ablesen sollen, der Gottes­dienst aber ganz ausgefallen ist, weil niemand dazu erschienen. Chorin war ja und ist noch ein sehr kleiner Ort und bestand nur aus dem Amte und den dazugehörigen Tagelöhnern und Schmiede. Das dritte Aufgebot ist also gar nicht (58) geschehen, kann folglich auch nicht attestiert werden. Schnell wird zum Küster geschickt der wohl in Chorinchen, dem bei Chorin liegenden großen Dorfe wohnte, und alle Knechte, Mägde und Tagelöhner zur Kirche befohlen. Der Küster liest am Nachmittag noch eine Predigt, das dritte Aufgebot erfolgt und kann dann vom Prediger bescheinigt werden. Die Trauung sollte am 1. März, als dem Geburtstag des Vaters der Braut geschehen, und es war eine kleine Hochzeitsgesellschaft, namentlich aus Rensburg die Verwandten der Braut eingeladen. Der alte wunderliche Onkel Johannsen, der die Trauung zu verrichten hatte, ruft am Abend zuvor, also am Polterabend, (der aber damals noch nicht (59) nach der jetzigen Unsitte mit großer Gesellschaft gefeiert wurde, höchstens mit einigen an die Tür geworfenen Töpfen), die junge Braut zu sich und sagt: "Guste, lasse Dir gleich den Brautkranz aufsetzen, rufe Deinen Bräutigam und kommt dann, wie Ihr da seid, in die Kirche, ich will Euch gleich trauen. Warum soll ich morgen vor der ganzen Gesellschaft das "Lirum, Larum, Kikel, Kakel, Wischi, Wäschi" machen. Von dieser Rede sind die lieben Brautleute freilich wenig erbaut gewesen, aber es hilft nichts, sie müssen sich fügen, und im rotgestreiften Kattunkleide muß die liebe Mutter sich trauen lassen. Nun, das "hochzeitliche Kleid", auf das der Herr sieht im Bericht über seine Gemeinde, hat (60) durch Gottes Gnade unsere teure Mutter erlangt, das wissen wir gewiß. Auf diese Weise ist der Hochzeitstag unserer seligen Eltern der 29. Februar 1804, (es war ja ein Schaltjahr) obwohl der Onkel Johannsen denn doch noch ins Kirchen­buch den 1. März einzutragen, sich nicht gescheut hat. Die Gesell­schaft aus Rensburg, worunter die Brüder der Braut und der Mutterbruder, der Onkel Esmarch mit seiner Frau waren, fanden am andern Tage das junge Brautpaar als Ehepaar und mußten sich mit dem Schmause begnügen. Erst zu Trinitatis 1604 konnte die Pacht von Gramzow übernommen werden; bis dahin lebte das glückliche junge Ehepaar in Chorin im mütterlichen Hause und machte die (61) Reisen zu den Verwandten, die der Anstand erforderte, die Liebe gebot. Das erste Auftreten in dem fremden Lande, der Eintritt in die reiche, für viel vornehmer gehaltene Familie, dann die Übernahme der Führung eines großen Haushalts waren wohl schwer genug für unsere liebe Mutter; indessen die Liebe mit der sie von der in Chorin verlebten Zeit sprach, ist wohl Zeug­nis, daß sie ohne Vorurteile empfangen wurde und sich bald die Lie­be und Achtung erwarb. Als nach Gramzow gezogen wurde, trat noch ein besonders schwieriger Umstand ein. Die Frau Oberamtmann Sänger, die Gattin des nun aus Gramzow ab- und nach Löcknitz, damals noch Domänenamt, ziehenden Pächters, ward (62) am 1. Juni von einem Sohn entbunden und zwar war es ein Nachkömmling, etwa 12 bis 13 Jahre jünger als das nächstälteste unter den Geschwistern, deren damals noch wenigstens 10 am Leben waren, wenn nicht noch mehr. Die Wöchnerin konnte nicht zur Zeit des Übergabetermins das Haus verlassen, das Kind, später mein vieljähriger Schulkamerad und Freund August Sänger, jetzt von seinen Renten in Berlin lebender Oberamtmann, mußte doch noch im Gutshause getauft werden. Die ganze Übergabe und den Sängerschen Abzug zu erleichtern, wohnten beide Familien 14 Tage zusammen im Gramzower Hause, und waren das junge Ehepaar erst (63) 14 Tage Sängers Gäste und dann umgekehrt. Die Eltern waren beide bei dem Neugebornen Paten, und es war eine freundliche Ausein­andersetzung wie es auch bis zum Tode der alten Sängers und nachher ein recht freundliches Verhältnis blieb. Die Mutter hatte Gelegenheit, als angehende Wirtin nicht allein Schwierigkeiten zu überwinden, sondern auch Lob und Anerkennung bei der Schwiegermutter zu erwerben, sondern natürlich von Sängers auch Kunde über ihr Verhalten zukam und die gute Hoffnung über ihre Leistungen faßte. Die Austattungssachen aus Holstein, freilich nicht viel, doch Betten darunter, waren angekommen. Unsere Mutter brachte die Betten (64) gleich selbst hinaus in die Luft, sie sonnen zu lassen und auszuklopfen. Das ward der Mutter Karbe zu Chorin berichtet und erfreute sie. Unsere liebe Mutter ist ja denn auch eine sehr fleißige und recht sparsame und nach erlangter Erfahrung auch recht umsichtige Hauswirtin geworden. Eine "Mamsell" zur Stütze hatte doch engagiert werden müssen, schon, weil unsere Mutter die Landessitte gar nicht kannte und es auch in der Tat zu viel Arbeit gewesen wäre. Wie unsere liebe Silberbraut, fleißig und selbst handanlegend und ihre Vorräte in Keller Speise- und Vorratskammer treu mit eignen Augen inspizierend, waltete sie im Hause. Das dienende Personal im Hause war weniger (65) zahl­reich, doch ward ein Bedienter und ein Jäger gehalten. Man bewohnte damals nicht so viele Zimmer wie in unseren Zeiten. Doch waren die Zimmer im Gramzower Hause von Berliner Malern - ich habe ja die erste Malerei noch manches Jahr gesehen - wenigstens nach meinen kindlichen Begriffen sehr schön gemalt, aber ohne Tapeten. Die Sohnstube, jetzt Bruder Hermanns Stube war grün in vielen Feldern, die Schlafstube gleich dahinter, hatte ringsum Landschaften; ein Baum war recht groß und reichte noch auf die Decke, auf der, wie auch an den Wänden einige Vögel zu sehen waren. Der Saal hatte auch eine Menge Landschaften ringsum, die Seite nach Abend nahm eine Darstellung von Gramzow ein, vom Berge hinter dem Kantorsee aufgenommen. Im Vorder­grunde ritt unser Vater, auf einem Schimmel, der aber nicht gut geraten war, weshalb der Maler nachher einen kleinen Berg davor gemalt hatte, über den nun Pferd und Reiter in halber Figur hervorragten. Auf der Seite zwischen dem Kamin und der Flurtür war das Bild des Klosters Chorin; aus einem Klosterfenster sah ein Knabe heraus, der unsern Vater im Knabenalter vorstellen sollte. Das Ameublement war nach jetzigen Zeiten sehr einfach, das beste von Birken- oder Elsenholz; nur ein Sofa war im ganzen Hause, mit schwarzer (67) Lein­wand überzogen; das war aber zehnmal so bequem wie die heutigen. Außerdem hatte hinter dem "Gerichtszimmer" der Aktuarius Johann Adam Weiland das Zimmer mit der Kammer inne, die jetzt Lydia und Anna haben. Dieser Aktuarius hatte noch ein altes "Kanapee". Ökonomen waren vier, aber nur außer Kutscher und Reitknecht vier Pferdeknechte. Der Kutscher hieß Schilling (das heißt Gelin) Großvater des jetzigen, der Reitknecht war Hans Böttcher, ein kurzer, sehr breitschultriger Mann, der schon bei dem Oberamtmann Steppin als Junge gedient und nie auf einem anderen Hofe gedient hatte. Die Brennerei und Brauerei waren an einen Juden verpachtet. Die vielen Ökonomen, Schreiber wurden sie damals genannt, nur der erste hieß Inspektor, waren nötig zur Beauf­sichtigung der vielen mit Pflügen, Eggen, Einfahren von Heu und Korn, Mistfahren beschäftigten und andere Dienste leistenden Bauernknechten aus den Amtsdörfern.

Am Sonnabend, dem 2. Februar 1805, abends 7 Uhr wurden die Eltern durch die Geburt ihres ersten Kindes, einer Tochter, unserer lieben Schwester und allerbesten Tante 0ttilie erfreut. Die Geburt war sehr schwer, und ohne die Hülfe des alten Dr. Herz aus Prenzlau hätten Mutter und Kind nach menschlichen Ansichten das Leben wohl nicht behalten können. Es erfolgte auch noch für die Mutter eine schwere Krankheitszeit, noch gefährlicher gemacht durch Verwechselung von innerer Medicin und äußerer. Doch konnte die Taufe am Montag, den 4. März, froh gefeiert werden, bei der das liebe Kindlein die Namen Ottilie Juliane Auguste Luise empfing. Paten waren: 1. die Großmutter Karbe aus Chorin, die über die Enkelin ganz besonders erfreut war; 2. die Frau Oberamtmann Karbe aus Weselitz, Mutter des auch Pate stehenden 3. Herrn August Karbe, Amtsassistenten zu Chorin und Pächter von Weselitz; 4. Demoiselle Albertine Karbe; 5. Demoiselle Julie Karbe, beide aus Chorin; 6. Herr Oberförster Bartikow aus Liepe; 7. Herr Leopold; 8. Herr Rittergutsbesitzer von Krause auf Pritzlow, Bruder der Großmutter, später Landschaftsdirektor von Pommern; 9. Frau Prediger Théremin aus Gramzow. (70)

Bei der Taufe fehlte es auch an einem "Carmen" nicht. Dies kam vom Amtsassistenten und war auf einem viele Ellen langen sehr breiten grünseidenen Bande gedruckt und fing an: "Eine kleine Reise machen in der Welt, um all ihr Spiel, ihre Freuden anzulachen: Wär's der Mühe wohl zu viel?" Von der Taufe war freilich darin gar nicht die Rede. Aber unsere liebe Ottilie hat es durch Gottes Gnade doch gelernt, daß es zu leben wohl der Mühe wert ist. Ist doch das Leben köstlich nach Psalm 90, wenn es Mühe und Arbeit gewesen, weil wir einen Hei­land haben. Für dies erstgeborne Kindlein ward nicht ein gewöhnliches Kindermädchen gemietet, sondern eine erfahrene Kinderfrau, Frau Grihen, eine (71) echte Berlinerin, so sehr, daß sie alle Gewässer, die größer waren als die Berliner Rinnsteine, "Spree" nannte. So kam sie einst in großer Sorge zu meiner Mutter geeilt: "Frau Oberamtmann, da mitten auf der Spree ist eine Gans, die muß ja ersaufen!" Auf dem See, den man damals vom Fenster nach hinten hinaus überall sehen konnte, schwamm eine Gans. Die Kinderstube war aber die jetzige Schlafstube der Geschwister. - Die ersten Ehestandsjahre der seligen Eltern bis zur Franzosenzeit vergingen ohne Sorgen bis auf die Krankheiten der lieben Mutter nach den ersten beiden Entbindungen, und das immer gefährlicher und schmerzlicher werdende Leiden der Großmutter Karbe; sie hatte ein äußeres Übel an der Brust, das sich zum Krebs ausbildete. (72) Die ersten Berliner Ärzte wurden gebraucht. Die Großmutter zog ganz nach Berlin und wohnte Jägerstraße 27. Onkel Leopold war in Chorin, und der Amtsassistent hatte noch die obere Leitung der dortigen Wirtschaft.

An sogenannten Honoratioren wohnten damals noch in Gramzow die beiden Geistlichen, der lutherische Superintendent Hoffmann,[4] der franz ref. Prediger David Ludwig Théremin und der Oberförster Brückner und etwa noch der Amtszimmermeister Bischof und der alte, dicke Amtschirurgus Lietzmann. Von diesen traten die Eltern am ersten in Verkehr mit Théremin und Bischof, mit jenem ganz besonders die liebe Mutter, (73) wie sie auch viel öfter die Predigten des alten Théremin besuchte, als die Hoffmann'schen. So lange ich denken kann, ging sie schon fleißig zur Kirche, der Vater viel, viel seltener, was uns Kindern auch wohl schon auffiel. Des alten Théremin Predigten waren einfach und wenn auch nicht ganz frei vom Geiste der Theologie, der in den letzten Jahrzehnten des 18. und in den ersten des 19. Jahrhunderts auf den Universitäten herrschte und die Kanzeln mehr und mehr in Beschlag nahm, doch weniger, glaube ich, davon berührt. Hatte er doch bald nach dem 7‑jährigen Kriege in Genf und Leiden studiert, wo der Rationalismus mit seinen unbib­lischen Lehren sich wohl nicht so geltend gemacht hatte, wie auf deutschen (74) Universitäten. Dabei war seine Person höchst ehrwürdig und anziehend. Ein Greis mit ganz kahlem Scheitel und einem Kranz silberglänzender Haare umher, mit lebendigem, aber mildem Blick, ich möchte sagen, von apostolischem Ansehen; immer freundlich, ruhig heiter, machte er den Eindruck aufrichtiger Frömmigkeit. Der Superintendent Hoffmann dagegen, dessen Predigten von der Mutter nur hin und wieder be­sucht wurden, damit er, der ja eigentlich ihr Seelsorger war, nicht böse werde, war Rationalist, und mehr Landmann wie Pastor und oft taktlos; als die Eltern einst zum heiligen Abendmahl gingen, sprach er gegen den Vater während des Gesanges zwischen (75) Beichte und Abendmahl die Bitte aus, "seine Hammel doch mit auf die Weide zu nehmen." - Bei Théremins ward in meiner Knabenzeit öfters zu Abend gegessen, wobei mir die Kartoffeln noch einmal so schön vorkamen wie auf dem Amte, und die blanken Zinnteller, von denen die Töchter des Hauses, die zahlreichen Pensionäre meine Schwester und ich aßen, meinen Neid erweckten. Die Mutter war weniger lebendig fast schweigsam, aber eine recht praktische Pfarr­frau, und im ganzen Hause ging es so sacht, ruhig und eben zu, daß einem nur wohl darin sein konnte; wenn auch die Pensionäre in vieler Beziehung große Freiheit genossen, die Ehrfurcht vor dem alten Herrn hielt sie in Schranken. Die Familie (76) bestand außer den ehrwürdigen Eltern in meiner frühesten Erinnerung aus 6 Söhnen und 3 Töchtern; doch erinnere ich mich der Söhne nur aus der Zeit, wo sie von Berlin zum Besuch kamen; zwei, Fritz und August, sind als Jünglinge gestorben. Mit den Töchtern hatte die liebe Mutter besonders gern Verkehr; die älteste, Lottchen war durch Anlagen und auch wohl durch mehrjähriges Zusammenleben mit ihrem Bruder Franz, Prediger am französischen Werder in Berlin nachher Hofprediger und Oberkonsistorialrat, im Gespräch über geistige Dinge besonders interessant. Wir Kinder aber hielten es mit der jüngsten Jettchen. In schweren Krankheiten unserer lieben Mutter, besonders bei den Geburten der Kinder stand die alte Frau der Mutter helfend zur Seite. Gewiß war es ein gnädiges Führen Gottes, daß er unsere Eltern (77) mit dieser Familie in so nahe Beziehungen brachte, wie sehr wir Gott dafür zu danken haben, werde ich später noch darzustellen Gelegen­heit finden. Gegen Frühjahrsausgang 1806 ward die zweite Entbindung der Mutter erwartet. Dazu kam die Großmutter Fabricius aus Holstein begleitet vom Onkel Johann Christian, der Kandidat war. Welche Freude für unsere Mutter! Doch ging man nach den gemachten Erfahrungen dem wich­tigen Zeitpunkt mit Sorgen entgegen, und ein besonderer Unfall hätte auch Schlimmes herbeiführen können. In ihrer emsigen Wirtschaftlichkeit, wonach sie möglichst Vieles selbst tat, stieg die Mutter in der Speisekammer auf einen Schemel und von dem auf eine zugedeckte Tonne, um auf einem (78) hohen Bord etwas nachzusehen oder herabzuholen, und fiel mit der Tonne um, Gott sei Dank, ohne nachteilige Folgen. Am Donnerstag dem 12. Juni 1806, 2 Uhr früh geschah die Entbindung schnell und leicht und ward der arme Sünder zur Welt geboren, der diese Zeilen schreibt. War die Tochter, im Jahre vorher geboren, ein stattliches, großes, hübsches Kind, so war dieser Junge übermaßen klein und häßlich, ein elendes, fast vermickertes Kind. Die treue Luise, (nachher Frau Knopp) das Stubenmädchen, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde, hat mir, als ich noch ein kleines Knabe war, gesagt: "Mien Jung, as du jung würst werst du so grot, dat du in uns' grot Berglas rinjingst un sehst (79) ut as een Ülling". Wie die Mutter ihr erstes Kind selbst genährt, so wollte sie auch das zweite nicht von ihrer Brust lassen und hoffte, es sollte doch noch gedeihen wie jenes. Aber eine geringe Unvorsichtigkeit in den ersten Tagen des Wochenbettes führte eine schwere Erkrankung der Wöchnerin herbei, und ihr Leben war wieder in Gefahr. Doch ward sie, da der Herr die Mittel des geschickten Arztes segnete, unserm lieben Vater noch und uns erhalten; nur konnte sie das Kind nicht mehr nähren; sollte das durchkommen, so mußte eine Amme genommen werden. Das Aufpäppeln der Kinder war damals noch nicht so beliebt wie jetzt. Zu dieser Amme ward Elisabeth Bornadel aus (80) Fredersdorf gewählt, eine recht gutmütige und gesunde, aber dicke und träge Person, die nichts lieber mochte als liegen und schlafen. Ich habe über die Faulheit meiner Amme in der Tat manchmal einige Gedanken gehabt, doch ich gedieh sehr schnell zu einer, wie mir erzählt worden, fast "monströsen" Dickigkeit und war schon ein "sit verbo venia", sehr feister Bengel, als ich getauft wurde. Erst wegen der Krankheit meiner Mutter, dann wegen der Krankheit der Großmutter Karbe, die doch der Taufe beiwohnen sollte, und auch weil meine Eltern damals von der heiligen Taufe noch nicht die richtige Er­kenntnis hatten, ward der Tag, an dem ich in den Gnadenbund mit (81) Gott aufgenommen werden sollte, ungebührlich lange verschoben. Erst am Montag, dem 25. August ward ich getauft und erhielt die Namen: Adolf Heinrich August Alexander. August und Auguste waren der Großmutter Lieblingsnamen und deshalb fast uns allen gegeben. Alexander war wohl dem russischen Kaiser Alexander zu Ehren gewählt, der ja kurz vorher seine berühmte Zusammenkunft mit Friedrich Wilhelm III. und der Königin Luise am Sarge Friedrichs des Großen gehabt hatte, die in Preußen, das damals gegen Napoleon rüstete, so große Hoffnungen erregte. Die Taufpaten, die im Kirchenbuche stehen, waren: 1. Demoiselle Albertine und 2. Demoiselle Julie Karbe, 3. Oberamtmann Meyer aus Königshorst, 4. Frau Regierungsrätin Kaps, geb. Krause, 5. Demoiselle Luise Karbe aus Blankenburg, 6. Hauptmann a. D. von Greifenberg (damals Ökonomie in Gramzow erlernend), 7. Herr August Karbe aus Chorin, 8. Frau Prediger Fabricius, 9. Herr Prediger Théremin, 10. Demoiselle Charlotte Hoffmann.

Es wird nun aber behauptet, daß der Paten noch viel mehr gewesen seien, und daß der Superintendent sie nicht alle eingetragen habe, weil er sonst von den 2 Friedrichdor, die als Taufgebühr übersandt wurden, zuviel an die Prediger-Witwenkasse hätte abgeben müssen. Der Vater wußte damals noch nicht, daß von den Paten über 5, wie Küster Zander (83) aus Potzlow bei Marie Gründlers Taufe in Seehausen sagte, fürs Stück 6 gute Groschen Strafgelder gezahlt werden müssen. Ich will nun nicht gern das Kirchenbuch der Unvollständigkeit bezich­tigen, doch muß ich mich nach dem, was ich von der großen Zahl der Paten gehört habe, selbst wundern, nur 10 aufgezeichet gefunden zu haben. Viele Paten galten damals als Erhöhung der Festlichkeit einer Taufe. Und ich war ja, und das will ich bei der Gelegenheit doch geltend machen, in der Familie Karbe von Nachkommen des Urgroßvaters in Wüste - Sieversdorf der Erstling in einer neuen Generation und dazu als ältester Sohn des Oberamtmanns von Gramzow eine Art Kronprinz; nur ist (84) die Krone, auf ein anderes, würdigeres Haupt gefal­len! Nun, möge uns allen die rechte Krone, die Krone der Gerechtigkeit, die uns der Sohn Gottes erworben hat, nicht fehlen. -

Jetzt sollen nun bald die schweren Prüfungs- und Sorgenjahre der lieben Eltern anfangen. Am 10. Oktober war Preußen in den Schlachten bei Jena und Auerstädt von seiner damals freilich nur noch eingebildeten Höhe herabgestürzt, und das schnelle Vorrücken der Franzosen er­regte Schrecken im ganzen Lande. Seine Frau und Kinder vor der Angst und den Gefahren des Krieges zu behüten, beschloß der Vater, dieselben nach Mecklenburg, und sollte es sich als nötig erweisen, nach Holstein zu den Verwandten zu (85) schicken. Mit schwerem Herzen willigte die Mutter ein. Vater mußte um seiner amtlichen Stellung und Wirtschaft willen zurückbleiben. Herr von Greifenberg ward dazu bestimmt, zum Schutze mitzureisen. Zugleich sollten dadurch auch die 4 Kutschpferde und die beiden Reitpferde, vor den Franzosen geflüchtet werden. Es war auf die Art eine ansehnliche Kavalkade, die große Kutsche mit 4 Pferden bespannt, die der Kutscher Heck­mann vom Sattel lenkte, voran der Reitknecht Hans Böttcher mit den Reitpferden, auf dem Bock Herr von Greifenberg, mit Hirschfänger bewaffnet und seine Louisdors überzogen als Knöpfe an seinem Rock an­genäht, in der Kutsche die Großmutter Fabricius, die Mutter, die Amme (86) und die beiden Kinder. Es konnte erst am Nachmittag aufge­brochen werden und mußte auch, um des nötigen Auslandspasses willen das erste Nachtquartier in Prenzlau gemacht werden, welches man bei dem befreundeten Justiz-Aktuarius Flist fand. Es kam aber eine Schreckensnachricht, denn schon in der Nacht ward Lärm, und die ersten versprengten preußischen Truppen, Husaren vom "Regiment Schimmelpfennig von der Oye" rückten sehr matt auf maroden Pferden in einzelnen Truppen in die Stadt ein und brachten die Nachricht, die Franzosen würden sehr bald kommen. Aus dem Schlafe aufgeschreckt, mußten sich die lieben Eltern nun schnell zur Reise rüsten, und gewiß (87) recht bange bewegt von einander scheiden. Zuerst gings nach Brohm, welches mecklenburgische Dorf eigentlich den schönen, fast italienischen Namen Coha di Broma führt, aber das unser Vater kannte, und wo man geglaubt hatte, etwas bleiben zu können. Auf dessen Rat ging es weiter und die Reitpferde mit. Greifen­berg ließ sein Pferd dort und hat es nie wieder gesehen; die nach kommenden Franzosen hatten es mit genommen. So ward das erste Nachtquartier in Schwanebeck gemacht, wo der alte Prediger und seine Frau die Flüchtenden sehr gütig aufnahmen. In einem Briefe vom 4. November (88) schreibt die liebe Mutter: Am fol­genden Morgen fuhren wir durch Treptow an der Tollense, wo man eine entfernte Kanonade gehört und am Abend die Franzosen erwartete. Angst lag hier auf allen Gesichtern. Unser Aufzug machte überall Aufsehen, allein es schien mir auch, als wenn ich überall Teilnahme bemerkte. "Die Reise ging nicht gerade eilig fliehend; in kleinen Tagereisen, Malchin, Güstrow, Wismar, Lübeck, Segeberg, Ivenstadt, kamen wir unbelästigt und ungefährdet nach Rendsburg zum Onkel Esmarch, dort dänischer Zollverwalter am Eiderkanal. Die Briefe, welche die lieben Eltern in der Zeit der Trennung bis zum Februar oder März 1807 häufig wechselten, sind nun wieder sehr interes­sant. Der Vater schreibt in einem Briefe, datiert Gramzow, den 14. Nov. 1806: "Endlich darf ich von der wiederhergestellten Ruhe und Ordnung hoffen, daß diese Nachricht von uns durch die Post in Deine Hände kommt; ich eile daher -". "Gestern war ich in Schwedt, um die Schwestern, die auf der Rückreise von Stettin nach Berlin unter dem sichern Schutz des mit ihnen reisenden Ministers von Ingersleben dort durchpassierten, doch einmal zu sprechen, und, indem ich heute zurückkomme, find ich das ganze Haus voll Fremden, nämlich eine große Menge Beamte und Oberförster, die alle, sowie auch ich, morgen vor dem vom franzö­sischen Kaiser über unsere Provinz gesetzten Intendanten in Prenzlau erscheinen müssen, um in Pflicht genommen zu wer­den und über alles Rede und Antwort zu gehen." -

Dabei sind dann die Leidensgeschichten mitgeteilt worden. Der liebe Vater war nicht zu schwer betroffen worden. Außer Lieferungen an Fourage waren allerdings auch Heimsuchungen von Marodeurs geschehen, die meistens höflich gewesen aber doch Geld erpreßt und Onkel Hermann (Peter Fabricius, damals Ökonomielehrling in Gramzow) die Uhr weggenommen hatten; einer hatte auch einmal in der Nacht die Pistole auf den Vater angelegt, was aber in Briefen nicht, sondern nur mündlich erzählt worden ist. Vater schätzte einmal seinen Verlust (ohne Lieferungen) auf 300 Thl. Die Nachbarn waren teilweise schlimmer weggekommen, doch eigentliche Plün­derungen mit Mißhandlungen waren im Umkreise von Gramzow und bei Bekannten nicht geschehen. Nur der Amtsrat in Blankenburg (der frühere Amtsassistent, Vetter Karbe hatte die Joachimstahlsche Schuldomäne statt Weselitz in Pacht genommen und sich zum Amtsrat (91) ernennen lassen, um eine adlige Frau heiraten zu können) hat “einige Hiebe” erlangt, weil er das Verlangte nicht hat geben wollen; es wäre vielleicht auch nicht geschehen, wenn er sich nicht für den Administrator statt für den Herrn ausgegeben hätte. Die armen Sängers in Löcknitz und Baaths in Sachsendorf haben viel gelitten. Der Vater ist froh, daß die Mutter und Kinder in ganz sicherer Gegend sind, denn bei Prenzlau und allenthalben in der Nähe sind Gefechte gewesen. Als recht gute Nachricht wird gemeldet, daß Deine "große Throne", die ich mit 4 meiner besten Pferde nach Hinterpommern geschickt hatte, nach 5 - wöchentlichem Aufenthalte daselbst glücklich und unbeschädigt zurückgekommen ist. Eine Throne ist nach holsteinischer Mundart eine große Truhe; diese war und ist sehr groß, noch (92) aus der alten Esmarch'schen Familie herstammend, von Eichenholz, mit Eisen beschlagen und jetzt im Besitz meiner lieben ältesten Schwester. Die diente besonders zur Aufbewahrung der Linnenvorräte, früher der Hauptschatz tüchtiger ländlicher Hausfrauen.

Der Vater ist Brigadier bei der zur Sicherheit der Provinz errichteten Landgensdarmerie geworden und hat mehrere Gensdarmen unter seinem Befehl; hat in der ersten Zeit eine freilich teuer bezahlte Sauvegarde ins Haus genommen. Von den zum Kriege eingezogenen Leuten und ihrem Ergehen wird Bericht gegeben; sie sind alle gefangen worden, gaben sich alle "ranzionniert"[5] aus der Gefangenschaft bis auf Metscher, der dazu kein Herz gehabt und nach Frankreich transportiert worden ist. Der Bediente Gaudi ist auf der Flucht als ranzionierter (93) Gefangner durch Gramzow gekommen und glücklich nach Graudenz gelangt, von wo er geschrieben und also unter dem wackeren Feldmarschall Courbiere "So bin ich König von Graudenz!" Preußens Ehre an seinem Teile hat bewahren helfen. - In den Briefen unserer Mutter spricht sich oft der Selbstvorwurf aus, daß sie doch dem Vater nicht hätte nachgeben und ihn in so schwerer Zeit verlassen sollen, und das zärtlichste Bestreben des Vaters, ihr das auszureden. Es sind auch manche Briefe nicht angekommen, und lange wurde beiderseits die erste Nachricht sehnlichst erwartet. Es kommen denn auch Hin­weisungen auf Gottes Regieren, das ja gut sein müsse, erste Spuren des später so innigen Glaubenslebens der seligen Eltern. Der erste Brief der Mutter an den Vater ist aufbrochen (94) und mit fremdem Siegel wieder zugesiegelt, woraus der Vater den angenehmen Schluß zieht, daß vielleicht ein Feind oder sonst ganz fremder den Brief gelesen und aus Achtung vor der zärtlichen ehe­lichen Liebe, die aus jeder Zeile leuchte, ihn vor vielen andern weiterbefördert habe. Die Mutter hat Erfreuliches und Schmerzliches zu melden; zuerst die so sehr herzliche Aufnahme bei ihren Ver­wandten. Der Schwager, Subrektor Decker, seit dem 30. Dez.1803 Gatte der Schwester Marie, hält es für nicht anders möglich, als daß die Schwester seiner Frau nebst Kindern und Amme bei ihm ihren eigentlichen Aufenthalt nehme, obwohl Wohnung und Einkommen sehr beschränkt waren und seine Frau selbst erst am Tage nach der Schlacht von Jena von (95) einem Sohne entbunden war; Onkel und Tante Esmarch wollen das nicht zugeben, weil sie ja eine größere Wohnung haben und in reichlicheren Verhältnissen leben. Es ist ein Wettstreit, wo die Flüchtlinge bleiben sollen; die Zeit ward dann zwischen beiden geteilt, doch die meiste Zeit in Rendsburg zugebracht. Ottilie entwickelt sich sehr schnell und erfreulich und ist schon recht gesprächig; Adolf überrascht am 14. Dez. durch den ersten Zahn; die Mutter wird an ihrem Geburtstage durch eine schöne Geburtstagsfeier erfreut. Graf Ranzau zu Breitenburg übernimmt die 6 Pferde; (schade, daß ich die Farbe nicht mehr angeben kann, ich war doch noch zu jung; - das für meinen Neffen, wenn er's mal lesen sollte (96)) mit Heckmann und Böttcher sehr bereitwillig bei sich auf. Adolf aber wird auch krank an der Rose und nachher die Mutter selbst; ihr Leben ist kurze Zeit in Gefahr. Auffallend ist in diesen Briefen, daß wenig, fast gar keine Spuren preußisch-patriotischer Trauer über den Fall des Vaterlandes sich kundgeben. Doch sind ja auch lange nicht alle Briefe auf mich gekommen, welche die Eltern damals gewechselt; auch mochte man, weil die Briefe ja auch öfters von den Feinden eröffnet wurden, dergleichen Ergießungen zurück­halten. Später hat sich die Liebe zu König und Vaterland in meinem elterlichen Hause reichlich gezeigt, wie sie ja auch nicht allein durch den schweren Druck des Feindes, sondern auch durch das edle Verhalten Friedrich (97) Wilhelms und Luisens in Königsberg in vielen Herzen erst recht zur Reife gebracht wurde. -

In den letzten Wochen des Winters 1807, Februar oder März, holte nun mein Vater die geflüchtete Familie wieder aus Holstein ab. Die Rückreise er­folgte über Hamburg und von da auf der Berliner Poststraße durch Mecklenburg und die Prignitz, und zwar in der Weise, daß der schlechten Wege und der schweren großen Glaskutsche wegen die Reitpferde noch vorn vor den 4 Pferden vorgelegt wurden, also mit "Sechsen", was, da neben dem Vater auch ein Freund desselben aus Holstein, Hink, mit Hirschfänger bewaffnet, auf dem Bock saß, einmal in einem Gasthause zu einer komischen Scene Anlass gab. Man hielt die reisende Dame, unsere liebe Mutter, für eine Großfürstin von Rußland, die (98) mit ihren Kindern in den Tagen auf der selben Straße erwartet wurde. Wenn dies nun sehr vornehm aussah, muß ich doch gleich sagen, daß mein Vater in jener Zeit und noch viel später nicht selten auf einem Leiter­wagen mit Säcken ausfuhr, selbst nach Berlin, und ich als Student und Gymnasiast kaum eine andere Art von Berlin nach Gramzow zu reisen kannte als auf einem Leiterwagen, auf welchem Korn nach Berlin zum Verkauf gebracht worden war. -

Die lieben Eltern waren also im Frühjahr 1807 wieder in Gramzow vereinigt. Aber die Zeit der Prüfungen sollte noch  erst recht kommen, teils länd­liche Not, und folge großer finanzieller Bedrängnisse. Zuerst muß (99) ich den Tod der Großmutter Karbe erwähnen, die in Berlin im Jahre 1807 nach schmerzlichen Leiden erfolgte. Sie hatte den erstgebornen Enkel noch, wohl im Spätsommer 1806 selbst gesehen und geherzt und beim Abschiede gesagt; "Ich habe die Ottilie gar zu lieb, aber ich merke, ich werde den Jungen fast noch lieber gewinnen." Sie ward in Sieversdorf beigesetzt, wie schon erwähnt. Onkel Leopold übernahm nun Chorin ganz, heiratete auch wohl bald, und als Chorin 1809 an den Oberamtmann Robbe abgegeben ward und er eine Zeitlang bei seinem Schwiegervater Geh. Rat v. Wolf in Berlin gewohnt, übernahm er das Familiengut Sieversdorf bei Frankfurt a/O, womit denn wohl der Gemeindebesitz der ererbten Wirtschaften der in der ersten Gramzowschen (100) Zeit noch bestanden zu haben scheint, aufge­hört haben mag. Der jüngste Bruder meines Vaters hatte von den Erben eines unvermählt gestorbenen Bruders der Großmutter, zu denen er selbst gehörte, des Herrn v. Krause, die schönen Ritter­güter Staffelde und Pragow bei Garz übernommen.

Von der lieben Großmutter muß ich, ihre Art und Weise zu bezeich­nen, noch ein Geschichtchen nachholen: Sie ist in den ersten Ehestandsjahren meiner Eltern einmal mit ihnen zusammen in Blumberg bei dem Hauptmann v. d. Osten, der ein Schwager ihres Bruders, v. Krause auf Pritzlow war. Als es zur Abreise gehen soll, sagt sie zu meiner Mutter: "Ich will Dir nun 1 Stunde vorgeben; 1 Stunde nach Euch komme ich und werde dann gleich Deine (101) Wirtschaft ganz genau revidieren, ob auch alles in richtiger Ordnung ist!" So wird es denn auch ausgeführt; nach er­folgter genauer Durchsuchung von Haus, Keller und Böden erklärt sie sich sehr zufrieden und sagt, daß sie nun nicht mehr re­vidieren brauche.-

Am Donnerstag, dem 24. Dez. 1807, vormittags 11 Uhr, ward den Eltern ihr drittes Kind geboren, wieder ein Knabe. Dieser, mein kleiner Bruder, ist merkwürdigerweise nie ins elterliche Haus gekommen. Die Mutter war vor der Niederkunft bei der großen Beschwerde, welche die starke französische Einquartierung machte - damals 13 Monate nacheinander Standquartier - zu Théremins auf den Klosterberg gezogen. Dort war keine Einquartierung, weil die Prediger (102) ja davon frei waren. Dort war das von Anfang an sehr schwächliche Kind geboren, getauft und starb auch dort. In der Taufe, am Sonnabend, den 23. Januar 1808, erhielt es die Namen: Franz Eduard; Paten waren: 1. Frau Amtsrat Karbe, geb. v. Bärensprung aus Blankenburg; 2. Frau Superintendent Hoffmann; 3. Herr Prediger Théremin; 4. Herr Karl Sänger. -

Am 29. Februar 1808, nachmittags 3 Uhr, starb der kleine Eduard (der "erste" Eduard ist er in der Familie Immer genannt worden) und ward am 3. März begraben. Auf diesen schmerzlichen Anfang des Jahres sollte eine schwere Zeit im letzten Vierteljahr desselben folgen.

Ende September oder Anfang Oktober 1808, ganz früh am Morgen, etwa um 2 Uhr, reist mein Vater mit seinem Kutscher Kleps in Begleitung des Hausfreundes Bischof ab, um den Strehlitzer Pfer­demarkt zu besuchen. Die Pferde gehen schon im Dorfe durch und etwa 100 Schritt nach dem Dorfe Blankenburg zu, damals der Bohm'sche Kossäthenhof, springt mein Vater vom Wagen und so unglücklich, daß das rechte Bein auf furchtbare Weise zerbrach. Die beiden Knochen des Unterschenkels waren etwa in der Mitte zwischen Knie und Fuß gebrochen und hatten Fleisch und Stumpf bis an den Stiefel durchstoßen. Der Vater, der da glaubt, daß Bischof und Kleps noch größeres Unglück haben werden, und fürch­tet, daß ihn die Ochsen, die frühmorgens aus diesem Dorfende ausgetrieben werden, finden und vielleicht stoßen könnten, kriecht nun den Berg hinauf, um vor (104) dem Bohm'schen Hause Leute wachzurufen. Aber ehe er soweit kommt, hat der Kutscher die Pferde wieder in seine Gewalt bekommen und kommt mit Bischof zurück; sie finden den Vater auf der Straße liegend und bringen ihn mit herbeigeholter Hülfe nach Hause. Die liebe Mutter war wohl vor der Gefahr sorglich und ängstlich, aber in der Not doch gefaßt und besonnen. Der Vater wird in dem Hause auf das große Sofa gelegt; die Blutung aus den beiden Wunden ist so stark, daß das Blut durch die dicke Sofamatratze hindurchdringt und eine große Lache unter dem Sofa bildet. Es wird nach Prenzlau geschickt, den sehr geschickten Arzt, Regiments-Chirurgus Spieker zu holen; er ist aber krank; statt seiner kommt der Kompanie-Chirurgus Friese, bringt die zerbrochenen Knochen (105) wieder zusammen und legt den ersten Verband an, und zwar in ganz gewöhnlicher Weise, sehr fest, ohne auf die Fleischwunde zu achten. Währenddessen liegt der Vater ruhig, ohne einen Schmerzenslaut da und liest in einem Buche. Die Art von Verband hat die Folge, daß der Knochenbruch zwar verhält­nismäßig schnell heilt, aber die Wunden nach einigen Wochen so schlimm werden, daß der kalte Brandt eingetreten zu sein scheint und der Kranke natürlich auch innerlich sehr leidend ist. Spieker, der auch gekommen, hält, um das Leben zu retten, die Abnahme des Beines für nötig. -

Was die arme Mutter dabei gelitten, läßt sich denken. Sie erzählte, wie sie ziem­lich noch immer die Fassung behauptet, als sie aber eines Tages (106) in den Garten gegangen sei, etwas frische Luft zu schöpfen, sei ihr der Schwager August nachgekommen, heftig weinend. Als sie das an dem sonst so ruhigen, fast kalten jungen Mann gesehen, sei sie auch zusammengebrochen. Doch die Geschwister faßten sich wieder und beschlossen, ohne es den Vater wissen zu lassen, aus Berlin noch ärztliche Hilfe zu holen. Der In­spektor Köbicke holt nun den berühmten Generalchirurgus Mursinna aus Berlin, der auch mit einem jungen Gehülfen, dem späteren Geh. Medicinalrat  Steinbrück kommt und gleich nach seiner Ankunft zum Vater geht, der auf einer eigens dazu gemachten langen und sehr breiten hölzernen Lagerbank und Matratze liegt, den kranken Fuß ohne allen (107) Verband und nur leicht zugedeckt. Der Vater weiß noch kaum was der Mann will, da reißt er das Tuch weg und stößt mit dem Finger durch die leicht zugeschelferte Wund und befühlt den Knochen. Das sei der größte Schmerz in der ganzen Leidenszeit gewesen, sagte der liebe Vater später. Dann aber sagt Mursinna:

"Warum sollen wir den Fuß abnehmen? Die Knochen sind ja zusammengeheilt!" Da hört der Vater zuerst, daß vom Abnehmen des kranken Gliedes die Rede gewesen, der Mutter Herz aber dankt Gott, der denn auch die angewandten Mittel segnete, so daß die Lebensge­fahr beseitigt wurde. Um Weihnachten konnte der Vater zuerst versuchen, mit Krücken etwas zu gehen, fiel aber am Weihnachts­abend damit (108) hin, doch ohne bedeutende schlimme Folgen. Doch hatte der selige Vater durch den Beinbruch außer den beiden großen Narben am rechten Schienbein einen etwas gerade im Schienbein nach vornhin gekrümmten und darum etwas verkürzten Fuß, so daß bei raschem Gehen fast etwas wie Hinken sich zeigte. Auch führte das lange Liegen ein Leberleiden beim Vater herbei, das 1809 mal besonders schlimm war, eine Zeitlang zu schwerer Krankheit führte und sich mehrere Jahre hinzog. Die Lagerbank des Vater während des Liegens am Beinbruch ist übrigens auf dem Boden, aber am Weihnachtsheiligabend ward sie heruntergeholt und für die Kinder darauf aufgebaut, weil sie für die Kleinen gerade (109) eine passende Höhe hatte.

Der Kleinen kamen ja auch dann noch eine ganze Zahl. Am Mittwoch, dem 25. Januar 1809 ward den lieben Eltern das vierte Kind, ein Knabe, geboren, der in der Taufe am 1. heiligen Ostertage, dem 2. April die Namen Franz Eduard Theodor erhielt und zu Paten hatte: 1. den Hauptmann von der Osten auf Blumberg, 2. Herrn von der Hagen auf Schmiedeberg, 3. Amtsrat Karbe zu Blankenburg, 4. Herrn Ludwig Karbe zu Weselitz (des vorigen Bruder), 5. Herr August Karbe, 6. Frau Justizaktuar Flist aus Prenzlau, 7. Demoiselle Henriette Théremin. Dieser - von uns Geschwistern später der zweite Eduard genannt - nahm erst ein fröhliches Gedeihen und war ein früh entwickeltes hübsches Kind. Ich habe noch ein liebliches Bildchen von (110) ihm. Doch ward auch er den Eltern früh wieder genommen. Wir Kinder be­kamen alle den Keuchhusten sehr schwer und langwierig, und der kleine Eduard starb daran am 17. Mai 1810; abends 11 Uhr und ward am 22. Mai begraben. Dieser Todesfall setzte die liebe Mutter in sehr große Betrübnis, im Anfang noch vermehrt durch die Sorge, daß zu seinem Tode das Verschlucken, ich weiß nicht was für eines kleinen metallenen Dinges könnte beigetragen haben, wie die liebe Mutter vermutete. Deshalb ward die kleine Leiche geöffnet, der Mutter schmerzliche Vermutung nicht bestätigt.

Die lieben Eltern sollten noch zum dritten Male solchen Schmerz erleben; das 5. Kind, das Gott ihnen schenkte, ward geboren Sonnabend, den 13. 0kt. 1810, nachmittags 3 Uhr und erhielt in der heiligen Taufe (111) am Sonntag, dem 14. Dez. die Namen: Karl Viktor Immanuel; die Namen Viktor Immanuel sollten, ich möchte sagen, eine prophetische - patriotische Bedeutung gaben. Paten waren: 1. Oberamtmann Peter Meyer zu Eldenburg, 2. Oberamtmann Hans Meyer zu Königshorst, 3. verwitwete Oberamtmann Meyer zu Eldenburg, 4. Herr August Karbe, 5. Frau Amtmann Karbe aus Sieversdorf, 6. Frau Amtsrätin Karbe, 7. Demoiselle Ulrike Sänger, 8. Herr Bischof. Der Kleine Karl war ein schwächliches Kind; es ward eine Amme nötig. Er starb an inneren Krämpfen am 7. März 1812, nachts 3 Uhr und ward am 9. d.M. bestattet. Den großen Schmerz der Eltern teilten wir, meine Schwester Ottilie und ich im 8. und 6. Jahre, wie ich mich erinnere, nun schon lebhaft. Der Mutter so tiefe Trauer (112) über des 2. Eduard Tod zu zerstreuen, hatten die Eltern mit Ottilien und mir schon im Sommer 1810 eine große Reise nach Holstein zur Großmutter und den andern Verwandten gemacht, auf welcher die treue Freundin Jettchen Théremin uns begleitete. Auch ein Kindermädchen ward mitgenommen, obgleich ich, das jüngste Kind nach dem Tode der beiden Eduards doch schon 4 Jahre alt war.

Dieses Kinder­mädchens Andenken verdient im Gedächtnis der ganzen Familie auf­bewahrt zu werden. Obwohl die teuren Eltern manchen treuen Dienst­boten hatten und ich manche nennen könnte, die lange Jahre bei uns im Dienste waren, die Mädchen meistens bis zur Heirat, so war diese Charlotte Klöns doch die Krone von allen. Sie war armer, frommer Webersleute Tochter, kam nach der Konfirmation in den Posten als Kükenmädchen und avancierte schnell, ich glaube 1807 zum Kindermädchen und blieb fast wie zur Familie gehörig, bis an ihr Lebensende. Ihre Treue, Fleiß und Brauchbarkeit in viel­facher Beziehung, besonders aber als Kindermädchen, als welche sie in der Mutter Erziehungsgrundsätze auf verständige Weise einging und dabei mit den Kindern auch fröhlich zu spielen und vorzusingen wußte, dann ihre Anhänglichkeit an unsere lieben Eltern waren seltener Art. Ich erinnere mich noch, wie sie unseren kleinen, etwa 1 1/2 jährigen August huckepack auf dem Rücken, in der Kinder­stube umhersprang und dabei sang: "Ein Postillion mit seinem Horn und ein Courier mit Stiefel und Sporn und einem kleinen Schnurrbart kam eilend von Paris!" (1814) (114) Und der kleine Courier jauchzte vor Entzücken und konnte des Entzückens kein Ende finden. Sie heiratete 1815 den mit ihr zugleich bei den Eltern in Dienst ge­kommenen Gärtner Samuel  Matthes, der erst beim seligen Vater, denn beim Bruder Hermann bis ans Lebensende im Dienst, auf dem Hofe wohnend, blieb, fast 40 Jahre. So blieb denn auch die treue Frau Mattes in nächster Beziehung zu der Familie und ward gar häufig zur Hülfe ins Haus und oft auch in Rat genommen. Als die liebe Mutter 1848 gestorben war, und ich Frau Matthes bald darauf besuchte, sagte sie: "Uem Mutter is mi dat nich so leed, de is bi Gott, aber uns' arm Voater, de nu ümmer so alleen umhergeit, de jammert mi; ick mütt ümmer weenen, wenn ick em so alleen goahn seh'!" Und als ich sie zum letztenmal sah, die Liebe meines Bruders Hermann hatte ihr nach dem Tode des alten Matthes auf dem Zehnebeck ein bequemes Altenteil bereitet, wo sie mit ihrer Auguste, die dort die Hauswirtschaft führte, zusammenlebte - hatte ich den vom seligen Vater ererbten Pelz an. Sowie sie den nach der Begrüßung erkannte, rief sie mit ihrer schwachen Stimme - sie war engbrüstig - : "Ach Großvater!" und drückte auf den Ärmel einen Kuß. - Dem alten Matthes hat mein Bruder Hermann und der guten Charlotte mein Bruder August an den Stätten ihrer Ruhe auf dem Gramzower Kirchhofe anerkennende Denkmäler, Kreuze aus Gußeisen setzen lassen.-

Ich komme nun zurück auf die Reise nach Holstein 1810. Des besonderen Zweckes wegen wurden nicht bloß Verwandte und Freunde, sondern auch etliche hübsche Gegenden des schönen mütterlichen Vaterlandes besucht; (116) ich erinnere mich noch, daß der damals sehr reizende Park des Gutes Aschberg am Plöner See besucht wurde, wo ich sehr unartig war und fast Schläge vom Vater erhalten hätte. In Wirklichkeit weiß ich nur Fälle, wo ich vom Vater Schläge bekommen habe, die aber gründlich waren. Von der Mutter gab es schon eher einen Klaps oder eine Ohrfeige. Dann ward auch eine Tour durch das schöne Angeln, die engere Geburtsprovinz unserer Mutter gemacht. Bei einem reichen Bauern Dietrich Jacobsen  in Südensee waren wir 1 Tag und 2 Nächte. Auf dem Rückwege ging es über Hamburg, das ja damals französisch war. Als wir ins Tor einpassierten, trat ein kaiser­licher Douanier (Steuerbeamter) hastig an die Kutsche und wollte Visitation nach, der Kontinentalsperre wegen halt verpönten, englischen Waren (117) anstellen. Meine Schwester war unterwegs erkrankt und ziemlich leidend, saß deshalb im Wagen vor der Mutter auf einer Fußbank, mit einem Tuch zugedeckt. Der Douanier will das Tuch wegreißen, da ruft die Mütter: "Ach, da sitzt mein krankes Kind!" Und gleich zurücktretend ruft jener: "Ein Kind, ein krankes Kind, wollte Gott, ich hätte ein Kind! "Wegen Ottiliens Krankheit mußte in Hamburg ein mehrtägiger Aufenthalt im Gasthaus genommen werden, ehe der hinzugezogene Arzt die Weiterreise erlaubte. Da an der Table d' hote kam zuerst die Kunde von dem Tode der Königin Luise, und die Eltern haben oft erzählt, wie da alle zufällig anwesenden Preußen so tief erschüttert worden, ja in Tränen ausgebrochen seien.

(118) Die Franzosenzeit drückte ja schon schwer auf dem Vaterlande, und auch unsere Eltern mußten den allgemeinen Druck mit empfinden. Die Abgaben waren fast unerschwinglich, dabei von 1807 bis 1809 und dann wieder 1812 sehr viel feindliche Einquartierung. Und waren die Franzosen im ganzen auch manierlich und höflich, so machten sie doch enorme Ansprüche. Das Pfd. Zucker kostete damals 1 Rth. und doch gaben sie den Pferden oft davon. Seltsame Gerichte mußten geliefert werden; z.B. oft Froschkeulen. Ein General führte eine Person, als wäre es eine Frau Generalin mit sich, und sie mußte mit ins Haus genommen werden; er selbst brauchte eine lange Badekur im Hause. Doch die Baiern waren die schlimmsten und der schlimmste von allen ein bairischer (119) Secondleutnant von den Chevauxlegers, Graf Törring, der in der österrei­chischen Armee schon Major gewesen, aber wegen  Extravaganzen kassiert worden war. Sein Premierleutnant, Baron von Hornstein war ein Universitätsfreund meines Vaters; er war aber seines Untergebenen nicht Herr, fürchtete sich vielmehr vor ihm und war froh, wenn Graf Törring einmal verreist war, weil er dann ungehindert mit dem Vater verkehren durfte und mit den Eltern essen durfte. Der wütende Törring forderte meinen Vater auf Pistolen, was der natürlich nicht annahm, und mißhandelte seine Leute, besonders aber seinen Bedienten, täglich. Einmal verfolgte er denselben mit gezogenem Säbel bis in die Kinderstube, so meine Mutter mit (120) den Kindern war. Mit den Franzosen ging es öfters viel besser. Einmal waren solche im langen Standquartier bei uns, mit denen sich ein freundliches Verhältnis bildete. Ein Oberst oder Capitän Dandal ward von den Eltern öfters genannt; er verkehrte sehr freund­lich mit uns Kindern, schenkte mir eine kurze, dicke Weinrebe als Stock (meinen "Nüppel" nannte ich ihn), suchte Deutsch zu lernen und hatte sich deutsche Redensarten aus einem Buche angeeignet, deren eine er einst sehr hübsch verwechselte. Gegen die eine Wirtschaftsmamsell, Hannchen Benecke war Dandal immer sehr freundlich, weil sie einer französischen Freundin von ihm sehr ähnlich sehe, und er nannte sie deshalb immer scherzend "Demoiselle Philippine". Als diese nun eines Tages zur schon an der (121) Mittagstafel sitzenden Tischgesellschaft kommt und sich hinsetzt, sagt er: "Schlafen Sie wohl, Mamsell Philippine“. Die Anwesenden können sich des Lachens nicht verwehren, und der Offizier fragt französisch unsern Vater, er habe wohl etwas Dummes gesagt. Auf die Erklärung was er gesagt, eröffnete er, er habe sagen wollen: "Ich wün­sche Ihnen, wohl zu speisen!" — Dieser französische Offizier war ein geschickter Zeichner und hatte mit einem Diamanten in der Fensterscheibe seines Logierzimmers "Diana, den Aktäon in einen Hirsch verwandelt und in einem Fenster im Saale einen anderen frz. Offizier, einen Hauptmann, der auch bei uns im Quartier lag,  mit seiner Braut eingezeichnet und auf der Scheibe darunter die jetzt noch zu lesenden Worte: (122)

"Je vous aime entout, Mademoiselle,

Vous étes plus belle que la fleur nouvelle,

et je promets de vous aimer comme la tourterelle"

Auf deutsch:

Ich liebe Euch im ganzen, mein Fräulein,

Ihr seid schöner als die neue Blume,

und ich verspreche, Euch zu lieben wie die Turteltaube.

In der Franzosenzeit war 2-mal Feuer im Gramzower Wohnhause; das erstemal von der Räucherkammer aus durch Kohlen herbeigeführt, die das Holzwerk und schon den Deckbalken über dem Korridor ins Schwelen und dann zu lichten Flammen gebracht. Es ward von den Haus- und Hofbewohnern noch gelöscht, wobei die eine Wirtschaftsmamsell - ein früheres Hannchen - sich auszeichnete, indem sie, die erste mitten in den Otterpfuhl (nicht "Oderpfuhl" wie dasteht) sprang und Wasser schöpfte. Das andere Mal war es ein bloßer Schornsteinbrand, den die frz. Einquartierung durch Gießen in den Schornstein oben vom Dache aus dämpfte. Beide Male machten (123) der armen Mutter großen Schrecken, um so mehr, als der Vater nicht zu Hause war. Das Jahr 1811 brachte außer den bewundernden Schauer, die der Komet erweckte, auch manche Angst durch eine Mordbrennerbande, die in der Uckermark und den andern Teilen der Mark hauste. Da ward des Abends oft der Komet angeschaut und manches Feuer in größerer oder näherer Ferne gesehen. -

Mit eine Führerin der Bande war ein Mädchen, die lange Lotte, die in demselben Jahre im Kruge zu Heinersdorf bei Schwedt mit dem größten Teil der Bande von dem Polizeiinspektor Ekkard aus Berlin und einem Husarendetachement unter einem Offizier gefangen und nebst einigen besonders gravierten Kompliezen in Berlin enthauptet und (124) dann verbrannt wurde. Ekkard hatte sich, um die Personen, die Schlupfwinkel und die Hehler der Bande recht kennen zu lernen, darin aufnehmen lassen und eine Zeitlang ihr Treiben mitgemacht.

Aus der Franzosenzeit habe ich noch ein bemerkenswertes Ereig­nis nachzuholen, das den seligen Vater begegnete. Von den in Stralsund gefangenen Schill'schen Kriegern traf 1809 eines Tages ein kleiner Transport ein, um dort mit neuem Vorspann weiter gebracht zu werden. Während der Umspannung und etwaigen Bewir­tung vor dem Rathause sammelt sich ein großer Haufe Menschen und ergrimmt darüber, daß die Gefangenen mit Stricken an die Leiterbäume gebunden waren, erregen sie einen Tumult, die Stricke werden zerschnitten (125) und die Gefangenen befreit. Gegen Abend desselben Tages wird mein Vater, ehe er von der Befreiung gehört, in den Garten gerufen, da wolle ihn jemand sprechen. Er findet 2 von den befreiten Schillianern, die ihm sich kundgeben (einer war ein Herr v. Alvensleben) die Geschichte ihrer Befreiung erzählen und um Rat bitten, wie sie weiter fliehen können. Sie waren hungrig und müde. Vater führte sie sogleich in die damalige Gartenstube, einem Raume am westlichen Giebel des Stallgebäudes, das ans Gerichtshaus stößt. Mit Einrichtung dieser Gartenstube hatte der Vater die Mutter in einem der früheren Sommer überrascht. Sie war gar (126) kühl; einfach aber freundlich eingerichtet. Dort werden sie zuerst eingeschlossen. Die liebe Mutter bereitet eiligst eine Erquickung für die Fremdlinge und bringt sie selbst hin, und als es dunkel geworden, werden sie unter Geleite eines sichern kundigen Führers nach Reiersdorf zum Oberförster Walter gebracht, durch die großen Waldungen, die damals nicht weit von Gramzow anfingen, und sich tief in den jetzigen Templiner Kreis und weiterhin erstreckten. Bis dahin sind sie glücklich gelangt; ob ganz vor Wiedergefangennehmung bewahrt, haben die Eltern nicht erfahren. Doch sind ihre Namen nicht unter den in Wesel und Braunschweig erschossenen Schillianern genannt worden. Noch habe ich zu erwähnen, daß mein Vater während (127) der bis 1812 dauernden Generalpacht sich genötigt sah, eine Zeitlang die Vorwerke Wendemark (und dies auf etwas längere Zeit) und Seelübbe das nachher als Erbpachtgut verkauft und jetzt Rittergut ist, in eigene Bewirtschaftung zu nehmen. Dies macht neue Sorgen und Kosten, doch mochte Wendemark namentlich nicht ohne Vorteil sein, weil im ganzen die landwirtschaftlichen Verhältnisse, Ernten und Preise nicht ganz schlecht waren.

Mehr Sorgen und Not bereitete Jahre hindurch der Ankauf des in Hinterpommern bei Gollnow geIegenen Rittergutes Speck das der Vater 1809 für 69000 Thl. von einem Herrn v. Hake kaufte. Dies war in Kultur des Ackers und in Gebäuden sehr heruntergekommen und hat (128) eine Reihe von Jahren hindurch dem seliger Vater viel Geld gekostet, es in die Höhe zu bringen, und auch oft in Sorgen wegen gekündigter Kapitalien gebracht. Und es ist kein geringer Beweis von des sel. Vaters Umsicht als Landwirt, und von der innern Kraft der Gramzower Wirtschaft, die ja schon seit Jahren, seit 1789 in tüchtiger Weise geführt worden, daß es ihm gelungen ist, nicht allein durch die Franzosen- und Kriegszeit hindurch, sondern auch durch die wegen unerhört niedriger Kornpreise (Weizen = 20 gGr) viel schwere­re Zeiten, die auf die Kriege bis tief in die  20er Jahre folgten, hindurchzukommen und nicht allein den Besitz des Gutes zu retten, während viele Gutsbesitzer, namentlich auch in Hinterpommern, verkaufen mußten, sondern dasselbe auch so in die (129) Höhe zu bringen, daß es zuletzt einen Jahres­ertrag von 6000 Thl. brachte nach Abzug, aber nicht der zu zahlenden Zinsen. Es wurde zuerst von dem schon genannten In­spektor Köbicke, dann vom Onkel Hermann Fabricius administratiert, dem letzteren eine Zeitlang in Pacht gegeben, dann aber wieder diesem und dem älteren Vetter Karl Pich gegen Gehalt und Tantieme in Administration gegeben. Der liebe Vater war als Landwirt geneigt, Verbesserungen einzuführen, und in vielen Stücken, glaube ich, ist die Gramzower Wirtschaft andern vorangegangen, wie in der Haltung und Zucht feiner Schafe, großer Brennereianlagen, besserer Butterbereitung, Rapsbau etc. Auf dem Territorium (130) von Speck wurden 2 neue Kolonien angelegt: Immental und Birkenwerder, und auf dem Gute Speck außer vielen neuen Wirtschaftsgebäuden ein ganz neues herr­schaftliches Wohnhaus gebaut, doch erst in den 30er Jahren. Die neue Pachtperiode von Gramzow ging von 1812 bis 1818 und von da kam dann die lange Periode von 27 Jahren bis 1845. Im Jahre 1812 gab es, als die große frz. Armee durch Preußen nach Rußland zog, wieder sehr viel starke Einquartierung, zuletzt auch Schweizer, die direkt aus Kalabrien kamen, bis Gramzow mit nur 2 Ruhetagen. Da hatten sie aber 14 Tage Stand­quartier, und es ward eine große Revue mehrerer Regimenter mit Kanonen angestellt, (131) wobei die Truppen bis dicht an den großen Gramzower Garten kamen. Auch war der Kornboden, der bekanntlich aus drei Böden besteht, ganz zu einem großen frz. Brotmagazin eingerichtet.

Als diese in Gramzow einquartierten Franzosen plötzlich Marschordre bekamen, hatten sie Befehle sich auf 14 Tage auch mit Fleischproviant zu versehen. Mein Vater hatte gerade 20 schöne, fette Ochsen, sie waren weiß, ich sehe sie noch, im Maststalle. Er selbst war nach Speck verreist. Der Obrist eröffnet meiner Mutter, er müsse, so ungern er es tue, die Ochsen alle mitnehmen. Meine Mutter sagt aber, im guten bekäme er sie nicht und läßt schnell den Maststall mit einem großen Vorlegeschloß verschließen, (132) damit die Gewalttat destomehr in die Augen springe. Nach langem Kapitu­lieren marschiert der Oberst mit dem Regiment ab, läßt aber ein kleines Detachment unter einem Sergeanten zurück, welche die Ochsen mitbringen sollten. Nun aber sammelt der Inspektor, ein junger, sehr tüchtiger Mann, Karl Thielecke, die Knechte und Drescher auf ihre Weise bewaffnet, und die paar Franzosen wagten die Gewalttat nicht, sondern verkrümelten sich allmählich. So hatten die Entschlossenheit meiner lieben Mutter dem Vater wohl 2000 Thl. gerettet, denn soviel mochten die Ochsen nach damaligen Preisen wohl wert sein. Im Spätherbst 1812 kam dann die Kunde vom Brande (133) Moskaus und dem jämmerlichen Rückzuge der "Grande armée", und nun fingen die großen Begebenheiten an, die für viele, auch für meines Vaters Seele sehr wichtig wurden, weil sie den Glauben an Gottes Walten und Regieren erweckten, was denn später zum positiven christlichen Glauben führte. Ein frz. General kam nach 1812 nach Gramzow, aberdemütig um Auf­nahme bittend. Ihm war schon in Rußland ein Bein zerschossen und noch nicht geheilt worden; er kam in einer Kutsche mit eig­nen Pferden und hatte noch einige wenige Mannschaft bei sich. In der Umgegend war er von einigen Pächtern oder Gutsbesitzern aus Franzosenhaß abgewiesen worden. Mein Vater ließ (134) sogleich durch mehrere Knechte den großen Sofa die Treppe herunterbringen; den schwer Leidenden darauf legen, ihn ins Haus tragen und ihn dann bestens verpflegen, wie auch seine Schar, die erfroren, zerlumpt und verhungert genug aussah. Am andern Morgen wollte er bei dankbarem Abschiede meinem Vater ein von ihm aufgesetzes Scriptum aufdringen, worin er bezeugte, welche Aufnahmen er bei dem Oberamtmann Karbe in Gramzow gefunden habe, und alle frz. Soldaten, die in sein Haus kommen würden, dringend auffordern, danach ihr Verhalten einzurichten. In einigen Monaten, sagte er, seien die Franzosen wieder da; ihr großer Kaiser werde sehr schnell seine alte Macht wiedergewinnen. Mein Vater solle also diesen Schutzbrief (135) ja annehmen.

So kam nun das Jähr 1813 heran und sollte, durch den patriotischen Umschwung unseres Vaterlandes vorbereitet, große Ereignisse für ganz Deutschland mit sich führen. Doch brachte es auch schon im ersten Monate große Familienfreude mit ins Haus. Meinen Eltern ward am Sonntag, den 17. Jan. 1813, nachmittags 4 Uhr, ihr 6. Kind der 5. Sohn, geboren, ein hübsches, kräftiges Kind, das in der heiligen Taufe am Donnerstag, dem 4.März - zufällig dem Tage, da die Kosaken in Berlin ein­rückten - die Namen: August Julius Ferdinand erhielt und zu Paten hatte: 1. den Amtsrat Karbe, 2. den Oberförster Schulz aus Gramzow, 3. den Prediger (136) Fritze aus Zichow[6], 4. Herrn Ferdinand Théremin, 5. Demoiselle Cusig Schwägerin des Oberförsters, 6. Demoiselle Mathilde Nerest aus Briest. Herr Ferdinand Théremin war damals in Gramzow, um von seinem Vater schnell konfirmiert zu werden, damit er als Jäger mit in den Kampf für König und Vaterland gehen könnte. Da er so sehr beliebt, auch schon 16 Jahre und nächsten konfir­miert werden sollte, so ward über das eigentlich nicht Gesetzliche des Patenstandes vor der Einsegnung hinweggesehen. Übrigens war dieser Freudentag der Geburt meines Bruders für mich und meine liebe Schwester Ottilie doch ein Tag, so die Tränen flossen. Wir waren mit unserm, eigentlich unsers Vaters Vetter Helmut v. Krause aus Pritzlow, einem Knaben von bald 9 Jahren (137) und damals Pensionär bei Théremins, in der Kinderstube, als die frohe Botschaft an uns kam, uns sei ein kleines Brüder­chen oder Schwesterchen geschenkt. Was es sei, ward nicht mitge­teilt, wir beide, Ottilie und ich, sprachen jedes seinen Wunsch für das eigene Geschlecht so lebhaft  aus, daß daraus ein Streit entstand, der unter Helmuts Anputschen zum Wrangen führte, wobei ich Ottilie unsanft auf die Erde warf. Sie weinte, und als nun die Nachricht kam, daß es ein Knabe sei, noch mehr, und ich weinte, über ihr Weinen. Sonst muß ich sagen, daß wir beide uns stets musterhaft vertragen haben, und außer diesem einem Falle wüßte ich nicht, daß wir beide uns ja nur ernstlich gezankt hätten, was freilich vielmehr Ottiliens Sanftmut und (138) Nachgiebigkeit zu verdanken war, als meiner Art und Weise. -

Zwischen Augusts Geburt und Taufe hatten nun die vaterländischen Ereignisse schon stark in unsere Kreise hinein sich spüren lassen.- Eines Nachmittags, ich denke im Februar, war ich im Unterricht beim alten Pastor Théremin mit den Pensionären  desselben. Da ließ sich ein Posthorn hören und Jettchen Théremin stürzte ins Schulzimmer: "Vater, die Brüder sind da, alle drei!" Es waren der zweite von den noch lebenden Théremin'schen Söhnen, Wilhelm, jetzt der teu­re hochverehrte Schwiegervater meines Bruders August; Ludwig später Hoffmanns Nachfolger im Pfarramte zu Gramzow[7], und der jüngste, Ferdinand. Alle kamen eiligst aus Berlin, um des Vaters Einwilligung zum freiwilligen Eintritt (139) ins Kriegsheer zu erbitten. Der Vater wollte es nur den beiden ältesten Söhnen gestatten, Ferdinand war noch zu jung, dazu noch nicht konfirmiert. Aber Ludwig ward zu großer Kurzsichtig­keit wegen ganz abgewiesen. Da bestand Ferdinand darauf, mitziehen zu dürfen, und der Vater willigte ein. Der Herr hat ihn sowie seinen ältesten Bruder auch am Leben erhalten; der letztere ist als Ritter des Eisernen Kreuzes heimgekehrt aus dem Feldzuge 1815.-

Vor Augusts Taufe kamen auch die ersten Kosaken nach Gramzow. Auf die Kunde: "Die Kosaken sind da!" entließ uns der gute alte Théremin seinem Unterrichte und wir bürsteten durch den Schnee ins Dorf, was wir konnten; vor dem Schulzen Mützelburg standen etwa 20 kleine magere Pferde, bei ihnen etliche bärtige Kosaken in langen Pelzen mit Knuten an den Sattelknöpfen. (140) Dies waren die Fouriere. Gegen Abend, als Ottilie, Helmut Krause und ich aus dem Unterricht vom Klosterberg kamen und in der Trift zur Schäferei waren, kam ein großer Schwarm angesprengt und erfüllte die Trift so, daß wir uns über den Zaun in die Wöhrde flüchteten. Oben an der Haustür im Hause stand ein Kosake als Posten mit gezogenem Säbel; Helmut gab ihm dreist die Hand mit den Worten: "Guten Tag, Kosak!" Ich aber war zu blöde dazund Von Offizieren erinnere ich mich nur des Generals oder Hetmanns, - es waren ein Pulk Donischer Kosaken, - eines großen und schlanken jungen Mannes, dessen Reiten uns auffiel; er stand kerzengerade im stärksten Jagen in den Reitbügeln. Beide hatten echte Kosakenuniformen dunkelblaue Jacken und Hosen, (141) zusammen in eins, mit breiten Gürtel und roten Vorstößen, eine Tracht, die nachher bei Knaben sehr in Gebrauch kam und für sie auch hübsch und passend war. Obwohl der Hetmann sich durch Hülfe eines polnischen Juden mit dem Vater unterhalten konnte, war er doch sehr zärtlich gegen ihn und küßte ihn einmal über das andere. Es ward auch alles getan, sie recht zufriedenzustellen. Die Mamsell, Dörtchen Berger, kam zur Mutter und klagte, der eine der gemeinen Kosaken verlangte etwas und auch mit Hölfe des Dolmetschers sei gar nicht herauszubringen, was er wolle. Da wagte es die liebe Mutter und ging mit allen Schlüsseln in den Souterain und führte den Kosaken in allen Räumen, wo Vorräte waren, umher; denn daß er etwas (142) zu essen forderte, hatte man gemerkt. Da im Keller No. 3 ward er eines Fasses mit eingemachtem Sauerkohl gewahr. Mit beiden Händen fuhr er hin­ein und stopfte Kohl in den Mund und sagte: "Dobri, dobri!" Nun wurden Schüsseln damit angefüllt, die Kosaken brockten eine Masse Hering hinein und gossen Branntwein darüber und ließen sich's sehr gut schmecken. Der Hetmann ließ auch einige Basch­kiren und Kirkisen ins Wohnzimmer zum Vater in ihrer Landes­tracht kommen, (die Kirkisen in voller Bewaffnung mit Bogen) und ließ sie Nationallieder singen, die freilich nicht sehr melodisch klangen. Auch die  Kosaken mußten musizieren und Lieder singen; kurz, die Freude und Freundschaft war groß.

Bald kam auch preußische Einquartierung, ein ostpreußisches (143) Bataillon; im Quartier bei uns war außer ander Offizieren niederen Grades der Oberstleutnant v. Siöholm, ein tapferer Mann, dessen Name auch rühmend in "Yorks Leben von Droysen" erwähnt wird, und der sich das Eiserne Kreuz erworben hat; aber seine Zuversicht daß Preußen und Rußland gegen Napoleons Kriegsgenie und immer noch sehr große Macht standhalten würden, war nicht sehr groß. Er sprach sich in einer Weise aus, daß der Eltern frohe Hoffnungen auf kurze Zeit deprimiert wurden. Bei diesem Bataillon war schon ein Detachment freiwilliger Jäger, in das unser Jäger und Bedienter Zimmermann freiwillig eintrat, von unserm Vater ausgerüstet. Der Vater rüstete auch den holsteini­schen (144) Vetter Karl Reiche aus, der in "Lützow'sche Freikorps" trat. Beide waren Ritter des Eisernen Kreuzes und kamen glücklich zurück. Reiche ward 1815 in einem der letzten Treffen hinter Paris leicht, doch bis zum Betäubtwerden verwundet; Zimmermann ist als Förster in Immental in Vaters Diensten gestorben. -

Wie das ganze Vaterland brachten auch die Eltern Opfer, selbst die Trauringe, für welche eiserne Ringe mit der Inschrift: "Gold gab ich für Eisen!" zurückgegeben wurden. Die liebe Mütter gab alles, was sie an Schmucksachen hatte, her, wie soviele damals. Der zweite Ökonom, Herr Woldenburg, ging als freiwilliger Jäger bei den “Königin-Dragonern" mit. Wenn nun Zeitungs-Extrablätter mit Siegesnachrichten kamen oder gar Briefe von Reiche, Zimmermann, Woldenberg auf dem Amte, oder von den Söhnen bei (145) Théremins oder Hoffmanns anlangten, wie wurden sie im ganzen Dorfe freudig mitgeteilt!

Wir Knaben spielten nun immer Soldat, hatten Ulanenlanzen mit schwarz-weißen Fahnen machen lassen und übten uns täglich in ihrem Gebrauch. Jeder Mann trug die schwarz-weiße Kikarde, und selbst wir Knaben blieben darin nicht zurück. Als die in Gramzow ausgehobenen Landwehrmänner in großen Trupps abmarschierten, zog das halbe Dorf nach, auch wir Kinder, gegen Güstow zu. Die Frauen schrieen sehr; es haben auch manche ihre Männer nie wiedergesehen. Aus Gramzow, damals 112 Feuerstellen, haben damals 19 Mann ihr Leben für König und Vaterland gelassen. Die Einschliessung und Belagerung von Stettin fing an; man (146) hörte öfters das Schießen, und die Kunde von der Not der Eingeschlossenen ging durchs Land. Einmal kam auch das Gerücht, die Franzosen seien aus Stettin ausgebrochen und zögen sengend und plündernd durch das Land. In Gramzow und Umgegend gab dies eine große Erregung der Landleute, deren ich mich selbst erinnere. Der liebe Vater war im Hochsommer 1813 nach Speck verreist. Da kam gleich nach dem Essen, Ottilie und ich saßen gerade am Tisch in der Wohnstube, und eine wunderliche alte Großtante, Tante Kienitz, Schwester der Großmutter Karbe, wollte uns Kartenhäuser bauen lehren als der Aktuarius Weiland eiligst hereinkam und der Mutter sagte, es sei ein Mensch da, der bringe Nachricht von Gefahr durch ein französisches Streifkorps, er (147) könne es aber nicht recht glauben. Wir stürzten hinaus. Da war vor dem Hause ein Mensch, triefend von Schweiß, der sagte, er komme von Melzow, in Steglitz seien die Franzosen schon gewesen, als er Melzow, durch den Schulzen abgeschickt, verlassen habe, und er habe es selbst brennen sehen. Die liebe Mutter blieb doch sehr gefaßt, besprach sich mit dem Aktuarius und Inspektor, schickte den Reitknecht den treuen Hans Böttcher, auf flinkem Pferde in die große Heide, so weit zu reiten, bis er der Feinde gewahr werde, und dann schnell umkehrend, Nachricht zu bringen. Die vielen gerade zum Sonnen in der Reitbahn liegenden Betten mußten schnell ins Haus gebracht werden, wobei wir Kinder und Tante Kienitz eifrig halfen; Mutter packte ein paar Waschkörbe voll Wäsche und Kleidungsstücke (148) und darunter das Silberzeug. Dann mußten 4 Pferde vor den großen, langen Holsteiner Wagen gelegt werden, wir wurden reisefertig angezogen, der Wagen wurde bepackt, der Knecht Gottfried Nöhl stand neben dem alten, großen gelben Sattel­pferde bereit, und sowie Nachricht käme, sollte Mutter mit uns nach Pommern über die Randow, in Blumberg bei Herrn v. d. Osten Zuflucht nehmen. Während dies alles geschah, läuteten die Sturmglocken in Gramzow und allen umliegenden Dörfern. Die Männer bewaff­neten sich so gut es ging. Gewehre gab es freilich wenig, aber Heu- und Mistgabeln spielten die Hauptrolle, und auch einige gerade geligte Sensen kamen vor. Der Schweinejunge, der nicht zurückbleiben wollte, nahm eine Wagenrunge. (149) So ging es unter Anführung des Oberförsters Schulz und des Dorfschul­zen  Mützelburg, die beide Soldat gewesen, durch die große Heide auf Melzow zu. Aus unseren Saalfenstern sahen wir einzelne Trupps von ländlich bewaffneten Männern querfeldein der Heide zueilen, wohl aus Lützlow. Nur Greise, Weiber und Kin­der blieben zu Hause. Aber Hans Böttcher ließ lange auf sich warten, und als er endlich kam, brachte er Nachricht, daß er bis dicht vor Melzow geritten sei und da weder Franzosen noch Feuer gesehen habe. Die ausgerittenen Landstürmer kehrten zu­rück; Röhl hatte längst schon wieder ausgespannt, und wir waren froh. Der Amtsrat aus Blankenburg, der da wußte, daß Vater ver­reist war, kam am späten Abend (150) noch angesprengt, die Mut­ter zu beruhigen, daß es keine Gefahr habe. Hoffentlich seien es einige ausgebrochene Kriegsgefangene, deren man aber gewiß längst habhaft geworden sei, oder es sei ganz und gar nur blinder Lärm gewesen. Als solches erwies es sich denn auch, war durch die ganze Mark und Pommern gegangen, und überall hatte sich der Landsturm bewaffnet erhoben. Es soll von oben her angestiftet worden sein, um namentlich das Landvolk zu prüfen, ob es nach dem Landsturmedikt auch tun würde. Nun ward der ganze Landsturm in ganzen Lande organisiert; ist aber hauptsächlich nur zu Gefangenen-Transporten gebraucht worden. Gefangene kamen auch bald; die durch Gramzow kommenden wurden mitleidig und reichlich bewirtet, besonders drei (151) Dänen die Mutter darunter entdeckte doch nicht mit so viel Osten­tation und Hallo, als die österreichischen Gefangenen von 1866. In Gramzow ward der Oberförster Major des Bataillons, Mützelburg ward Rittmeister der Kavallerie, wobei der Inspektor Thielecke Leutnant und der Gerichtsdiener Hagenow Wachtmeister war. Mein Vater war nur Flügelmann bei der Schwadron (20 Mann) was er der ihm erst angetragenen Stellung als Bataillonskommanndeur vorgezogen hatte, weil er das militärische Kommandieren nicht verstand. Er hatte sich aber vom Sattler einen sehr starken breiten Gürtel von gelbbraunen Leder machen lassen, woran der große Schleppsäbel angehängt wurde, und Vorrichtungen für 2 Pistolen (152) und 1 Dolch, sowie für 2 Munitionskästchen waren. Sonntagsnachmittags ward, uns Kindern zur größten Lust fleißig exerziert; doch Vater, der bald merkte, daß er als geübter Reiter mit gut eingerittenem Pferd, nicht mehr viel Übung nötig habe, nahm nicht Teil daran. Es fand auch hin und wieder eine gemeinsame Übung der Landsturms der be­nachbarten Ortschaften statt, wobei ich mich einiger Prediger erinnere, die, den Säbel an der Seite, als Kompagnieführer agierten.

Einmal, Anfang November 1813 war eine Zusammenziehung eines größeren Teiles des uckermärkischen Landstur­mes, wobei das Hauptquartier in Gramzow war. Der Kommandierende war ein alter Oberst a.D., nun der General genannt, (153) v. Eickstedt, der im höchsten Grade kurzsichtig war, sodaß er, vor dem Kamin stehend, diesen für ein Klavier hielt und meine Mutter fragte, wer dies Instrument spiele. Einen Landsturmmann, der in möglicht straffer Haltung Bericht erstattend vor ihn stand, kriegte er bei den Schulter, drehte ihn um und rief: "Kerl, will er mich gleich ordentlich ansehen!" Es fehlte nicht an Auftritten, die belacht wurden. Doch hatte auch diese Landsturmeinrichtung gezeigt, welch ein Sinn damals in Preußen war, und es sind auch in manchen Gegenden die Landsturmba­taillone aktiv gegen den Feind geworden, wie in der Priegnitz und Altmark. Diese Landsturmeinquartierung in Gramzow war zwar sehr zahlreich, (154) doch hatte sie den Be­fehl, möglichst viel Proviant selbst mitzubringen, und da gerade Martinizeit war, so brachten die meisten sich auch geschlachtete fette Gänse mit, deren manche Staunen erregte. Gramzow, als Domänenamt und großes Dorf, war vorzugsweise bei allen Einquartierungen für die Regiments­stäbe ausgesucht, wie denn auch die sogenannten Kantonrevisionen (militärische Aushebungen) für den ganzen Kreis bis ins dritte Jahrzehnt hinein in Gramzow abgehalten wurden, was der armen Mutter besonders viel Unbequemlich­keiten machte. Doch in den Jahren der frischesten patrio­tischen Erhebung ward das gern getragen, wie auch andere Leiden und Drangsale. Hierzu gehörte der große Mangel an Arbeitern, besonders für die Erntezeit. (155) Da mußten denn die stärksten Mädchen mit ans Mähen und Staken und auf den Taß auch manchmal wohl das Kindermädchen und Mamsells. In der Zeit des Waffenstillstandes stand Berliner Landwehr in Gramzow und Umgegend unter Major Pochhammer. Abends kamen die Sänger davon vor dem Amthause zusammen und sangen, voll Ausdruck in Ton und Miene, einen kleinen Trommelschläger in der Mitte, Kriegs- und Preußenlieder, z.B.:

"Für Vaterland und Ehre ergreifen wir die Wehre, 

für unser Hab' und Gut verspritzen wir das Blut.

Napoleon soll versinken, die Preußen sollen blinken, + (156)

das preuß’sche Reich besteh', es niemals untergeh'!"

Auch die schönen Körnerschen und Schenkendorf'schen und Arendt'schen Kriegslieder breiteten sich bald aus. Meine liebe Mut­ter, nur Natursängerin, und gar kein Instrument spielend, sang diese mit Begeisterung uns Kindern vor, wie sie uns sonst gern gesellige Lieder vorgesungen. Wie süß war es mir schon vorgekommen, wenn sie an der Wiege eines der kleinen Geschwister sang: "Schlaf' Herzenskindchen, mein Liebling bist Du!" u.s.w. Meine Mutter sammelte in einem kleinen Buche patriotische Gedichte, deren eines mir so beweglich gewesen, daß ich nicht umhin kann, einen Teil davon niederzuschreiben. Es war aus der Brieftasche eines gefallenen oder gefangenen (157) großherzoglich badischen Offiziers und fing an:

Furchtbare Zeit, wo keine Hoffnung leuchtet,

wo alles sinkt in der Verzweiflung Nacht, wo dunkler Schmerz

der Heldenauge feuchtet,

wo feurig golden Morgenrot erwacht.

Verlornes Volk, verworrnes irres Streben,

das blutig uns der Höllenmacht verband.

Nicht Ehre mehr, noch Liebe hat das Leben,

ein starrer Eid hält meine Kraft gebannt.

O, könntet ihr aus euren Gräbern steigen,

ihr teuren Kämpen jener wack'ren Zeit,

mit Todesgruß auch segnend zu mir steigen,

mich mit euch ziehn in eure Seligkeit.

Doch zürnend blickt ihr auf den Enkel nieder,

erkennt nicht mehr des alten Stammes Art,

es kehrt die lichte Heldenzeit nicht wieder, + (158)

die herrlich blinkend deutschen Glanz bewahrt.

Nur in des Nordlands ritterlichen Söhnen

flammt hell empor der alten Zeiten Glut;

aus ihr stammt meines Herzens tiefes Sehnen,

die Schuld zu löschen mit dem eignen Blut.

u.s.w.

Dies mochte der lieben Mutter besonders ins Herz gegriffen haben, weil ihr angestammter König Friedrich 4. von Däne­mark ja freilich durch Rußland, England und Schweden gezwun­gen, Napoleons Bundesgenosse war. Die Mutter empfand dies sehr schmerzlich. Des Kronprinzen von Schweden, Karl Johann, Gipsbild warf sie aus dem Fenster. Er hat es auch durch die Art, wie er im ganzen Kriege sich zeigte, verdient. Wußte doch meine liebe (159) Mutter, wie ihre alten Lands­leute für die deutsche Sache auch entflammt waren. Der Briefwechsel meiner Mutter mit ihrer Mutter und ihren Ge­schwistern in Schleswig-Holstein und Kopenhagen war durch den Krieg sehr erschwert. Die Briefe mußten den dänischen Behörden vorgelegt werden und wurden mit Königlichem Siegel zugemacht, wie ich solcher noch mehrere habe. Man konnte sich über Politik nicht offen (unterhalten) aussprechen. Doch wußten die Verwandten sich zu helfen. So schreibt ein Bruder meiner Mutter, damals Prediger in Husum schon im März 1813:

"Ich kann nicht umhin, liebe Schwester, Dir zuerst wegen der Nachrichten, die Du mir über den bekannten Prozeß mit­teilst, herzlich zu danken. (160) Daß Helm sich der Sache Anders so lebhaft annimmt, freut mich sehr. Ich hoffe, seine Unterstützung wird Andern die Sache noch erleichtern. Möge denn dieser die Sache auch in der letzten Instanz gewinnen, und mögen endlich die Ränke, die sein Gegner so lange geschmiedet, fruchtlos sein. Daß ihr selbst bei diesem famosen Prozeß noch so glücklich seid, aus dem Spiele zu bleiben, freut mich sehr. So manche Unannehmlichkeit habt Ihr ja schon darüber gehabt. Mich wundert, daß Du Dich nicht nach Deinem alten Freunde und Landsmann Friedrich erkundigt, für den Du doch sonst Dich interessierst. Ich kann Dir sagen, daß er sich ganz ruhig verhält, ruhiger als je. Mit seinen Finanzen steht es freilich nur schlecht, allein er hofft mit vielen anderen jetzt auf den Frieden, wird dann seinen Handel wieder anfangen, und (161) sich da­durch emporzuhelfen suchen".

Man sieht hier offenbar, daß der Onkel den Sieg Preußens und Rußlands (Helms und Anders, das heißt Wilhelm und Alex­ander) über Napoleon wünscht und bedauert und entschuldigt, daß Dänemark nicht mitkämpft. Es war eine schöne, große Zeit, die selbst auf Kinder von phlegmatischer Art, wie ich einer war, für die Lebenszeit erhebend wirkte. Mein lieber Vater hatte großen Segen davon. Gottes wunderbares Regieren ergriff seine Seele, er fing an, gerne Gottesdiensten beizu­wohnen und sich in seinen Betrachtungen mehr mit göttlichen (162) Dingen zu beschäftigen. Doch davon später mehr. Jetzt noch eine Geschichte, die Not der Zeit zu charakterisieren und mit ihr in Zusammenhang stand.

Mein Vater mußte nach Speck reisen; es ging zu Pferde auf einem russischem Schimmel, und ein Knecht sollte auch einen russischen Wagen (Kibitke) mit einer Menge kleiner leerer Branntweinfässer für den Speckschen Brenner Malbranc, und 2 jun­ge selbstgezogene Pferde, die für den Gramzower schweren Boden zu klein waren nach Speck bringen. Wegen der Belagerung Stettins mußte der Weg über Greifenhagen genommen werden. Am Morgen von Staffelde aus aufgebrochen, sollen Mensch, Pferde und Wagen über die Oder gesetzt werden. Aber der Schim­mel reißt sich 3-mal (163) hintereinander los, sobald die Fähre in Bewegung gesetzt worden, springt ins Wasser und schwimmt an Land. Der Vater mußte aber notwendig am Abend in Speck sein. Darum schickt er denn den Schimmel durch den Knecht über Schwedt, um den andern Tag nachzukommen, und der Vater setzt sich in die Kibitka auf eins der leeren Fäs­ser und fährt los über die Dörfer im Umkreis von Damm, das auch noch belagert wurde. Es wird , ehe die 7 bis 8 Meilen zurückgelegt sind, spätabends und sehr dunkel, Vater weiß den Weg nicht mehr, muß oft absteigen und gehen in der regne­rischen Nacht.-

Mögen die Enkel, die das lesen, durch alle Drangsale, die der Großvater erlebt hat, sich stählen lassen! Es war dies freilich nur ein Hauch gegen die Schwere (164) der finanziellen Bedrängnisse, die in der Franzosenzeit und dann in der wohlfeilen Zeit im Anfang der 20 er Jahre einge­treten waren, wenn kein Geld war, die Abgaben oder das Tage­lohn zu zahlen, und zu letzterem die Milchkasse der Mutter, sonst für den innern Haushalt überwiesen, genommen werden mußte, und jene der Executor abholte, oder gar, wie es einigemal geschah, der arme  Vater verreiste, um dem Executor oder einem anderen dringenden Gläubiger aus dem Wege zu gehen. Wie schwer für ihn und fast noch schlimmer für die liebe Mutter! Es ward mit der größten Sparsamkeit gewirtschaftet in Nahrung und Kleidung; Semmeln z.B. gab es nur Sonntags für die ganze Haushaltung für 4 gGr. -

Der Herr hat durchgeholfen und den lieben El­tern zuletzt noch Jahre geschenkt, in denen (165) sie sich einer gewissen Reichlichkeit erfreuen konnten; und ihres Lebens letztes  Jahrzehnt hatte wieder etwas von dem Glanze der väterlichen Jugendzeit, nur unendlich verschönt durch das, was sie vorher so nicht gekannt, durch Gottes teures Wort. Nun aber bin ich auf Seite 100 der Urschrift dieser Ausarbei­tung angelangt und mehr hatte ich mir überhaupt nicht gesetzt. Ich muß mich fortan kurz fassen und vielerlei beiseite liegen lassen, was ich gern noch erzählte. Darum kann ich nicht mehr erzählen des Vaters Beiwohnung bei der Übergabe von Stettin, das Umwerfen der großen Kutsche zwischen Gollnow und Speck, von "Louis le Grand" und den beiden kleinen Matthieus und den Volgiteur, französischen Kriegsgefangenen in Gramzow und Speck, nicht schildern, wie es war, als Weiland mit (166) dem Extrablatt kam: "Die Preußen in Paris!", muß schweigen von der Friedenfeier am 1816 in der Kirche und in den Häusern von der Zusammenkunft Vaters mit seinen Geschwistern allen in Königshorst Ostern 1816 und der Reise des Vaters nach Speck mit den 3 Knaben August, Herrman und Julius, wo es war, als es in Stettin von der Schildwache auf dem Walle Hiebe gesetzt, auch von dem alten Rotschimmel, Vaters bestem Reitpferd, der nach langem, treuem Dienste vor seinen Augen von der Brücke in den Neustädter Kanal, (Finow-Kanal) fiel. Also nur noch die wichtigsten Ereignisse kurz erwähnt! -

Am Mittwoch, dem 24. Mai 1815, nachmittags 2 Uhr ward das 7. Kind meiner Eltern geboren, ein Knabe, in der Familie später als Kind oft "Meister (167) Freundlich", in der heiligen Taufe am Sonntag, dem 16. Juli, aber Wilhelm August Hermann Lebrecht (zu Ehren Blüchers) genannt Paten waren: 1. Amtsrat Karbe, 2. Rittergutsbesitzer Karbe auf Staffelde, 3. Herr von Schkopp, 4. Pastor Théremin, 6. Hoffiscal Stabbert und 6. Justizamtmann Taats, beide aus Prenzlau, 7. Amtmann Fabricius von Speck 8. Demoiselles Amalie Hoffmann, 9. Wilhelmine Nernst, 10.  Charlotte Théremin, 11. Karoline Herz, aus Israel entsprossen, aber getauft.

Am Dienstag, dem 24. Sept. 1816 nachmittags, ward das 8. Kind, der 7. Sohn meiner Eltern von 1806 - 1816, geboren und in der heiligen Taufe am Montag, dem 11. November Bernhard August Julius genannt. Paten waren: 1. Herr Karbe auf Staffelde, (168) 2. Amtsrat Karbe, 3. Herr v. Schkopp aus Polßen, 4. Pastor Nernst[8] aus Briest, 5. Pastor Fritze aus Zichow, 6. Aktuarius Weiland, 8. Demoiselle Friederike Schulz, Schwester des Oberförster, 9. Demoiselle Christiane Théremin, 10. Demoiselle Linchen  Herz, 11. Demoiselle Emilie Zieseler aus Zichow. -

Meiner Mutter Gesundheit hatte sehr abgenommen, und sie litt sehr an nervösen Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, was jahrelang fortdauerte. Im Jahre 1816 verlor mein Vater seine Schwester Albertine, verheiratet an den damaligen Oberamt­mann, nachherigen Amtsrat H. Meyer zu Königshorst. Dieser Todesfall betrübte meine Eltern aufs tiefste, um so mehr, da er so plötzlich eintrat und die Verstorbene 5 Kinder hin­terließ, deren ältestes erst etwa 8 Jahre alt war. (169) Als meine Mutter mit meiner ältesten Schwester und mir 5 Jahre später in Könighorst war, weinte sie noch bitterlich am Grabe der heimgegangen Schwägerin. Mein Vater war wegen Unwohlseins von der Reise zurückgetreten.-

Das Jahr 1817, finanziell durch hohe Kornpreise ein günstiges Jahr, aber für lange Zeit das letzte, brachte manche für die Eltern wichtige Ereignisse. Ihr ältestes Kind ward aus dem Hause gegeben nach Berlin in die Luisen-Stiftung. Dies ist eine Pensionsanstalt für die Töchter gebildeter Eltern zum Andenken an die vielgeliebte Königin Luise von wohl­gesinnten Männern Berlins gegründet, um in den Familien des höheren Bürgerstandes den Sinn für häusliches Leben zu (170) pflegen und zu fördern. Es war bezeichnend für die Gesinnung der Eltern, daß sie diese Anstalt erwählten, und nicht darauf sahen, wo die feinste "Tournure" beigebracht wurde. Im Okt. 1817 ward meine Schwester in die Stiftung gebracht zu der das Palais der verstorbenen Prinzessin Amalie, jetzt Palais des Prinzen Albrecht, zum Teil eingeräumt worden war. Bei Gelegenheit dieser Reise ward das 300-jährige Jubel­fest der Reformation in Berlin mitgefeiert; es war diese Zeit gewählt, um den Hofprediger Théremin, der am 2. Festtage predigte, zu hören. Dieser teure Mann gewann auf mein elterliches Haus, auf meine Eltern und Kinder, auf diese teils direkt durch den Konfirmationsunterricht - Otilie (171), ich (Adolf) und August sind 1821, 23 und 29 von ihm eingesegnet -, teils indirekt durch die Eltern einen sehr großen Einfluß; er gab unserer Familie, ohne daß etwa ein sehr naher persönlicher Verkehr durch  Briefwechsel oder Besuch stattgefunden hätte, die innerliche Richtung auf die Ewigkeit, so daß wir im Laufe der Jahre eine "pietistische" Familie wurden, wie man’s damals hieß, ein Wort, das zwar auch einen üblen Nebenbegriff in sich schließt, doch von der Welt und ihren Kinder gebraucht, nichts anderes sagen wollte, als daß man zu viel auf die Bibel und aufs Beten und zu wenig von weltlichen Vergnügungen hielte. Diesen innern Lebensgang in der Seele meines teuren seligen Vaters hat freilich noch manches andere gefördert, die großen vaterländischen Zeitereignisse, dann die weitere christliche Lebensentwicklung im ganzen Vater­lande, die daraus  hervorgehen, die Kämpfe zwischen Licht und Finsternis, auch manche Bücher, namentlich Predigten, wie z.B. die vom seligen Dr. Kniewel, auch mein Theologiestudieren, ferner gar sehr auch die innige Verbindung mit einem jüngeren Mann, dem seligen August Sybel, der, eine Reihe von Jahren hindurch der Leiter meiner Brüder, erst Lehrer an der Real­schule in Berlin, dann in Potsdam war und 1838 als Prediger in Luckenwalde gestorben ist, sind von Einfluß gewesen. Es ging dieser innere Lebensgang des sel. Vaters, wie ja das Christenleben überhaupt, durch Kampf, Niederlage und Sieg, Zweifel und Glaubenserhebung, Stehen und Fallen und Auferstehen, führte aber durch Gottes Gnade (173) zuletzt zur herrlichen Einfalt in Christo. Der Vater hatte neben vieler Ruhe - Zorn und Auf­brausen war ihm fremd - ein weiches, leicht erregbares Gefühl dabei ein dogmatisches oder philosophisches Interesse, Neigung zum Speculieren über höhere Dinge, wie keiner seiner Söhne, wenn ich etwa meinen Bruder August ausnehme. Da waren denn nach dem Anfang der neuen Lebensrichtung viel aufsteigende Zweifel zu überwinden, aber Gottes Gnade führte hindurch zum schönen Ziel. -

Eine Reihe von Jahren hindurch von 1817 an machten meine lieben Eltern nun jährlich Reisen nach Berlin, um dort Théremin zu hören und bei ihm zu kommunicieren, was vermöge der Union zwischen der lutherischen und reformierten Kirche in Preußen seit 1817 gestattet war. Mein Vater freute sich, wenn er (174) bei Geschäftsreisen einen Sonntag traf, an dem Théremin predigte. Die gedruckten Predigten desselben, durch Innigkeit des Glaubens und meisterhafte Form gleich ausgezeichnet, wur­den von den Eltern lange Zeit vorzugsweise gelesen.-

Ich kehre zurück zum Herbst 1817. Bei dem Aufenthalte in Berlin kaufte mein Vater ein besonders wertvolles Pferd für das kleine Gestüt, das er damal angelegt, den Fuchshengst (Foxhunter) und gab dafür einen anderen jüngeren Fuchshengst, 4 schwarze, aber schon alte Kutschpferde und 20 Friedrichdors, so daß er sich das Pferd 800 Rth. rechnete, für damals ein nicht geringer Preis. Das Leben im Hause gewann eine etwas andere Gestalt, indem von da an Hauslehrer eintreten, die fast immer 11 Jahre hindurch darin lebten. Mein erster Lehrer Kroll, ein Philologe, (175) besonders aber Mathematiker war, als 1813 ganz Prima und Sekunda des Prenzlauer Gymnasiums und die beiden ersten Lehrer desselben mit in den Krieg zogen, wegen sehr großer Kurzsichtigkeit abgewiesen worden und hatte dann selbst schon in Mathematik in Tertia und Quarta unterrich­ten müssen. Im Winter 1817 trat noch ein für meinen Vater und die Seinen verhängnisvolles Ereignis ein.

Am 13. Dez., abends, brannten die Wirtschaftsgebäude des Gutshofes von Zichow ab; mein Vater, dort hingeeilt, stand in leichten Stiefeln mehrere Stunden lang in Schnee und Wasser und erkältete sich so stark, daß auf dem Flecke starke Schmer­zen eintraten, und als er im Hause des Predigers Fritze sich mit großer Mühe (176) den einen Stiefel ausgezogen hatte, war der Fuß so stark angeschwollen, daß der Stiefel nicht mehr auf den Fuß zu bringen war und der Vater im geliehenen Fußsack nach Hause fahren mußte . Es erfolgte ein mehrmonatiges Krankenlager an der Gicht, die aus einem Bein in das andere und dann auch in die Gelenke der Arme zog. An dieser "reisenden" Gicht hat nun der sel. Vater viele Jahre zu leiden gehabt, oft mit großen Schmerzen; hin und wieder kamen auch lebensge­fährliche Anfälle, wenn das Gichtleiden innere Teile ergriff. Öfters mußten die Krücken, vom Beinbruch her noch vorhanden, oder eine davon in Gebrauch genommen werden; später ward ein Rollstuhl gebraucht. Manchmal war er ganz hilflos an Händen und Füßen. (177) Der liebe Vater hat gegen dies Übel viele Mittel gebraucht, in böhmischen Kurorten und in Berlin gebadet, Brunnen getrunken, Schwefelbäder und russische Bilder gebraucht, doch hat es ihn durchs ganze Leben geleitet, aber im letzten Jahr­zehnt war es doch gelinder . Die Anfälle kamen immer in Zwischen­räumen, waren oft kürzer, nur selten monatelang andauernd. Indes führte dies Übel doch viele Störungen in den Berufsarbei­ten mit sich, auch hat der liebe Vater manchem wichtigen und frohen Familienereignis wegen Gichtanfälle nicht beiwohnen können, wie der Einsegnung meiner Schwester Ottilie, meiner und, irre ich mich nicht, auch meines Bruders Augusts Hochzeit. Zum Heile hat es ihm aber auch gedient; Leiden (178) und Trübsal führen ja tiefer in Gottes Wort.

Auch die liebe Mutter nahm der Herr in die Kreuzschule körperlichen Leidens. Nervöse Kopfschmer­zen und Schlaflosigkeit nahmen überhand, daß sie 1818 eine Badekur in Husum in Schleswig gebrauchte. Sie konnte im Hause ihres Bruders, des Pastors Fabricius, dem die Großmutter die Wirtschaft führte, wohnen und deshalb auch die 3 jüngsten Kinder mit Kinderfrau bei sich haben. Und so war es eine Zeit vieler Freude und leiblicher Stärkung. Der liebe Vater reiste mit Ottilien und mir zur Abholung nach, und wir durchreisten im halbverdeckten Wagen mit 4 schönen hellbraunen Pferden einen großen Teil von Schleswig und Holstein, da wir die Verwand­ten und Freunde in Hohenfelde (Hinks), Kiel (Lorentzen), Rendsburg (Esmarch), Husum, Tondern (179) (Deckers), und Itzehoe (0nkel Heinrich Fabricius und Großtante Johannsen) besuchten, eine schöne Reise, deren ich noch heute Tag für Tag erzählen kann. -

Im Jahre 1818 trat mein Vater in eine neue Pachtperiode ein, die 27 Jahre bis 1845 dauerte.

Das Areal war schon und ward noch beträchtlich größer durch Zuführung eines Teiles der kleinen Heide beim Vorwerk Zehnebeck, sowie später durch einen Teil des von der großen Heide abgeholzten Landes, woraus das Vorwerk Koboltenhof gebildet wurde. Die ersten 8-10 Jahre dieser langen Pachtperiode waren sehr schwer für die lieben Eltern; der enorm billige Preis für Getreide, dann auch schlechte Ernten, welche wohl die Folge der völligen Umgestaltung der Wirtschaftsart - Übergang der Dreifelder- in die (180) Schlagwirtschaft - waren, eine lang­andauernde Rindviehseuche, die 1823 fast den gesamten Rindvieh­bestand, sowohl Nutz- als auch Zug- und Mastvieh, wegnahm, waren davon die Ursache. Die guten Eltern hatten aber dabei das Bewußtsein, daß alle Verlegenheiten, die durch Pachtreste und gekündigte Kapitalien eintraten, nicht durch Luxus und Genußsucht, sondern durch Verhältnisse herbeigeführt waren. Daher tat sich wohl Traurigkeit - beim Vater eigentlich auch nicht - kund. Sie trugen die Leiden der Zeit mit Geduld. Michaelis 1819 verließ ich das schöne Elternhaus und kam nach Prenzlau aufs Gymnasium; 1821 nach Berlin aufs Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Das Jahr 1819 brachte ins Elternhaus eine Hauptbegebenheit. Es war erst eine Tochter (181), dann 7 Söhne geboren worden; ein Töchterlein ward sehr ersehnt. Diese gewünschte Tochter wurde am 16. August 1819, 8 Uhr früh geboren und erhielt in der heiligen Taufe am Sonntag dem 29. August 1819 die Namen: Lucie Albertine Marie Auguste. 1. Frau Hofprediger Théremin aus Berlin, 2. Pastor Fritze aus Zichow, 3. Demoiselle Henriette Théremin, 4.Oberförster von Kobelinski aus Gramzow, 5. Kaufmann Ernst Hoffmann. -

Die Freude der Eltern und Geschwister war sehr groß; der Mutter Be­finden nicht ungünstig. Die alte Kinderfrau, die Witwe eines längst verstorbenen Kutschers, Frau Schilling, (eigentlich: Gelin) trat in Dienst für diese jüngste Schwester und ward im Hause eine gern gesehene, hin und wieder auch gefürchtete Person. Weil meine Schwester, als sie sprechen konnte, die ei­gene (182) Mutter "Mutter" nennend, der Kinderfrau den Namen "Mama" gab, ward die alte Frau, die bis zu ihrem Tode 1830 im Hause blieb, auch von uns allen, selbst von meinen Eltern "Mama" genannt. - So vorzüglich wie die Charlotte Klöns, nach­herige Frau Matthes, war sie nicht, obwohl eine treue Person. Während meine Mutter noch nicht das Zimmer verlassen durfte, in der zweiten Hälfte des Sept. 1819, brach in der Nacht in der Brennerei auf dem Boden, wo die Malzdarre stand, Feuer aus, das zum Glück noch rechtzeitig entdeckt, nur kurze Zeit sehr gefährlich schien, da das Feuer schon hell aus einer Luke brennend, von dem Giebel des mit Rohr gedeckten Stall- und Scheunengebäudes gar nicht weit entfernt war. Es ward aber mit aus dem Keller auf den Boden gepumpter Branntweinmaschine (183) bald gelöscht. Eine besondere göttliche Gnade war es, daß die liebe Mütter von dem Rufen, Laufen und Fahren nichts hörte, sondern ruhig schlief, bis am Morgen die abgewandte Gefahr mitgeteilt werden konnte. Im Frühjahr 1819 ließ mein Vater den Zwischenbau zwischen Wohn- und Gerichtshause aufführen auf seine Kosten, um eine ruhige, abgelegene Schlafstube zu gewinnen, der armen Mütter bessern Schlaf zu verschaffen. Sie hat das auch stets sehr dankbar anerkannt und der ruhigeren Schlafstube sowie freilich auch dem Gebrauche des Seebades in Putbus die bessere Gesundheit der späteren Jahre zugeschrieben. Der liebe Vater ließ sich unten in diesem Zwischenbau ein eigenes kleines Badekabinet bauen, worin er (184) viel Schwefelbäder seiner Gicht wegen gebraucht hat.-

Am heiligen Abend vor Weihnachten starb nach langem Leiden der vieljährige, treue Hausfreund, der Aktuarius Weiland, herzlich betrauert von den lieben Eltern. Er war schon zu der Zeit, als Sängers das Amt Gramzow vom Großvater in Pacht hatten, Aktuarius gewesen und stand der Fa­milie persönlich viel näher als spätere Aktuare, wie er denn ein ganz besonderer Freund von uns Kindern war, am meisten von August; er war es, der zum Heiligen Abend mit großem Eifer den Christbaum aufputzte. Er hatte ursprünglich studiert, war dann aber, wahrscheinlich des Examens wegen, in die Aktuariats-Stellung eingetreten. Die Nachfolger, die mein Vater nahm, - denn der Aktuarius war in Diensten des Domänenbeamten und mußte von ihm, der ja selber königl. Gehalt, ich glaube 700-800 Thl. empfing, besoldet werden - (185) traten nicht in so nahes Verhältnis zur Familie, obwohl der Nachfolger Weilands, Herr Kollas vom Vater auch viel in Privatgeschäften gebraucht wurde, und dessen Nachfolger, Latrille, wieder durch seine entschie­den christliche Gesinnung den Eltern innerlich nahestand. -

Anfang Mai 1821 kehrte meine Schwester Ottilie aus der Pen­sion zurück, nachdem sie in Berlin vom Hofprediger Théremin konfirmiert worden war. Die liebe Mutter ließ sie nun gleich in der Haushaltung tüchtig mitarbeiten; sie mußte morgens um 4 Uhr oder früher aufstehen, die Milchwirtschaft zu besorgen, und es war der Mutter ganzes Bestreben, sie zu einer tüchtigen Hausfrau auszubilden. Daß sie nun in die "Gesellschaft" eingeführt werden müsse, Bälle besuchen, um ja bald einen Mann abzukriegen, daran wurde gar nicht gedacht. (186) Und wie bald hatte sie einen, und zwar einen sehr guten und trefflichen. Schon im Mai 1822 verlobte sie sich nach er­langter Einwilligung der Eltern mit dem Oberamtmann und Schuldomänenpächter Wilhelm Gründler[9] zu Seehausen, später Amtsrat und Ritter des Roten Adlerordens, jetzt nach aufgege­bener Pachtung in Buckow bei Neustadt E/W in wohlverdienter Ruhe lebend. Freilich war ja nun die Zeit ausserordentlich schnell herangenaht, in der die liebe Älteste ganz aus dem Hause scheiden sollte; sie mußte während des Brautstandes eine Zeitlang aus dem Hause, um, ehe sie an die Spitze eines eigenen Haushaltes träte, noch recht in einer anderen Wirtschaft die Strenge des Dienstes zu erlernen. Deshalb war sie während einiger Monate, ich glaube, fast 1/2 Jahr lang, in die Wirtschaft der alten, sehr tüchtigen Amtsrätin Sänger (187) in Löcknitz um von derselben und ihrer Tochter Ulrike weitere Leitung zu empfangen. Im Sommer 1823 machte die liebe Mutter mit Ottilien, als 18-jährige Braut, eine Reise nach Holstein zu den Verwandten und brachten die ehrwürdige Großmutter Fabricius mit nach Hause; der Mutter zur großen Freude konnte diese 1 ganzes Jahr bei ihr bleiben. Am Geburtstage des Vaters und der Großmutter Fabricius, den 29. Sept. 1823 geschah die eheliche Trauung durch den Bruder meines Schwagers, Prediger Ernst Gründler[10] zu Nahausen. Die Nähe von Seehausen, nur eine Meile von Gramzow, begünstigte einen sehr lebendigen Verkehr beider Häuser, fast wöchent­lich konnte man zusammensein, alle Freude miteinander teilen, alle Trübsal miteinander tragen; so wuchsen beide Häuser je länger, desto inniger zusammen. (188) Ein Jahr nach der Hochzeit der Tochter ward den lieben Eltern die erste En­kelin, und zwar im eigenen Hause zu Gramzow geboren, die nun schon mit den Großeltern beim Herrn selig vereinte Auguste. Die reiche Zahl von Enkeln (3) und Enkelinnen (5), die den lieben Eltern in Seehausen geboren wurden, deren fröhliches Gedeihen und Entwicklung, brachte ihnen viele Freude. -

Einen sehr freudig bewegten Tag brachte das Jahr 1826 meinen Eltern sowohl, wie dem ganzen Dorfe Gramzow, als am 2. heiligen Christtage, das 50-jährige Amtsjubiläum des trefflichen, ehrwürdigen Predigers Théremin in der Kirche und dem Théremin'schen Hause kirchlich u festlich begangen wurde. Freilich nahmen von da an die Kräfte des teuren Greises schnell ab, und er starb im 86. Lebensjahr im Sept. 1827. In demselben Jahr 1827 ward der Gatte der einzigen (189) Schwester meiner Mutter, Jakob Decker, von seinem Amt am Seminar zu Tondern als Pastor nach Reinfeld bei Oldesloe in Holstein versetzte. Die Großmutter Fabricius zog mit dahin, und so machte meine liebe Mutter von 1827 an 4 Jahre hintereinander alljährlich eine Besucher­reise zu der Mutter und den Geschwistern nach dem lieblichen Reinfeld. In den beiden letzten Lebensjahren der Großmutter trat die Cholera hindernd dazwischen. Zu diesen Reisen ersparte sie sich vom Milchgelde die Kosten und machte sie dann mit eigenem Gespann und in Begleitung ihres Bruders Hermann oder eines jüngeren Familienmitgliedes für die geringe Summe von etwa 30 Thl., wobei sie dann immer etwa 16 Tage auf die ganze Reise verwandte. - Michaelis 1826 ward mein Bruder August aus dem Vaterhause aufs Friedrich-Wilhelm-Gymnasium nach Berlin gebracht, und dies ward die Ursache zur näheren Verbin­dung mit dem trefflichen schon genannten jungen Theologen Sybel. Mein Bruder wohnte bis 1828 mit mir zusammen und stand unter meiner näheren Leitung, da ich seit Ostern 1825 in Berlin Theologie studierte. Da ich Ostern 1828 nach Kiel ging, meine Studien dort fortzusetzen, schlug ich meinem Schul- und Universitätsfreund Sybel vor, meinen Platz bei meinem Bruder zu übernehmen. Derselbe nahm dies an, ward Lehrer an der Realschule und hatte dann von Michaelis 1828 an auch meine beiden jüngsten Brüder unter seiner Obhut. Diese letzteren folgten ihm, als er Ostern 1831 eine Anstellung in Potsdam erhielt, auch dorthin, und auch meine Schwester Lucie ward (191) ihm, da er deren Erzieherin Bertha, geb. Kistenmacher, zur Ehe nahm, in Pension gegeben. So kam Sybel häufig nach Gramzow, die Eltern besonders der Vater auch häufig zu ihm, und als in Sybel sich ein sehr inniges und in der Liebe tätiges und kräftiges Glaubens­leben entwickelte, gereichte dies meinen Eltern, mir und meinen Geschwistern zum großen Segen. Leider starb er schon im Dez. 1835 als Diakonus in Luckenwalde. Meine Mutter erkrankte einige Tage vor der ehelichen Verbindung Sybels mit seiner Braut, die Ostern 1831 im Hause meiner Eltern gefeiert wurde, sehr heftig an der Lungenentzündung und behielt von da an Neigung zu ent­zündlichen Affektionen der Lunge. Sie pflegte sich wohl wenn sie Stiche fühlte, gleich Zugpflaster von spanischen Fliegen zu legen. Dies kam nicht ganz (192) selten, ward auch einige Male ziemlich schlimm, doch nicht so sehr, wie das erstemal. Im übrigen ward meiner Mutter Gesundheit besser wie in jün­geren Jahren, sie konnte sehr rüstig wirtschaften, wie sie denn immer gern selbst mit angriff und früher klein und schmächtig wurde sie mit späteren Jähren etwas stärker und hatte selbst etwas Embonpoint. -

Meinen lieben Vater traf in der Erntezeit 1832 ein Unfall, der durch Gottes Schutz noch leicht genug ablief, aber recht schlimm hätte werden können. Schon 1 Jahr vorher war er zugleich mit meinem Bruder August ziemlich heftig vom Pferde geworfen worden, ohne jedoch Schaden zu nehmen. In der Erntezeit 1832 aber fiel der alte, große, schwere Herr (von seinen Söhnen und Enkeln ist nur Paul größer geworden), (193) indem er neben dem Inspektor Weinmann auf dem Felde zu Pferde hielt und einem Schlage von Weinmanns Pferde nach links hin etwas ausbiegen wollte, von seinem Schimmel. Der Sattelgurt war zu lose geschnallt, und der Sattel rutschte links herunter, und indem sich der Vater auf den linken Arm stützte, brach der eine der beiden Armknochen zwischen der linken Hand und dem Ellen­bogen dicht über dem Gelenk ein. Der liebe Vater hatte nicht viel Schmerzen davon, und es heilte für sein Alter sehr schnell wieder. Am 24. Sept. 1832 nahm Gott die alte Großmutter Fabricius in Reinfeld zu sich. Sie hatte in der letzten Zeit mancherlei körperliche Leiden, auch geistige Anfechtungen über ihre Seligkeit, wobei sie durch Gottes Wort reichen Trost durch ihren Schwiegersohn erhielt, zu tragen gehabt. (194) Da sie das hohe Alter von 78 Jahren, 11 Monaten, 28 Tagen erreichte, kam ihr Ende meiner Mutter nicht unerwartet, und sie war wohl betrübt aber gefaßt. Im folgenden Jahre 1833 stand sie gerade am Jahrestage ihres Todes an dem Grabe auf dem so schön gele­genen Reinfelder Kirchhofe, Meine Mutter, die einzige von den Meinen, da Vater gerade, wenn auch nur gering, gichtleidend war, begleitete mich nämlich, als ich, als Rektor und Kaplan in Fehrbellin angestellt, am 23. Sept. 1833 den kirchlichen Segen durch Vatershand und Vatersmund zum ehelichen Bunde mit meiner lieben Henriette Decker erhalten sollte, nach Reinfeld. Hier muß ich wieder an mich halten, daß ich nicht zu ausführlich werde. Es reiste sich überhaupt gar schön mit der Mutter zusammen. (195) Sie war auf solchen Reisen, die damals ja noch mit eigenem Fuhrwerk gemacht wurden, das nicht die Welt durchflog, sondern Zeit hatte, sie zu besehen und sich ihrer Schönheit zu erfreuen, immer besonders heiter. Die Sorgen und Mühen der Wirtschaft waren abgetan; alles Schöne in der Natur - und Mutter hatte dafür ein feines Gefühl - erhöhte die freudige Stimmung. Dann sang sie gern, freilich ganz kunstlos und mit eben nicht starker Stimme. Sie hatte ein sehr gutes Gedächtnis, wußte noch im Alter nicht allein den Katechismus Lutheri, sondern auch lange Stellen (196) aus dem schleswig-holsteinschen Landeskatechismus, lange Stellen aus den deutschen Klassikern auswendig aufzusagen. Dann erzähl­te sie auf den Reisen so schön von ihrer Jugendzeit, aus Gramzow und Chorins früheren Zeiten, sorgte auch jedesmal für einen gut versehenen Kober zur Stärkung der Reisegenossen und vergaß dabei nicht das Dütchen mit Salz zum Kalbsbraten und ein kleines Gläs­chen ohne Fuß für den Wein. Kurz, es war eine Lust, mit ihr zusam­men zu reisen. Und hinterher hatte mein lieber Vater dann noch die Freude, sich wundern zu müssen, daß die treue Frau so wenig zur Reise gebrauchte. Doch war eins, was, wenn sie fuhr, auch wohl Störung der Freude gab: sie war beim Fahren sehr ängstlich; Schiefgehen des Wagens, schlechte (197) Wege, etwas mutige Pferde konnte sie leicht in Angst setzen. Die Rückreise ins Vaterland und dann an den eigenen neuen Wohnort machten meine liebe Mutter, meine liebe junge Frau und ich wieder zusammen, unterwegs in Mecklenburg von dem lieben Vater abgeholt, der unterdes ganz genesen war. Das Leben in dem Hause meiner teuren Eltern entwickelte sich immer glücklicher. Meine 3 Brüder weihten sich alle dem väterlichen Beruf und konnten bald dem Vater in der eigenen schönen Wirtschaft Hülfe leisten; zuerst mein Bruder August, der mit jugend­lich frischem Eifer und bedeutenden Gaben als Inspektor einige Jahre zur Förderung der Gramzower Wirtschaft viel beitrug, indem er sich auch mit großer Kraft auf das Einzelne warf und zu einigen sehr ersprießlichen Umänderungen in der Art der Bewirtschaftung den Antrieb gab, bis 1839 das vom Vater erkaufte große Ritter­gut Lichterfelde (bei Eberswalde) unter seine specielle Leitung kam.

Dann trat Hermann ein, erst als Inspektor, dann als Amtsassistent und hatte das Glück, seit 1841 nebst seiner Frau, der teuren seligen Mathilde, geb. Hengstenberg, mit den teuren Eltern, bis an ihr Ende einen Hausstand zu bilden und ihre letzten Lebensjahre zu erleichtern und zu verschönern. - Die Zehnebecker Vorwerkswirtschaft war, vorher schon größerer Selbständigkeit erhoben, erst dem früheren Inspektor, Amtmann Richter und dann dem Vetter Wilhelm Pich, der die mehrjährige treue Wirtschaftsgehülfin meiner (199) Mutter, Minchen Schindler heiratete, in Administration und auf Tantiem gegeben, was günstige Resultate lieferte. Indem meine lieben Brüder so in dem schönen väterlichen Beruf tätig waren, und dabei sich immer mehr ausbildeten, war es eine Freude für jeden Nahestehenden und Geistlichgerichteten, wie sie auch die Dinge des ewigen Lebens erfaßten und sich je mehr und mehr zum Heilande, unserm Herrn, bekannten, sich seines Namens nicht schämten und nicht nach der Weise so vieler junger Leute nach den Weltfreuden und sinnlichem Lebens­genuß jagten. Ich habe aus jener Zeit von allen meinen Brüdern Briefe, die ich noch jetzt nicht ohne Bewegung lese und die ein frisches, geistiges Streben nach den ewigen Gütern bekunden (200)

Das Jahr 1836 ward gleich im Anfang durch ein den lieben Eltern sehr erfreuliches Ereignis bezeichnet. Am 30. Jan. ward ihnen der erste Enkel ihres Namens (zugleich der Erstgeborene einer neuen Generation der ganzen weiten Familie Karbe) mein teurer, nun schon mit den Großeltern beim Herrn vereinigter "Sohn Karl" geboren. In Briefen sprach sich erst ihre Freude sehr herzlich aus, die sich dann, als ich im Juli mit meiner Frau und dem Söhnlein 14 Tage in Gramzow verweilte, den Großeltern den Enkel zu präsentieren, auf die führendste, mir unvergeßliche Weise aus. Mit großmütterlicher Freude zeigte meine Mutter überall den Enkel mit den runden, roten Backen und blauen, hellen Augen. -

Der väterliche Hof bot aber diesem Besuche einen traurigen An­blick dar. Wenige Wochen vorher waren sämtliche Stall- und Scheu­nengebäude des großen Hofes abgebrannt. Am 30. Juni. abends (201) 11 Uhr, als alles schon in Ruhe lag, sieht der Hofnachtwächter in der süd-östlichen Ecke von außen her über dem großen Stall und Scheunengebäude eine Flamme aufsteigen, und er macht sogleich Lärm. Als aber mein Vater, schnell angekleidet, vorn aus dem Fenster sah, standen schon die Dächer der Ställe und Scheunen, sämtlich mit Stroh gedeckt, an 3 Seiten des sehr großen Ho­fes in hellen Flammen. Alles Rindvieh, bis auf 10 Ochsen, alle Schweine, alle Kutschen, ein großer Vorrat von allerlei Wirtschafts­gerät verbrannte. Durch die Treue und den Mut der Leute, besonders der Pferdeknechte, die ihre Kleider vor dem Bett im Stiche ließen, wurden sämtliche Pferde und Füllen und alles Sielenzeug gerettet. Aber das arme Rindvieh, dessen jämmerliches Brüllen die Luft erfüllte, konnte nicht gerettet werden, weil die Dächer schon (202) brennend herunterfielen. Die Bäume des Gartens, die von 2 Seiten den Hof umgaben, waren alle schwarz angebrannt und sahen schauerlich aus. Gott sei Dank! waren aber keine Menschenleben zu beklagen. Der Verlust war, da mein Väter nicht hoch versichert war, groß und ging in die Tausende und ward noch dadurch vergrößert, daß durch besondere Umstände, die mein Väter nicht in seiner Gewalt hatte, sondern von der verpachtenden Behörde aus­gingen, die Scheunen sehr spät hergestellt wurden, so daß von 2 Ernten, 1836 und 1837, ein großer Teil in Mieten gesetzt werden mußte. Doch meines Vaters Wohlstand war damals ziemlich fest begründet, und "Krieg und Brand segnet Gott mit milder Hand!" Er hatte zwar viele Umstände, auch Verdrießlichkeiten und Ver­legenheiten fast 2 Jahre hindurch, auch durch den großen Neubau, aber seine Verhältnisse (203) wurden dadurch keineswegs dérangiert. Noch erwähne ich, daß das große Wohnhaus auch ganz war ausgeräumt worden, und alle Hausgeräte in den Garten hinter dem Hause nach dem großen See zu hingestellt wurden, und doch, ob­wohl eine große Menschenmasse zusammengeströmt war, - 28 Feuer­spritzen wurden gezählt - es kam nichts fort, ward nichts bedeutend beschädigt, nur alle Scheren waren nicht wieder zu finden.

Am Ende den Jahres 1838 übernahm ich, von der Königl.-Reg. berufen, das Pfarramt zu Drensen, 1 1/2 Meilen von Gramzow, und so hatten die Eltern eine Zeitlang 5 Kinder in naher und nächster Nähe Ottilie in Seehausen mit zahlreicher Kinderschar, mich in Drensen, August in Lichterfelde, Hermann und Lucie im Hause selbst. Es war eine schöne Zeit. Zwar (204) betrübte die lieben Eltern, wie alle Preußenherzen, der Tod des edlen, treuen Königs Friedrich Wilhelms III. im Juni 1840, unter dessen Scepter sie mit dem ganzen teuren Vaterlande so heilsame Züchtigungen Gottes und so herrliche Errettung erfahren hatten. Doch der Geistesaufschwung den die ersten Jahre Friedrich Wilhelm IV. herbeiführten, die wunderschönen Testamentworte des Heimgegangenen, die herr­lichen Bekenntnisse des neuen Königs in Berlin bei der Huldigung und in Königsberg brachten auch in unser aller Gemüter neue Erhebung. Dabei hatte die Politik doch nicht so alle Interesse gefangen genommen, die Angelegenheiten des Reiches Gottes waren in dem Kreise in dem wir uns beweg­ten im Vordergrunde, und wir sahen für die Kirche und Vaterland sehr hoffnungsreich in die Zukunft. Wenn ich von Drensen zum Besuch (205) nach Gramzow kam und den lieben Vater begrüß­te, waren wir öfters schon, ehe ich andere begrüßen konnte, durch sein Anregen in ein eifriges Gespräch, oft auch Disputieren, über biblische Stellen und kirchliche Lehren und Ordnungen geführt. Das Gramzow'sche Haus fing an, besonders von gläubi­gen Geistlichen der Gegend zur großen Freude der Eltern aufge­sucht zu werden, und ward einer der Mittelpunkte für die christ­lichen Vereine, besonders der Mission und der Rettungshäuser für verwahrloste Kinder, wie denn mein Vater auch testamentarisch dem Gramzower Rettungshause 100 Thl. vermacht hat, weshalb in demselben seiner alljährlich an seinem Todestage in dankbarer Feier gedacht wird. Seine Neigung zu christlicher Beschaulich­keit und Grübelei bezeugt seine ziemlich starke Sammlung von Aufsätzen über christlich Dinge, (206) am schönsten ist ein Bogen, auf dem eine Sammlung von Schriftstellen unter gewissen Rubriken aufgezeichnet ist, z.B. "Aussprüche der heiligen Schrift, die mir besonders tröstlich geworden sind, - die ich zu verstehen glaube, doch noch nicht mit völliger Klarheit, - die mir noch fast unverständlich sind, - die mir noch ganz dunkel sind."

Mehr und mehr vertiefte sich sein inneres Leben zur Einfalt in Christo. Meine teure Mutter, die sich von Anfang an schon mehr im einfachen Glauben an das Wort der Schrift gehalten und es angewendet hatte, hat weniger geforscht wie der Vater, aber der Glauben war auch in ihr je länger je lebendiger geworden. So hatte sich eine schöne Zeit des inneren Lebens durch Gottes Gnade im Hause der Eltern entwickelt und entfaltet. Nun (207) ka­men auch eine Reihe von Familienereignissen, freudigen und schmerzlichen, die mannigfach in der teuren Eltern Leben ein­griffen.

Ihre noch unverheirateten 4 Kinder traten in Zeit von 4 Jahren in den heiligen Ehestand:

Hermann Karbe,    1841 mit Mathilde Hengstenberg, Tochter des Tochter des sel. Pastors Hengstenberg in Wetter in Westfalen, Schwester des Professors Dr. th. Hengstenberg zu Berlin.

Lucie Karbe,          1841 mit August von Scheven, dem mein Vater sein Rittergut Speck verkauft hatte.

August Karbe,        1843 mit Therese Théremin, Tochter des Gerichts­rats Théremin in Spandau.

Julius Karbe,          1845 mit Minna Walter, Tochter des großherzoglichen mecklenburgischen Domänenpächters Walter zu Dargun.

Im Jahre 1844 war die älteste Enkelin Auguste Gründler dem Prediger Hildebrand zu Groß-Muckrow ehelich verbunden worden. Nachdem im lieben nahen Gründler'schen Hause der ersten (208) Enkelin Auguste, geb. 1824 - Enkelin Julie 1826, Enkel Theodor 1828, Enkelin Henriette 1829, Enkel Fritz 1831 und Enkel Wilhelm 1833 gefolgt waren, dann mein Karl 1836 und 1837 2 Enkelinnen Marie Gründler und meine Marie geboren wurden, hatten die lieben Eltern acht Jahre nacheinander jährlich Zuwachs an großelterlichen Freuden.

1840 kam meine Auguste zur Enkelschar hinzu, 1841 meine Elisabeth, 1842 Anna Gründler, 1843 Richard v. Scheven und dann mein Adolf, 1844 Hans in Lichterfelde (doch geboren im groß-elterlichen Hause zu Chorin) und Lydia in Gramzow, 1845 Magda v. Scheven und Paul in Lichterfelde, 1846 Wilhelm in Gramzow, Anna v. Scheven, Elisabeth in Lichterfelde, 1847 Eduard in Gramzow.

Doch wie es nicht anders sein kann bei Menschen im vorgerückten Alter und sich weit erstreckenden Familien- und Verwandtenkreisen, es kamen auch für die lieben (209) Eltern sehr schmerzliche Ereignisse vor. Schon im Juli 1834 war die einzige Schwester meiner lieben Mutter durch den schnellen Tod ihres Gatten, des Pastors und Professors Decker meines teuren Schwiegervaters, in den betrübten Witwenstand versetzt worden, zu großer Teilnahme für meine Mutter, die die geliebte Schwester im Herbst 1834 noch besuchte. Dann starb 1840 nach langem Halsleiden der jüngste Bruder meiner Mutter, Etatsrat Fabricius, in Glückenstadt. Das Jahr 1845, das, wie schon erwähnt, durch die Geburt einer Enkelin und eines Enkels, sowie durch die Verheiratung des jüngsten Sohnes Freuden mit sich führte, brachte, besonders ereignisreich auch viel schmerzliche Tage. Meines Vaters jüngster Bruder, Herr August v. Karbe auf Staffelde und Pargow. (er war 1840 geadelt worden) starb nach langem schweren Leiden. Mein Vater war sehr betrübt, besonders auch, weil diesem seinem von ihm so geliebten Bruder (210) das Wort Gottes in seinem Leben, soweit man wissen konnte, ganz fremd geblieben war. Allein die unergründliche Barm­herzigkeit Gottes, der auch des Sterbenden Seufzer noch hört und erhört, war des Vaters Trost, sah doch des lieben Onkels Leiche im Sarge so friedvoll aus wie im Leben. Auch 2 Brüder meiner Mutter, den 3. Amtmann Hermann Peter Fabricius zuletzt als Rentier in Gramzow lebend, und den ältesten Justizrat Heinrich Fabricius zu Itzehoe, rief der Herr im Jahr 1845 aus dieser Zeit zu sich in die selige Ewigkeit. Am erschütterndsten, wie für alle Nahestehende, so auch für meine Eltern, war der am 27. Septem­ber, ihrem 22. Geburtstage, an Unterleibsentzündung erfolgte Tod ihrer ältesten Enkelin, der Frau Pastorin Auguste Hildebrand in Groß-Muckrow. Und doch konnten wir hier so recht trauern als solche, die wohl Hoffnung haben. Die selige Auguste hat einen benei­denswerten (211) Lebenslauf gehabt. Ein zwar nicht mit großen Ta­lenten, aber mit schönen Gaben des Gemüts ausgestattetes Kind; besonders von allen, die sie kannten, als Kind und Jungfrau geliebt, im einfältigen Christenglauben aufgewachsen, wohl, wie ich glaube, möchte, durch Gottes Güte in der Taufgnade bewahrt, hatte sie des Lebens Weh und Schmerzen bis zum eignen Tode fast nicht kennen gelernt. Früh einen gläubigen, würdigen, sie herzlich lieben­den Manne verbunden, hatte sie nur die Sorge gehabt, ob sie auch ihren Beruf treu erfülle, und es ward an ihr erfüllt das Wort des Herrn: "Die mich frühe suchen, finden mich!"

Das für die Eltern so ereignisreiche Jahr 1845 ward für sie auch dadurch bedeutend, daß mein Vater, nachdem er Gramzow auf eine neue Periode von 24 Jahren wieder gepachtet hatte, die Pachtung ganz an meinen Bruder Hermann (212) abtrat, so daß nun meine Schwägerin Mathilde an die Spitze des Haushalts trat, was ihr nicht allein dadurch erleichtert ward, daß meine Mutter, soviel die Pflicht des greisen Gatte und die eigene Kraft noch ge­statteten, stets zu Rat und zu tätiger Hilfe bereit war, sondern auch dadurch, daß meine Mutter eine sehr treue, tätige und um­sichtige Wirtschaftsgehülfin, Fräulein Henriette Fanthen, (Vandrey) die ein Jahr vorher ins Haus gekommen war, ihr mit übergeben konnte, die sich denn auch bis auf den heutigen Tag, nunmehr 24 Jah­re, bewährt und ganz in die Familie eingelebt hat.

Meine Eltern zogen nun, möchte ich sagen, ins Altenteile. Ein Teil der Ostseite des Hauses ward für sie recht warm und komfortabel eingerichtet. Ihr Frühstück genossen sie für sich auf ihrem Zimmer, die übrigen Mahlzeiten mit ihren Kin­dern und der Hausgenossenschaft. So ward denn meinem Bruder und seiner (213) Frau das Glück beschert, die lieben Eltern bis zum Tode zu pflegen. Mein Vater kam von einer Reise nach Berlin bei starker Hitze in wunderbarem, uns alle erschrecken­dem Zustande zurück. Es war, als hätte er einen Schlaganfall gehabt. Nicht, daß Gliedmaßen gelähmt oder die Gesichtszüge verzerrt gewesen wären, aber er sprach fast gar nicht, und wenn er sprach, sehr undeutlich und mit Verwechselung von Worten; das Gedächtnis hatte sehr gelitten, so daß er die alltäglichsten Dinge nicht zu nennen wußte. Der Zustand besserte sich wieder bedeutend, doch war der Geist etwas geschwächt, und im Lauf der folgenden Jahre nahm er sehr ab. -

Meine Mutter sollte einige Jahre später noch den Schmerz erleben, noch eins ihrer Geschwister zu verlieren. Ihre Schwester, meine teure Schwieger­mutter, die Frau Pastorin Decker, kam 1847 zu mir nach Drense auf längeren Besuch. In dem sehr kalten Wetter erkrankte (214) sie an der Grippe und starb nach kurzem Darniederliegen sanft am 7. Januar 1848, tief wie von uns allen, so auch von der Schwester betrauert. -

Die letzten Tage meiner lieben Mutter und die letzten Jahre meines Vaters sollten nun noch durch das böse Revolutionsjahr 1848 bewegt werden. Es konnte nicht anders sein, als daß meine Eltern und alle ihre Kinder in den im Jahre 1848 ausgebrochnen revolutionären Volksbewegungen wider das Königtum von Gottes Gnaden mit Entschiedenheit und Lebendig­keit auf der Seite der Fürstenthrone standen. Wir alle, die Eltern voran, hingen mit ganzem Herzen an den edlen Hause der Hohenzollern, denen unser Vaterland so viel verdankt. Dem teuren König Friedrich Wilhelm 4. waren wir mit besonderer Liebe zugetan, weil er sich zum Herrn bekannte. -

"Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!" hatte er noch vor 11 Monaten (215) bei feierlicher Gelegenheit gesagt. Wir sahen auf das teure Königspaar, das in christlich reinem Familienleben den Unter­tanen ein großes Beispiel auf dem Thron gab, mit hoffender Seele und waren alle dem Könige treu auf Grund des göttlichen Wortes: Römer 13.

So war denn die Erhebung gegen den Thron, die in Berlin am 18. März 1848 in offenen Aufruhr ausbrach, uns allen, besonders auch den Eltern, ein Greuel, und die dem König und der Königin widerfahrenen Beleidigungen trafen uns selbst in tiefster Seele. In Gramzow, wie in Lichterfelde, Seehausen und Drense kamen freilich gar keine tumultarischen Bewegungen vor; das Volk blieb dem Könige und der Ordnung treu. Die schwarz-rot-goldene Kokarde, das Zeichen der Revolution, ward verschmäht, ja gehaßt, mußte doch mein Bruder in Gramzow sich einige Tage lang auf die Postexpedition begeben, um die flüchtend von Berlin Durchreisenden, deren manche (216) sich durch die Trikolore zu sichern geglaubt hatten, gegen Volksinsulten zu sichern. Auch ins Haus des Bruders und der Eltern nach Gramzow kamen Freunde und Verwandte aus Berlin, den dortigen Tumulten sich zu entziehen; mein Bruder Julius, damals Administrator zu Kammerswaldau bei Hirschberg in Schlesien, brachte, weil dort wirklich Aufruhr sich zeigte, seine Frau nach Gramzow in Sicherheit. Man hatte ihn in den Kretscham (Dorfgasthof) gerufen und ihn 7 Stunden lang umlagert und festgehalten und mit Drohungen, wenn er nicht nachgebe, bestürmt, um von ihm Bewilligung seitens der Gutsherrschaft zu erpressen, über die er nicht zu verfügen hatte. So war die Erregung auch bei den Eltern sehr groß. Meiner teuren Mutter ging sie an Leben. In diesen Tagen erhielt ich von ihr ein Briefchen, worin sie noch äußerliche Dinge betreffende Mitteilungen (noch ein (217) Beweis mütterlicher Liebe) mit den Worten schließt: "Viele Grüße! Der Herr stärke Euch alle und uns und das arme, teure Königspaar! Wie herrlich, daß diese auch den einzigen wahren Trost fest haben! Eure liebende Mutter,                                                                        A. Karbe."

Das waren die letzten Worte, die ich von dieser treuen Mutter­hand empfangen sollte. Etwa eine Woche nach dem 18. März erkrank­te sie an ihrem alten Übel, Entzündung der Lunge. Die ersten Tage brachten nicht große Sorgen; die Entzündung war nicht heftig, und die angewandten Mittel schienen das Übel zu heben. Aber durch die Gemütsbewegungen, die die böse Zeit mit sich geführt, ward der Zustand nervös, die Kräfte schwanden, und wir mußten uns auf schmerzlichen Ausgang der Krankheit gefaßt machen. Am 29. März kam ich mit meiner selbst leidenden (218) Frau nach Gramzow; wir fanden die teure Kranke schwächer und leidender als wir erwartet. Deshalb blieb ich, als meine Frau am Abend heimkehrte, in Gramzow und weilte dort den ganzen folgenden Tag und die Nacht zum 31. März. Da schon seit Beginn der Krankheit bei ihr gewacht worden war, so wachte ich diese letzte Nacht am Bett der teuren Kranken. Sie sprach mit mir - viel durfte sie nicht sprechen - von ihrem Ende, gefaßt und im Glauben an den Heiland; ich betete mit ihr und las ihr aus der heiligen Schrift und dem Gesangbuch vor. Am Morgen und Vormittag des 31. März schien der Zustand etwas besser, und nicht ohne Hoffnung kehrte ich nach Hause zurück. Aber schon am Abend desselben Tages, den 31. März 1848, gleich nach 10 Uhr schlief sie ohne schweren Kampf sanft und selig ein und kehrte heim ins himmlische Vaterhaus im (219) Alter von 65 Jahren, 3 Monaten und 28 Tagen. Mein Vater und wir alle 6 Kin­der und 6 Schwiegerkinder und von den 21 Enkeln alle, die schon so weit herangewachsen waren, trauerten herzlich, denn wir hatten viel verloren; Vater eine sehr liebevolle Gattin und wir eine sehr, sehr treue Mutter. Doch der Schmerz über das allgemeine große Unglück des Vaterlandes diente dazu, uns über den eigenen Schmerz zu erheben, und wir gedachten des Wortes Jesaias 57,1 : "Die Gerechten werden weggerafft von dem Unglück, und die richtig vor sich gewandelt habe, kommen zum Frieden und ruhen in ihren Kammern."

Am 4. April ward die teure Leiche in einem schnell, ganz dicht vor den Gräbern ihrer 3 Kindlein und eines totgeborenen Enkels errichteten Gewölbe unter großer Teilnahme vieler Freunde und Ortseinwohner beigesetzt. (220) Ich sprach im Saal des Hauses am Sarge einige Worte des Trostes und der Mahnung für die Familie und die Leichenpredigt hielt der Ortspfarrer, Prediger Théremin.- Möge von ihren Kindern und Enkeln niemand je vergessen, welch eine treue Mutter und Großmutter wir gehabt.

Wohl ward es meinem armen alten Vater sehr schwer, die treue ihm 44 Jahre verbundene Lebensgefährtin von sich scheiden zu sehen. Ihr aber ward es dadurch erspart, die letzten schweren Lebensjahre des treuen Mannes mit zu erleben. Ehe diese Leidens­zeit für ihn und die Seinen begann, berührte ihn noch ein Ereig­nis, Gott sei Dank! nicht schmerzlich, das zu erwähnen, ich mich für verpflichtet halte. Mein in Gottes Wort gebundenes Gewissen trieb mich der Union wegen, die ich noch verwerfen muß, die evangelische (221) Landeskirche zu verlassen und mich zu der evangelisch-lutherischen Kirche zu bekennen, zu der Kirchengemeinschaft in meinem Vaterlande, die die Lehre der lutherischen Kirche ganz unverändert und ganz unzweifelhaft festhält. Ich legte mein Pfarramt in Drense im Mai 1849 freiwillig nieder und ward Glied und Pastor der evangelisch-lutherischen Kirche. Mein lieber Vater schrieb mir einige Wochen darauf zu meinem Geburtstage noch nach Drense einen Brief, der mich mit großer Freude gegen Gott erfüllte. Nachdem er gesagt, daß er leiblicher Schwachheit wegen nicht selbst zum Geburts­tage kommen könne und darum schriftlich mir seine Segenswünsche sende, sagt er dann weiter, daß er nicht umhin könne, meinen Austritt aus der Landeskirche und meinen Eintritt in die lutherische Kirche zu erwähnen und mir sagen müsse, (223) daß er diesen, meinen Entschluß nicht allein tadle, sondern sich freue, mich nach meinem Gewissen handeln zu sehen, und hoffe, daß nicht allein ich selbst, sondern auch die Kirche Segen davon haben werde, obwohl er, da seine Geistes­kräfte schon durchs Alter geschwächt, die Unterschiede der Lehre nicht so begreifen könne, um meinen Schritt mitzutun. -

Die Abnahme der Geistes- und Körperkräfte ward bei dem treuen Vater immer merkbarer; aber sein Gemüt ward immer liebevoller. Er zog sich sehr viel in sein Zimmer zurück; zuerst las er noch viel, doch eigentlich nur die heilige Schrift und die Kreuzzeitung. Von jener hatte ich ihm die Halle'sche Quart-Ausgabe mit großem Druck anschaffen müssen, und er hatte sich dieselbe nach den einzelnen Büchern in eine Menge einzelner Hefte broschürt, und mit steifen, leichten Pappdeckeln binden lassen. So hat er das heilige Gotteswort (223) in den letzten Jahren mehr als 2-mal von Anfang an bis zu Ende durchgelesen. Später, als ihm das Selbstlesen zu schwer fiel, mußte, wer ihn von seinen Kindern in seinem Zimmer besuchte, ihm daraus vorlesen. -

Im Jahre 1850 hat er sich noch einmal in Öl malen lassen; es ist dies das, allen den Seinen wohlbekannte Ölgemälde, das ihn im blausammeten Schlafrock und schwarzen Käppchen neben dem Tische, auf dem die Bibel und die Kreuzzeitung liegen, dargestellt. Auf der Rückseite ist ein Blatt, von ihm beschrieben, angeklebt. Darauf stehen folgende Worte: "Kindlein liebet Euch untereinander! Ich habe den Wünschen meiner Kinder nachgegeben und habe mich malen lassen. Indem ich Dir, mein lie­ber Sohn August, dies Bild übersende, bestimme ich hierdurch, daß Du dasselbe behältst, solange ich lebe. Dann soll es aber, als Eigentum (224) aller meiner Kinder auch allen Freude machen, und zugleich ein Band werden, wodurch Ihr Euch treiben lassen sollt jährlich mindestens einmal Euch alle im Andenken an Eure Eltern liebend zu versammeln. Es soll nach meinem Tode dies, mein Bild, zuerst an Ottilie und dann jedesmal am 29. September an das nächstfolgende meiner Kinder kommen, und wünsche ich, daß sich da, wo das Bild hinkommt, jedesmal am 29. September meine 6 Kinder zu einem Familienfest versammeln. Gott segne Euch!

Euer treuer Vater C.A.F. Karbe. Gramzow, den 22. Dezember 1850

Immer mehr lebte er nur noch für den engsten Familienkreis. Gar schön war es aber, wenn er gebrechlich gehend aber so recht mild und freundlich in den Kreis trat und sich auch besonders der kleinen Kinder so freute und ihnen Liebe, ja Zärtlichkeit erwies. Er ging täglich in den Garten und (225) fuhr täglich spa­zieren und nahm so gern von den Kinder eins und das andere mit in den Wagen. Als ich mit meiner ganzen Familie im Sommer 1851 einige Wochen in Gramzow mich aufhielt, freute er sich meiner beiden jüngsten Kinder sooft sichtlich. Jeden Abend mußte das jüngste, Henriette, damals etwa 5 Monate alt ihm ins Zimmer gebracht werden, daß er es vor dem Zubettgehen nochmals küßte, und wenn es etwas später wurde, kam er selbst ins Kinderzimmer und brachte der Enkelin den Gutennachtkuß.

5 Enkel wurden ihm nach dem Tode der Großmutter bis zu seinem Lebensende noch geboren. Im Jahre 1849 mein Traugott und Magdalena in Gramzow, 1850 Adolf in Lichterfelde, 1851 Hermann in Gramzow und meine Henriette, die nun, wie Lenchen und Hermann, auch schon mit den Großeltern im Himmel vereinigt. (226) Da der Zustand der Schwäche immer mehr zunahm, ward zu seiner Hülfe und Pflege besondere Anstalt getroffen. Der alte treue Kutscher Georg Kühn, der seit 1825 im Dienst als Kutscher die teuren Eltern tausende von Meilen gefahren hatte, und nach dem Tode seines alten Herrn nicht lieber tat, als von ihm und den mit ihm gemachten Reisen zu erzählen und mir einst sehr naiv sagte:

"Herr Prediger, Se mögen't glöwen oder nich, Ehr Vader was warraftich een gooden Mann!"

Dieser teuere Kühn ward aus dem Kutscherdienst genommen und war Tag und Nacht bei dem Vater, ihm jeden Wunsch möglichst gleich zu erfüllen. Darin mußte ihm Auguste Matthes, die Tochter der alten, guten Frau Matthes, ein Mädchen zwischen 30 und 40 Jahren, besonders am Tage Hülfe leisten, Sie haben ihren oft sehr schweren Dienst treulich erfüllt und sich den ganzen Dank der Familie erworben. (227)

Die letzten Monate des Jahres 1851 konnte der Vater das Bett nicht mehr verlassen und das Leiden, durch Durchliegen noch vermehrt, war nicht gering. Sooft ich ihn von Brüssow aus besuchte, nahm ich in Gedanken jedesmal Abschied fürs Leben. In der Nacht vom 20. und 21. Januar 1852 ward der Zustand so, daß mein Bruder Hermann sah, es ging zu Ende mit ihm. Mein Bruder sprach ihm treulich zu und deutete ihm an, das Ende sei nahe. Er fragte ihn noch, ob er im Glauben an unsern Herrn und Heiland Jesum Christum, der uns Sünder mit seinem teuren Blut erlöst, sterben wolle. Darauf sprach der liebe Vater ein deutliches "Ja!" und verschied bald darauf im Alter von 71 Jahren, 3 Monaten, 23 Tagen.

13 Enkel und 13 Enkelinnen hinterließ er. Wir, seine Kinder, dankten Gott, der uns einen so guten Vater gegeben und ihn nun in die seligen (228) Friedensstätten aufgenom­men.

Am 26. Januar fand das feierliche Begräbnis statt. Es hatten sich dazu sehr viel Verwandte, Freunde, Ortseingesessene, die meisten Schulzen und Gerichtsleute des Amtsbezirks eingefunden, die ihren alten Oberamtmann den letzten Zoll der Liebe entrichten wollten. Als geistlicher Sohn der Familie sprach ich am Sarge einige Worte des Dankes gegen den Herrn für das, was er dem Seligen an Wohltaten für Leib und Seele getan und das, was er uns durch ihn gegeben. Auf dem Kirchhofe hielt erst der Superintendent Zarnack[11] eine Grab­rede über Röm. 8, 1-3.

Seine Leiche ward in dem Gewölbe neben der teuren Gattin beigesetzt. Die Grabstätte ist eingeschlossen nach Norden von der hohen Kirch­hofsmauer (229) und nach der andern Seite von einem eisernen, geschmiedeten Gitter. Hinter diesem erhebt sich in der Höhe von etwa 3-4 Fuß über der Erde das Grabgewölbe, von außen ganz mit Immergrün bedeckt. Auf dem Ostgiebel des Gewölbes ist ein schmaler Gang hinter der Gittertür, der zu dem Raum führt, auf dem sich 5 kleine Grabhügel erheben. In der Kirchhofsmauer sind Steintafeln angebracht. Auf der mittleren steht: Karbesches Familienbegräb­nis. Aus Gnaden seid ihr selig geworden. Epheser 2,8.

Auf der Tafel links:

Frau Christine Auguste Karbe, geb. Fabricius geb. zu Satrup in Angeln den 3. Dezember 1782, heimgegangen am 31. März 1848.     
Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes   Ebr. 4,9.

Oberamtmann Karl August Ferdinand Karbe, geb. zu Amt Chorin (230) den 29. September 1780. Er folgte seiner Gattin den 21. Januar 1852 in die Ewige Seligkeit.   
Und nun, Kindlein, bleibet bei Ihm.    1. Joh. 2,28.

Auf der Tafel rechts steht:

Hier ruhen in Gott vier Knäblein der Karbeschen Familie, zu Gott gekommen in den Jahren 1808, 1810,12,42. Lasset die Kindlein zu mir kommen.    Markus 10,14.

In der Mitte des ganzen eingeschlossenen Raumes steht ein großes Marmorkreuz mit folgenden Inschriften:            
Oben: "Ich bin der Herr, Dein Arzt. 2. Mose 15,26.

Unten auf dem Sockel:

Mathilde Karbe, geb. Hengstenberg, geb. den 24. Januar 1816, heimgegangen am 22. Oktober 1864.      
Sie hat getan, was sie konnte.   Marc.14, 8

Auf einem Kreuze von Eisen links von dem Marmorkreuze steht vorn:

Ich habe Dich je und je geliebet, darum habe ich Dich zu mir gezogen aus lauter Güte.    Jer.31,3.

Auf der hintern Seite:

Magdalena Karbe, geb. den 14. Mai 1849, gest.d. 5. Mai 1864   
Ihr Verwesliches ruht auf dem Matthäikirchhofe in Berlin.

Auf dem Kreuze steht rechts:

Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn.      Phil.1,21.         
Albert Karl Hermann Karbe, geb. den 8. Januar 1851, heimgegangen. den 10. April 1860

Auf einem Kreuze hinter diesem, auch von Gußeisen, ist die Inschrift vorn:

Er wird die Lämmer in seine Arme sammeln. Jes.4o,11.

Hinten:

Mathilde Karbe, geb. d. 28. Juli 1854, gest. den 23. Juli 1865.

Dann steht auf der Grabstätte noch ein kleines gußeisernes Kreuz mit den Worten:

Gertrud Karbe, geb. den 18. Januar 1867. gest. den 31. Januar    1867.            
Seid fröhlich in Hoffnung. Röm.12,12. (232)

Das ist die Ruhestätte der teuren, seligen Eltern. Mit den Lieben, deren sterblicher Teil dort vor ihnen und nach ihnen der Erde wiedergegeben worden, ruhen sie in Frieden. Es ist uns wohl eine Stätte der Wehmut, aber nicht der Trauer ohne Hoffnung. Denn wir sind sehr getrost in der Zuversicht, es wird dies einst die Stätte ihrer fröhlichen Auferstehung sein und sie werden dann aus dem Munde des Menschensohnes in seiner Herrlichkeit das Wort hören: "Kommet her zu mir, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist vom Anbeginn der Welt!"

Möge dann der arme Sünder, der diese Erinne­rung an seine teuren Eltern niedergeschrieben hat und alle ihre Kinder und Enkel auch zu Rechten stehen, und unser lieber Vater und unsere liebe Mutter sagen können:

"Siehe Herr, hier sind wir und alle, die Du uns gegeben hast!" (233)




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[1] Pfarrer Lüpnitz hat über ihn in “Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark” geschrieben:          
Er wurde am 12.6.1806 in Gramzow geboren als Sohn des Oberamtmanns Karl Karbe und der Auguste Fabricius, studierte in Berlin und Kiel und wurde 1833 ordiniert. Im gleichen Jahr wurde er Rektor und Hilfsprediger in Fehrbellin. 1839 Pfarrer in Drense, wurde 1849 altlutherisch und verfaßte die Schrift “Lutherische oder unierte Kirche?” (1848). 1850 wurde er altlutherischer Pfarrer in Brüssow, 1853 in Löwenberg, 1860 in Greiffenberg und 1860 in Angermünde. 1874 ging er in den Ruhestand und starb am 12.06.1880 in Charlottenthal i. d. Uckermark und wurde in Thomsdorf bestattet. In Rheinfeld in Holstein hatte er am 23.09.1833 seine Cousine Henriette Decker geheiratet, geboren am 16.11.1808 in Husum/Schleswig, Tochter des Professors Jacob Decker in Tondern/Schleswig und der Marie Catharine Fabricius, gestorben in Fürstenberg/Mecklenburg am 16.12.1890. Kinder:

1.    Karl August Theodor, geb. 30.01.1836, gest. Löwenberg/Schlesien 16.09.1859, war cand. theol.

2.    Marie Auguste Dorothea, geb. 06.09.1837, gest. Fürstenberg 01.03.1911; unverheiratet

3.    Auguste Christiane Henriette Ottilie, geb. 31.05.1840, gest. ebd. 23.04.1913; unverheiratet

4.    Elisabeth Anna Henriette,     geb. 28.12.1841, gest. Neubrandenburg 16.12.1923; unverheiratet

5.    Adolf Gottlieb Nathanael, geb. 13.12.1843, gefallen in Posen 18.01.1916, war Landwirt

6.    Traugott Samuel Johannes, geb. 04.02.1849, gest. Görbersdorf, Kr. Waldenburg/Schl. 19.09.1891, Pfarrer der altlutherischen Kirche zu Görberbersdorf, 1875-1880 Pfarrer zu Brüssow

7.    Henriette,     geb. Brüssow 10.05.1851

[2] Lüpnitz, „Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark“: Clausius, Christian Christoph wurde als Sohn des Pfarrers Anton Adolf C. in Detershagen am 08.02.1718 geboren. In Halle studierte er Theologie. 1748 wurde er Feldprediger im Infanterie-Rgt. v. Treskow in Neiße und war von 1759-1779 Pfarrer in Brodowin, wo er am 08.10.1779 starb. Er war verheiratet mit Christiane Friederike Hamel.

[3] Lüpnitz: Gottlieb Herzberg wurde in Groß Wusterwitz als Sohn des Pfarrers Jacob Reinhard Herzberg geboren. Er war zunächst Lehrer am Waisenhaus in Potsdam. Von 1780-1801 war er Pfarrer in Brodowin, wo er am 30.10.1801 starb. Er war ledig.

[4] Lüpnitz: “Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark” : Hoffmann, Carl Ludwig war der Sohn des Lehnschulzen Christian Hoffmann und der Charlotte Regina Röstel und wurde am 20.07.1755 in Laubow/NM geboren. Er studierte in Frankfurt/Oder Theologie und wurde am 16.11.1782 ordiniert. 1783 wurde er Pfarrer in Batzlow bei Wriezen. 1803 wurde er zum Superintendenten nach Gramzow berufen und ebd. 1804 am Sonntag Estomihi eingeführt. 1824 wurde er wegen seines Alters vom Superintendentenamt befreit, blieb aber weiter Pfarrer in Gramzow. Am 01.04.1829 ging er in den Ruhestand und er starb in Frankfurt/Oder am 01.06.1829. In Frankfurt/Oder hatte er am 09.10.1783 (St. Nikolai) Friederike Marie Boetius geheiratet, die Tochter des Erbherrn Johann Gottlieb Boetius auf Nuhme.

[5] Ranzion (franz. rançon) = Lösegeld für freigekaufte Kriegsgefangene. Ranzionnieren = loskaufen, oder einen Kriegsgefangenen durch Auswechslung befreien; sich selbst ranzionnieren = aus der Kriegsgefangenschaft entweichen.

[6] Lüpnitz: “Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark”: Fritze, Gotthilf Christlieb Ludwig, geboren - wahrscheinlich in Cottbus - am 01.05.1778 als Sohn des Pfarrers Gotthilf Christlieb Fritze und der Wilhelmine Charlotte Schindler. Er wurde am 18.11.1810 ordiniert und zugleich Pfarrer in Zichow, nachdem er vorher, nach dem Studium in Halle, Erzieher der Grafen v. Arnim war. In den letzten Jahren seiner Zichower Amtszeit war er auch zugleich Verwalter des Superintendentenamtes in Gramzow. Er starb in Zichow am 13.11.1847. In Göhren hatte er am 22.01.1811 Johanne Caroline Luise Ziessler geheiratet, die Tochter des Pfarrers Johann Daniel Ziessler in Göhren. Sie wurde um 1789 geboren und starb in Zichow am 21.09.1835, im 46. Lebensjahr.

[7] Lüpnitz “Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark” : Theremin, Otto Ludwig, war der Sohn des franz.-reform. Pfarrers David Ludwig Theremin und wurde am 20.07.1775 in Gramzow geboren. Er studierte in Berlin Theologie und wurde am 22.12.1822 ordiniert. Im gleichen Jahr wurde er Garnisonsprediger in Saarlouis. Von 1829-1849 war er franz.-reform. Pfarrer in Gramzow und in dieser Zeit von 1829-1842 verwaltete er die Superintendentur Gramzow. Er starb in Gramzow am 24.02.1849. Verheiratet war er mit Dorothea Westermann.

[8] Lüpnitz: “Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark”: Nernst, Johann David der “philosoph von Briest”, ist nach Angaben der Briester Chronik als Sohn eines aus Schweden eingewanderten Tischlers am 30.12.1759 in Schwedt geboren. Die Eltern sollen früh verstorben sein und er wurde im Hause des Pfarrers Jacob Schramm in Prenzlau erzogen, danach im Hause eines Schwedter Rektors. Er besuchte das Gymnasium und die Universität in Halle, war dann zunächst Hauslehrer bei der Familie v. Wuthenau und wurde am 18.02.1785 ordiniert. Von 1785-1794 war er Pfarrer in Petersdorf, Kr. Templin und von 1794-1833 Pfarrer in Briest. Anfang des Jahres 1833 ging er in den Ruhestand, zog erst nach Prenzlau, dann nach Potzlow, wo er am 19.01.1835 verstarb. Nernst hatte im Jahre 1815 eine Denkschrift mit dem Titel: “Woher es komme, daß die Prediger die Liebe und das Vertrauen der Gemeine verloren haben” verfaßt. In Prenzlau hatte er im Jahre 1785 Louise Schramm, Tochter des Pfarrers Jacob Schramm aus Prenzlau geheiratet, die in Briest am 20.06.1831 starb. Aus dieser Ehe stammen sieben Kinder. Davon wurde der Sohn Adolf Jurist, ebenso der Sohn Hermann Ludwig, der Sohn Philipp war Landwirt und Amtmann in Potzlow; die Tochter Mathilde führte in Briest die Schutzimpfung gegen die Schwarzen Pocken ein und die Tochter Wilhelmine war seit 1821 verheiratet mit dem Pfarrer Ludwig Ewald, der Pfarrer in Bagemühl, Kr. Prenzlau war.

[9] In dem Lüpnitz’schen “Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark” findet sich folgender indirekter Hinweis:        
Schmidt, Ferdinand wurde am 17.12.1817 in Berlin geboren als Sohn des Geh. Sekretärs Carl Friedrich Schmidt und der Caroline Sophie Schulz, studierte in Berlin und wurde am 25.08.1845 ordiniert. Im gleichen Jahr wurde er Hilfsprediger in Berlin, 1849 Pfarrer in Drense und 1868 bis zu seinem Tode am 25.10.1882 war er Pfarrer in Liepe, Kr. Rathenow. In Seehausen/Ucker­mark hatte er am 30.09.1851 Julie Gründler geheiratet. Sie war in Seehausen am 14.05.1826 als Tochter des Amtsrats Wilhelm Gründler und der Ottilie Karbe geboren und starb am 07.02.1897 in Wittenberg. Kinder:

1.    Hans,          geb. Drense 16.07.1852, gest. Welsickendorf 23.07.1912, Pfarrer in Welsickendorf. Verheiratet mit Anna Flemming, geb. Jüterbog 23.06.1860, gest. Krossen 31.07.1938

2.    Paul,           geb. Drense 22.04.1854, gest. Halle/Saale 27.11.1922. Pfarrer in Bergsdorf, Kr. Templin, in Liepe, Kr. Eberswalde und Professor am Predigerseminar zu Wittenberg; Oberpfarrer in Halle

3.    Ernst,          geb. 1855, gest. 1863

4.    Wilhelm,      geb. Drense 21.06.1857, gest. Berlin 16.12.1913, Gymnasialprofessor

5.    Ferdinand,    geb. Drense 09.10.1859, gest. Nietleben 07.11.1920, Oberlehrer, Dr. med.

6.    Julius,          geb. Drense 15.12.1861, gest. Frankfurt/Oder 11.01.1941, Pfarrer in Canada

7.    Theodor,      geb. Drense 22.12.1863, gest. Blankenfelde 04.10.1948, Pfarrer, seit 1894 Emeritus; sein Sohn Gerhard ist ebenfalls Pfarrer (geb. 1899).

[10] Zu seinem Vater findet sich in „Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark“ folgender Eintrag:  
Gründler, Friedrich Nathanael wurde in Küstrin am 14.08.1745 geboren als Sohn des Superintendenten Johann Christian Gründler und der Anna Sophia de Nève. Nach dem Theologiestudium in Halle wurde er am 09.05.1772 ordiniert. Seit 1768 war er Lehrer an der Realschule in Berlin. 1772 wurde er Pfarrer in Altmersleben in Sachsen und 1775 Pfarrer in Oderberg. Hier starb er am 14.12.1815. In Altenzoll/b. Hohensaaten, Kr. Angermünde, heiratete er am 22.10.1776 Henriette Luise Schulze, geboren in Altenzoll am 08.05.1760 und gestorben in Oderberg am 18.08.1828. Sein Sohn Ernst Gründler, geboren in Oderberg am 05.06.1790, wurde Pfarrer, u. a. in Nahausen/NM.

[11] Lüpnitz: Die evangelischen Pfarrer in der Uckermark:  Zarnack, Carl August Wilhelm war der Sohn des Pfarrers August Z. und der Rosa Richter und wurde am 18.04.1807 in Beeskow geboren. Nach dem Studium und der Ordination wurde er 1831 Diakon in Beeskow, 1839 Pfarrer in Blankenburg, Kr. Prenzlau, und 1842 zugleich Superintendent des Kirchenkreises Gramzow, 1850 Pfarrer und Superintendent in Gramzow, wo er am 24.07.1861 starb. Er war verheiratet mit Frieda Göhrnig. Seine beiden Töchter Rosa (Pseudonym: R. Blankenburg) und Luise (Pseudonym: L. Bernhard, verheiratet seit 1856 mit dem Pfarrer Bernhard Thiele in Zerrenthin, Kr. Prenzlau) sind bekannt geworden als Dichterin und Schriftstellerin.

 


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